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Das Titelbild zeigt eine Reihe von roten Flaggen auf Stangen, die in einem strukturierten Muster angeordnet sind. Das Bild stellt eine visuelle Metapher für die Community Notes dar, die als Werkzeug zur Überprüfung von Informationen dienen.
20 Februar 2025| doi: 10.5281/zenodo.14899291

Haben Community Notes eine Parteipräferenz?

Community Notes sollen Desinformation auf X eindämmen – doch sie selbst folgen auffälligen politischen Mustern. Eine neue Datenanalyse zeigt, dass Posts der Grünen besonders häufig kritisiert werden, ihre Notes aber kaum als hilfreich gelten. Gleichzeitig zeigt sich bei den tatsächlich veröffentlichten Notes kein klarer politischer Trend. Warum ist das so? Dieser Beitrag analysiert Muster in der Verteilung und Bewertung von Notes zu Posts deutscher Parteien und Politiker*innen. Darüber hinaus wird untersucht, welche Dynamiken sich aus den Daten ableiten lassen.

Community Notes statt Faktenchecks?

Anfang des Jahres gab Metas CEO Mark Zuckerberg bekannt, die Zusammenarbeit mit unabhängigen Faktenchecker*innen zu beenden und stattdessen auf Community Notes (kurz Notes) nach dem Vorbild von X zu setzen. Zuckerberg behauptete, dass Faktenchecks die freie Meinungsäußerung einschränken. Allerdings liegt es nahe, dass es sich eher um ein Eingeständnis gegenüber Trump und der republikanischen Partei handelt, die den Faktenchecker*innen eine politische Motivation unterstellen.

Der Vorwurf, Faktenchecks hätten einen Bias zugunsten des linken oder liberalen Lagers, ist nicht neu und wird auch im deutschsprachigen Raum vertreten. Natürlich sind Faktenchecks wie jedes andere journalistische Genre nicht frei von Fehlern und Verzerrungen. Allerdings wird oft übersehen, dass Desinformation häufig mit rechten und populistischen Einstellungen assoziiert ist (Lasser et al. 2022, Törnberg und Chueri 2025). Wenn Faktenchecks eher rechte Akteure überprüfen, legt das nicht zwingend einen Bias offen, sondern könnte auch eine tatsächliche Asymmetrie wiedergeben (Mosleh et al. 2024). So erschien erst kürzlich eine Studie, die zeigt, dass auch hilfreich bewertete Notes häufiger an Posts aus dem Lager der Republikaner zu finden sind (Renault et al. 2025).

Dieser Blogpost präsentiert die Ergebnisse einer Datenanalyse der deutschsprachigen Notes, die mindestens 20 mal als hilfreich oder nicht hilfreich bewertet wurden und von Januar 2024 bis einschließlich Januar 2025 erschienen sind. Da Notes zukünftig auch auf Facebook und Instagram ausgerollt werden (vorerst nur in den USA), lohnt es sich zu fragen, ob es einen Schwerpunkt auf Parteien aus einem bestimmten ideologischen Spektrum gibt.

Wie funktionieren Community Notes auf X?

Notes findet man als Anmerkungen an Posts, und sie sollen auf deren Defizite hinweisen. Die Notes für diese Datenanalyse weisen Posts als inkorrekt oder unverifiziert aus (Abb. 1). Notes werden von zuvor registrierten Benutzer*innen verfasst. Um sich zu registrieren, muss der Account unter anderem älter als sechs Monate sein und es braucht eine verifizierte Telefonnummer. Weil grundsätzlich alle an dem Programm teilnehmen können, werden Notes häufig als Weisheit der Masse bezeichnet und als unvoreingenommene Alternative Faktenchecks gegenübergestellt. Diese Interpretation übersieht jedoch, dass auch die Nutzer*innen, die Notes verfassen, nicht frei von politischen Überzeugungen sind. Ihre Bewertungen und Anmerkungen können daher von eigenen Interessen oder ideologischen Prägungen beeinflusst sein (Allen et al. 2022)

Abbildung 1. Post mit als hilfreich bewerteter und daher veröffentlichter Community Note. 

Gerade weil eine einmalige Registrierung reicht, um zu allen Posts auf X Notes zu verfassen, ist dies zunächst noch kein Qualitätsmerkmal für ihre Korrektheit. Deswegen ist es für registrierte Nutzer*innen nicht nur möglich, eigene Notes zu verfassen, sondern auch die von anderen als hilfreich oder nicht zu bewerten. Um zu einem finalen Urteil zu kommen, nutzt X einen sogenannten Bridging-Algorithmus. Dieser Algorithmus berücksichtigt die Position der registrierten Nutzer*innen auf dem politischen Spektrum und erfordert, dass Beitragende mit unterschiedlichen Standpunkten die Note als hilfreich bewerten (Wojcik et al. 2022). Dieses Verfahren ist häufig erfolgreich darin, das politische Spektrum abzubilden, sorgt aber auch dafür, dass bedeutend weniger Notes veröffentlicht werden, als tatsächlich verfasst wurden.

Welche Accounts deutscher Parteien und Politker*innen erhalten Community Notes?

Abbildung 2. Anzahl der Posts mit Community Notes.

Im Folgenden stelle ich die Ergebnisse der Datenanalyse vor. Insgesamt habe ich fast 9000 Notes analysiert, von denen knapp 1700 als hilfreich bewertet und deswegen auch veröffentlicht wurden. Abb. 2a zeigt die Accounts mit den meisten Notes. Unter allen Accounts auf X hat Markus Söder, Parteivorsitzender der CSU und Ministerpräsident Bayerns, die meisten Notes erhalten. Das ändert sich allerdings für hilfreiche Notes (Abb. 2b). Hier finden sich, mit Ausnahme von Julian Reichelt, ehemaliger Bild-Chefredakteur und Gründer von Nius, eher unbekannte Accounts unter den Topplatzierten. Erst ab Platz 8 finden sich politische Accounts, nämlich die der CSU und Markus Söder. Vor diesem Hintergrund und auch mit Sicht auf die Abb. 2c und Abb. 2d merkt man, dass sich die Accounts mit den meisten Notes und die mit den meisten hilfreichen Notes teils stark unterscheiden.

Welche Parteien erhalten die meisten Community Notes?

Abbildung 3. Anzahl der Posts mit Community Notes.

Abbildung 3 zeigt die Notes für die Posts deutscher Politiker*innen zusammengefasst nach Partei. Oft sind die Werte der Parteien stark von einzelnen Politiker*innen geprägt. Wie auch in Abb. 2 sichtbar, sind es für die CSU vor allem der offizielle Partei-Account und der von Markus Söder. Für die SPD sind es in erster Linie Ralf Stegner, Bundestagsabgeordneter, sowie Arno Gottschalk, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion in Bremen. Eine grobe Analyse des Inhalts zeigt, dass es bei Stegner vor allem Posts im Kontext des russischen Krieges in der Ukraine sind.

Wie schon zuvor unterscheidet sich die Rangliste der meisten Notes, wenn man nur die hilfreichen betrachtet. Die Grünen führen die Rangliste der Notes an, dicht gefolgt von den Parteien des rechten Spektrums. Betrachtet man jedoch nur die hilfreichen Notes, rutschen die Grünen auf Platz sechs, während die SPD den ersten Platz einnimmt. Nur 4% der Notes für die Grünen werden als hilfreich bewertet – also deutlich weniger als der Durchschnitt von etwa 19 % für alle Notes und 12 % für Parteiposts. Damit ist der niedrige Wert der Grünen weiterhin auffällig. Wieso ist das so?

Januar-Effekt: Koordinierte Kampagne oder zufällige Häufung?

Abbildung 4. Monatliche Verteilung der (hilfreichen) Community Notes für die Posts der Parteien.

Um herauszufinden, ob das ungewöhnliche Muster bei den Grünen mit einem bestimmten Ereignis in Verbindung gebracht werden kann, zeigt Abb. 4 die zeitliche Verteilung der Posts mit Notes. Und tatsächlich: Die Notes für Grüne und SPD steigen im Januar 2025 sprunghaft an. In Zahlen ausgedrückt, sind etwa 29% der 180 Posts mit Notes der Grünen auf diesen einen Monat zurückzuführen. Für die SPD ist der Wert fast derselbe. 

Dieser sprunghafte Anstieg lässt sich nicht einfach durch eine erhöhte Aktivität der Parteien erklären. Die Grünen haben im Januar etwa genauso viele Posts veröffentlicht wie die AfD, die SPD sogar nur halb so viele. Ebenso gab es nach der Rückkehr von Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz der Grünen, auf X keinen vergleichbaren Anstieg. 

Zum Vergleich: Die AfD verzeichnet seit der zweiten Jahreshälfte 2024 insgesamt weniger Notes als zuvor – mit Ausnahme des September. Zwar gab es einzelne Monate mit einer hohen Anzahl an Notes für die AfD, aber in keinem Fall entfielen mehr als 14 % aller Notes der Partei auf einen einzigen Monat.

Ungewöhnlich viele Notes – Zufall oder Muster?

Wer sind nun die Nutzer*innen, die die Notes für Grüne und SPD im Januar 2025 erstellt und bewertet haben? Da Notes anonym vergeben werden, gibt es nur begrenzte Informationen über die Accounts. 

Beim Accountalter ergeben sich keine Auffälligkeiten: Die Notes für Grüne und SPD stammen nicht überproportional von jüngeren Accounts. Zwar gab es im Januar insgesamt mehr neue Accounts auf X, doch dieses Muster zeigt sich für alle Parteien gleichermaßen. Auffällig ist jedoch die Aktivität der bewertenden Accounts: Die Nutzer*innen, die Notes für die Grünen bewertet haben, gaben im Schnitt zwei Bewertungen ab – deutlich mehr als der Durchschnitt bei den Grünen insgesamt (ca. 1,3) und über dem allgemeinen monatlichen Schnitt (ca. 1,2). Mit anderen Worten: Im Januar gab es nicht nur ungewöhnlich viele Notes für die Grünen, sondern auch eine besonders aktive Gruppe von Nutzer*innen, die diese bewertet haben. Ob es eine Koordinierung zwischen den Accounts gab, lässt sich anhand der Daten jedoch nicht ablesen. 

Inhaltlich befassten sich die Posts der Grünen mit einer Vielzahl von Themen. Darunter waren auch Referenzen auf politische Gegner, insbesondere  auf CDU-Chef Friedrich Merz und seine Abstimmung mit der AfD. Zudem wurden die Teilnehmerzahlen bei den anschließenden Demonstrationen, Interpretationen aktueller Umfrageergebnisse, Kritik an Elon Musk sowie Aussagen über Deutschlands Energieversorgung, teils mit Bezug auf Putin, diskutiert. 

Bei der SPD spielte Musk ebenfalls eine Rolle, wenn auch in geringerem Maße. Friedrich Merz war ähnlich prominent wie bei den Grünen vertreten. Ein weiteres zentrales Thema war jedoch die Aussage des SPD-Parteivorstands, die Partei habe niemals mit Nazis kooperiert – eine Behauptung, die von vielen Notes aufgegriffen wurde.

Keine klare politische Orientierung der hilfreichen Community Notes

Community Notes sollen Defizite in Posts auf X ausweisen. Da sie von allen von für das Programm registrierten Nutzer*innen verfasst und bewertet werden können, stellt sich die Frage, ob sich daraus parteipolitische Tendenzen ableiten lassen. Die Analyse zeigt: Posts der Grünen erhalten besonders häufig Notes, doch nur ein Bruchteil davon wird als hilfreich bewertet und damit veröffentlicht. Auffällig ist zudem, dass dieser Effekt vor allem im Januar dieses Jahres besonders stark war.

Was sagt das über die registrierten Nutzer*innen und deren Bewertungsverhalten aus? Damit eine Note vom Bridging-Algorithmus als hilfreich eingestuft wird, müssen die Nutzer*innen, die sie bewerten, zuvor unterschiedliche Standpunkte vertreten haben. Die niedrige Rate an hilfreichen Notes für die Grünen deutet darauf hin, dass dies nicht der Fall ist – die bewertenden Nutzer*innen scheinen politisch relativ homogen aufgestellt zu sein. Ob es sich dabei nur um eine natürliche Gruppenbildung oder sogar um koordinierte Aktivitäten – wie Bots oder politisch motivierte Trollkampagnen – handelt, lässt sich mit den vorliegenden Daten nicht feststellen. Dennoch ist festzuhalten, dass dieses Abstimmungsverhalten insbesondere gegen die Grünen und auch gegen die SPD gerichtet ist. 

Gleichzeitig geht die Anzahl der Notes für AfD-Posts in den letzten Monaten zurück. Das könnte bedeuten, dass weniger Nutzer*innen AfD-Posts mit Notes versehen – oder dass diese Posts seltener überprüft werden. Das ist eine Entwicklung, die sich in das allgemeine Stimmungsbild auf X zugunsten der AfD einfügt (Nenno und Lorenz-Spreen 2025).

Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man nur die tatsächlich veröffentlichten, also als hilfreich bewerteten Notes betrachtet. Hier sind Posts der SPD am häufigsten vertreten, während die der Grünen und Linken eher selten auftauchen. Union und AfD bewegen sich im Mittelfeld. Der Bridging-Algorithmus sorgt damit für eine gewisse zahlenmäßige Balance zwischen Parteien links und rechts der Mitte. Allerdings bedeutet diese Ausgewogenheit nicht zwangsläufig, dass Community Notes ein objektives oder neutrales Bild zeichnen. Entscheidend ist nicht nur, wie viele Notes eine Partei erhält, sondern ob sie tatsächlich irreführende Inhalte richtigstellen – denn am Ende sollte es darum gehen, Desinformation auf X effektiv zu identifizieren und zu kennzeichnen.

References

Allen, J., Martel, C., & Rand, D. G. (2022). Birds of a feather don’t fact-check each other: Partisanship and the evaluation of news in Twitter’s Birdwatch crowdsourced fact-checking program. Proceedings of the 2022 CHI Conference on Human Factors in Computing Systems, 1–19. https://doi.org/10.1145/3491102.3502040

Lasser, J., Aroyehun, S. T., Simchon, A., Carrella, F., Garcia, D., & Lewandowsky, S. (2022). Social media sharing of low-quality news sources by political elites. PNAS Nexus, 1(4), pgac186. https://doi.org/10.1093/pnasnexus/pgac186

Nenno, S., & Lorenz-Spreen, P. (2025). Do Alice Weidel and the AfD benefit from Musk’s attention on X? https://doi.org/10.5281/zenodo.14749544

Renault, T., Mosleh, M., & Rand, D. (2025). Republicans are flagged more often than Democrats for sharing misinformation on X’s Community Notes. OSF. https://doi.org/10.31234/osf.io/vk5yj_v2

Törnberg, P., & Chueri, J. (2025). When Do Parties Lie? Misinformation and Radical-Right Populism Across 26 Countries. The International Journal of Press/Politics, 19401612241311886. https://doi.org/10.1177/19401612241311886

Wojcik, S., Hilgard, S., Judd, N., Mocanu, D., Ragain, S., Hunzaker, M. B. F., Coleman, K., & Baxter, J. (2022). Birdwatch: Crowd Wisdom and Bridging Algorithms can Inform Understanding and Reduce the Spread of Misinformation (No. arXiv:2210.15723). arXiv. https://doi.org/10.48550/arXiv.2210.15723

Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de

Sami Nenno

Assoziierter Forscher: AI & Society Lab

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