Unsere vernetzte Welt verstehen
Ein kleiner Teil von vielen – KI für den Umweltschutz
Von fliegenden Drohnen bis hin zu Gartenschläfern: Welche Rolle spielt KI in Anwendungen für mehr Umweltschutz? Und in welchen Kontexten wird sie eingesetzt? Dieser Blogpost wirft einen Blick auf sechs innovative deutsche Projekte, die KI für den Umweltschutz entwickeln. Sie veranschaulichen, dass KI nicht gleich KI ist, sondern sehr vielfältig und im Sinne einer nachhaltigeren Zukunft anwendbar sein kann.
KI und Umwelt: schon länger ein Thema
Die Frage, inwiefern der Einsatz von KI im Umweltbereich beitragen kann, erfährt aktuell in der Forschung und der Zivilgesellschaft viel Aufmerksamkeit. Bereits 2019 hat das Umweltbundesamt eine Kurzstudie zu “Künstlicher Intelligenz im Umweltbereich” veröffentlicht. Insbesondere die wachsende Anzahl zur Verfügung stehender Umweltdaten macht den Einsatz von Data Science und KI-Anwendungen zur Verarbeitung dieser Daten notwendig. In diesem Zusammenhang definiert KI-Expertin Sally Radwan stellvertretend für das UN Environment Programme drei globale Krisen für den Umweltbereich: Verschmutzung und Abfall, die Klimakrise, und Biodiversitäts- und Naturverlust. Wir orientieren uns an diesen drei Krisen, um sechs Projekte aus Deutschland vorzustellen. Sie verwenden KI-Systeme und versuchen, damit zur Abmilderung von und zum Umgang mit den Krisen beizutragen.
An KI-Anwendungen im Bereich von Umweltkrisen sind nach einem Artikel von Cowls et al. aus 2021 vor allem zwei Erwartungen gebunden: Erstens ein besseres Problemverständnis und zweitens effektivere Handlungsmöglichkeiten. KI-Systeme, die Nachhaltigkeitsziele verfolgen, funktionieren nach Cowls et al. jedoch oft nur in kleinem Rahmen. Zudem befinden sich diese Systeme, laut einem weiteren Artikel von Heilinger et al. aus dem Jahr 2023, oft noch in der Entwicklungsphase. Außerdem verbrauchen KI-Systeme selbst Energie und Ressourcen. Dies führt dazu, dass eine realistische Abschätzung von Ergebnissen und Folgen kaum möglich und stark kontextabhängig ist. Es besteht wenig Einigkeit darüber, inwiefern KI wirklich beispielsweise beim Erreichen von Nachhaltigkeitszielen hilft und wo KI-Anwendungen komplexe Hinderungseffekte begünstigen.
In diesem Rahmen müssen auch die folgenden Projekte betrachtet werden. Sie können jedoch einen ersten Eindruck davon geben, wo KI-Systeme, eingebettet in weitere Strukturen, hilfreich zum Einsatz kommen können.
KI im Untergrund: Wie Technologie hilft, unsere Kanäle zu schützen
Stinkender Müll und Atemluft voller Abgase: Bei Verschmutzung und Abfall geht es um weitreichende Effekte, die Müll hat. Zum Beispiel um toxische Verschmutzungen und Gesundheitsrisiken, die oftmals vulnerable Gruppen viel stärker betreffen. Nicht jeder Abfall ist aber so sichtbar wie der Müll auf dem Gehweg. Im Fall des Projektes KIKI sind die Gründe für die Verschmutzung nicht einmal zu sehen. KIKI steht nämlich für KI in der Kanalinstandhaltung. Hier soll Computer Vision eingesetzt werden, um Abwasserkanäle zu warten und Leckagen zu verhindern, indem mögliche Schadensstellen identifiziert und dann von Menschen inspiziert und gegebenenfalls repariert werden. Das könnte die Wartung und Verhinderung von Leckagen auf den rund 540.723 Kilometern Abwasserkanälen in Deutschland vereinfachen. Somit wird das Austreten von Abwasser in die Umgebung verhindert. Mögliche Folgen von Leckagen sind bspw. die Verunreinigung des Trinkwassers. Für das Forschungsprojekt hat das August-Wilhelm Scheer Institut zwei Jahre lang bis Juli 2023 mit dem Entsorgungsverband Saar zusammengearbeitet.
Vernetzte Rettung: KI-gestützte Lageeinschätzung für Katastrophenhilfe
Immer häufiger auftretende Starkwetterereignisse, Hitzewellen und Stürme machen deutlich: Die Klimakrise ist längst da. Leider können wir sie nicht einfach mit einer gehypten neuen Technologie wegzaubern. Zumindest aber beim Umgang mit Starkwetterereignissen kann KI helfen. Ebenso bei der Integration erneuerbarer Energien in die Stromnetze.
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt entwickelt im Projekt AIFER ein System, das mit Hilfe von KI in Katastrophenfällen für Rettungskräfte eine Lageeinschätzung ermittelt. Dafür werden Daten von Satelliten, Drohnen, Flugzeugen sowie aus sozialen Netzwerken verknüpft. Auch hier zeigt sich, was das System kann und was es hilfreich macht: Es ermöglicht die automatisierte Auswertung und Zusammenführung einer Vielzahl verschiedener Daten – beispielsweise das Zusammenbringen von Drohnenbildern mit Social-Media-Meldungen. Im Jahr 2022 wurde das System bereits bei einer großen Übung im Katastrophenschutz getestet und für hilfreich befunden.
Stromnetz im Blick: KI-Lösungen für erneuerbare Energien
Erneuerbare Energien, so oftmals die Kritik, würden nur unregelmäßig Strom liefern und könnten deshalb nicht gut in Stromnetze integriert werden. Das Projekt AI4grids setzt genau hier an. Es entwickelt und kombiniert verschiedene KI-Systeme, um das Stromnetz zu beobachten, potenzielle Engpässe zu erkennen, zukünftige Auslastungen vorherzusagen und schließlich Lösungen für diese Probleme anzubieten. Das Projekt endete im Dezember 2023 mit einem internationalen Symposium, bei dem die Algorithmen in einem Proof-of-Concept-Labor implementiert wurden.
Windkraft und Wildlife: BirdVision im Einsatz
Erneuerbare Energien sind ein Thema, bei dem oft Maßnahmen gegen die Klimakrise und Biodiversitätsschutz gegeneinander ausgespielt werden – dabei geht es beispielsweise um Vögel, die durch Windräder sterben. Es wird deutlich, dass die von Radwan identifizierten Krisen durchaus zusammenhängen und mögliche Maßnahmen sich gegenseitig beeinflussen können. Um Maßnahmen gegen die Klimakrise und Biodiversitätsschutz in diesem Punkt nicht gegeneinander ausspielen zu müssen, wurde das Projekt BirdVision initiiert. Es soll Vögel zukünftig an Windkraftanlagen schützen. Dazu hat die Windkraftbetreiberfirma ein System entwickelt, das wieder CV-basiert Vögel in der Nähe von Windkraftanlagen “entdeckt” und das Windrad anhält, sollten die Vögel Gefahr laufen, in das Windrad zu fliegen.
Heatmap KI: Früherkennung und Bekämpfung von Waldbränden
Aber nicht nur hier hängen Klimakrise und Natur- und Biodiversitätsverlust zusammen. Eine Folge der Klimakrise ist die Zunahme von Trockenperioden und Dürren, welche wiederum die Wahrscheinlichkeit, Anzahl und Intensität von Waldbränden erhöhen. Insbesondere großflächige, heftige Waldbrände stellen einen Einschnitt für die bestehende Natur und Biodiversität dar. Je früher diese erkannt und je besser sie beobachtet werden können, desto zielgerichteter können die Feuer bekämpft werden. Das leistet KIWA, ein KI-basiertes Waldüberwachungssystem. Große Feuer können am umfassendsten von oben beobachtet werden. KIWA nutzt bei Drohnenflügen gesammelte Luftbilder, um mithilfe von CV flächendeckend mögliche Gefahrenstellen, Feuer und Rauch zu identifizieren. Das Ziel ist es, das System in bestehende Abläufe zu integrieren, um Gemeinden, Katastrophenschutzorganisationen und Feuerwehren eine Grundlage für schnelle Reaktionen zu bieten. Im Idealfall sollen auch Informationen über waldbrandgefährdete Baumarten zur Prävention eingebettet werden. Das Projekt läuft noch bis Ende 2025.
Spurensuche: So entdeckt KI Gartenschläfer
Nicht immer geht es bei KI-Anwendungen um das ganz Große. Manchmal geht es auch um das ganz Kleine, wie zum Beispiel Gartenschläfer. Diese bedrohte Tierart ist in Deutschland am stärksten vertreten und gilt deshalb als Verantwortungstierart. Ein wichtiger Schritt, um Populationen zu schützen, ist es, ihre Lebensräume zu lokalisieren. Das passiert in dem Projekt Spurensuche Gartenschläfer zum Beispiel mithilfe einer Citizen Science Sichtungssammlung von Gartenschläfern. Zusätzlich erkennt eine speziell trainierte KI Tiergeräusche, um Gartenschläfer zu identifizieren und ihr Vorkommen zu erfassen. Sie soll dabei unterstützen, herauszufinden, auf welchen Aufnahmen Gartenschläfer zu hören sind. Das Projekt des BUND in Zusammenarbeit mit der Justus-Liebig-Universität Gießen läuft noch bis Ende September diesen Jahres.
Fazit
Die beschriebenen KI-Projekte helfen dabei, Infrastrukturen zu erhalten, die Koordination zu verbessern, Situationen schneller und mit verschiedenen Datenquellen zu bewerten. Sie zeigen, dass es nicht die eine große künstliche Intelligenz gibt, die alles kann. Vielmehr gibt es viele verschiedene kleine Anwendungen, die nicht unbedingt KI-Technologie enthalten müssen, um zu funktionieren.
Keines der vorgestellten Projekte beschreibt KI als die Lösung, sondern immer als einen Teil von einer möglichen Lösung. Es geht nicht darum, künstliche Intelligenz als eine Technologie zu hypen, die die Klimakrise „löst“. Vielmehr geht es darum, sinnvolle Anwendungen dort zu entwickeln, wo sie benötigt werden. Zu bedenken ist hierbei, dass KI-Anwendungen an sich nicht nachhaltig sind. Sie können jedoch, wenn sie in viele weitere Strukturen eingebettet sind, für nachhaltige Zwecke eingesetzt werden. Dennoch darf dies nicht die Verantwortung negieren, aus fossilen Energien auszusteigen und für soziale Gerechtigkeit einzustehen.
Referenzen
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August-Wilhelm-Scheer Insitut (o.D.). KIKI. https://www.aws-institut.de/research/kiki-ki-basierte-kanalinstandhaltung/ (Abgerufen am 18.03.2024)
BirdVision (o.D.). https://birdvision.org/ (Abgerufen am 18.03.2024)
BMBF (2020). AIFER: Künstliche Intelligenz zur Analyse und Fusion von Erdbeobachtungs- und Internetdaten zur Entscheidungsunterstützung im Katastrophenschutz. https://www.sifo.de/sifo/de/projekte/querschnittsthemen-und-aktivitaeten/kuenstliche-intelligenz-in-der-zivilen-sicherheitsforschung/aifer-kuenstliche-intelligenz–tuetzung-im-katastrophenschutz/aifer-kuenstliche-intelligenz–tuetzung-im-katastrophenschutz_node.html (Abgerufen am 18.03.2024)
BUND (2023). KI im Naturschutz. https://www.bund.net/themen/aktuelles/detail-aktuelles/news/ki-im-naturschutz/
Cowls, J., Tsamados, A., Taddeo, M., & Floridi, L. (2021). The AI Gambit — Leveraging Artificial Intelligence to Combat Climate Change: Opportunities, Challenges, and Recommendations (SSRN Scholarly Paper ID 3804983). Social Science Research Network. https://doi.org/10.2139/ssrn.3804983
Heilinger, J., Kempt, H. & Nagel, S. K. (2023). Beware of sustainable AI! Uses and abuses of a worthy goal. AI And Ethics (Print). https://doi.org/10.1007/s43681-023-00259-8
HTWG – Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung (o.D.). Forschungsprojekt Ai4Grids. https://www.htwg-konstanz.de/hochschule/projekte/ai4grids/ueber-ai4grids/ (Abgerufen am 18.03.2024)
Jetzke, T., Richter, S., Ferdinand, J.-P., & Schaat, S. (2019). Künstliche Intelligenz im Umweltbereich. Umweltbundesamt, 42.
SeaClear (o.D.). About SeaClear. https://seaclear-project.eu/about-main/about-seaclear (Abgerufen am 18.03.2024)
ZUG (2023). KI-basierte Waldüberwachung – Künstliche Intelligenz zur Früh-Detektion von Waldbrand-Ereignissen. https://www.z-u-g.org/foerderung/ki-leuchttuerme-fuer-umwelt-klima-natur-und-ressourcen/projekt/kiwa/
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
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