Unsere vernetzte Welt verstehen
Ist das eigentlich noch user-generated content auf YouTube?
Die Trennung zwischen professionellen Medieninhalten und user-generated content auf YouTube lässt sich kaum noch aufrecht erhalten. Web-Videos werden dort immer professioneller, nicht zuletzt weil Amateure mitunter von Firmen unterstützt werden. Braucht die Definition von user-generated content mittlerweile ein Update?
Die Bedeutung der Plattform YouTube innerhalb der Medienlandschaft nimmt immer weiter zu. Bislang ging man davon aus, dass es sich bei dem Content, auf dieser (und anderen Video-Plattformen) meist um sogenannten user-generated content (UGC) handelte (Cha et. al. 2007), also um Inhalte, die von Amateuren erstellt wurden. Doch es lassen sichzunehmend Professionalisierungstendenzen beobachten (Kim 2012, Cunningham 2016, Zabel und Ramme 2015, ). Ein Indiz für die zunehmende Professionalisierung ist auf der institutionellen Ebene die Etablierung von Unternehmen, die für eine Monetarisierung der Inhalte sorgen: die sogenannten Multi-Channel Networks (Lobato 2016, Vonderau 2016, Mueller 2014). Auf der Ebene der Individuen, die die Inhalte produzieren, die auf den Plattformen distribuiert werden, ist aus verschiedenen Forschungsrichtungen bereits viel Literatur publiziert worden (Albuqurque 2012, Dhar und Chang 2009, Morrison et. al. 2013, Yi und Kim 2008, Zhang und Sarvary 2014). So nimmt die technische Qualität der Videos immer weiter zu und inhaltlich lässt sich eine stärkere Formatierung erkennen. Angesichts dieser beiden Betrachtungswinkel auf die Professionalisierung von UGC muss die Frage nach der Definition von UGC gestellt werden. Viele Autoren berufen sich auf eine Definition der OECD aus dem Jahr 2007, die folgende Kriterien benennt (Wunsch-Vincent 2007):
- Internet als Distributionskanal für Inhalte
- kreativer Einsatz in der Produktion
- Entstehung außerhalb professioneller Routinen
Diese Definition ist bald zehn Jahre alt und es ist an der Zeit eine neue Definition zu finden. In einer aktuellen Studie haben Zabel und Pagel 2016 untersucht, unter welchen Bedingungen die Produzenten von Video-Inhalten, die auf YouTube veröffentlicht werden, arbeiten. In dieser Studie wird eine Unterscheidung zwischen Profis und Amateuren aufgemacht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Teilnehmer (n=212 Personen), die sogenannten Creators, durchschnittlich 13,8 Stunden pro Woche mit der Produktion ihrer Videos beschäfigt sind (bei den Profis sind es sogar 25,7 Stunden). Sie sind durchschnittlich 21,4 Jahre alt (Profis: 25,7 Jahre). Und die meisten Studienteilnehmer produzieren ihre Videos innerhalb der eigenen vier Wände. Auch im Profi-Bereich antworteten 75% der Befragten, dass sie die Produktion ihrer Videos “aus eigener Tasche” finanzieren, wobei 35% der Befragten unter Vertrag bei einem Multi-Channel Network sind (Profis: 83%). Auch diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass hier die duale Unterscheidung zwischen Professionellen und Amateuren kaum noch aufrecht zu erhalten ist. Durch die Digitalisierung der Medienlandschaft, die eine Vereinfachung der Inhalte-Produktion mit sich gebracht hat, verschwimmt diese Unterscheidung immer mehr (Dänzler 2011). So war es früher teuer und aufwendig Medieninhalte zu produzieren. Dazu kam eine starke Begrenzung der Distributionsmöglichkeiten. Durch die analoge Technik waren die Übertragungsfrequenzen limitiert und professionellen Nutzern vorbehalten. Heute ist die Produktion von Medieninhalten mit fast jedem Mobiltelefon möglich und die globale Veröffentlichung ist auf Plattformen wie YouTube einfach und sehr kostengünstig möglich, so dass eine Einteilung der Produzenten schwerer fällt (O’Reilly 2007, Bruns 2008).
Das Phänomen, dass sich die Produktion von Medieninhalten nicht nur auf Profis beschränkt, ist deutlich älter als die Digitalisierung und findet sich bereits vor einigen hundert Jahren (Hamilton 2014). Auch der heutige Einfluss der Digitalisierung auf die Unterscheidung zwischen Amateuren und Professionellen wurde in der Literatur bereits diskutiert (Bruns 2008, Denison 2011, Ruckenstein 2011), und es wurden auch neue Begriffe dafür entwickelt: “Produsage” (Bruns), “Prosumer” (Denison) oder “Prosumption” (Ruckenstein).
Diese Ansätze beziehen sich aber eher auf den Aspekt, dass durch die Digitalisierung die Konsumenten auch zu Produzenten werden, weniger auf den Aspekt, dass die Grenze zwischen Amateuren und Professionellen verschwimmt. Bei der Produktion von Inhalten für Plattformen wie YouTube ist zudem die Frage der Vermarktung immer relevanter. Angesichts der stärker zunehmenden Masse an Inhalten – pro Minute werden rund 100 Stunden Material auf YouTube hochgeladen – wird der Aspekt der Vermarktung stärker ein Bestandteil der Produktion von Medieninhalten. Dies lässt sich auch aus der Studie von Zabel und Pagel 2016 lesen. Hier sehen die Befragten einen großen Bedarf in der Weiterbildung zum Aufbau von Reichweite.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die technologische Entwicklung, die die Möglichkeiten der Produktion von Inhalten auch für Amateure immer weiter vereinfacht, so schnell voranschreitet, dass eine zehn Jahre alte Definition kaum noch Gültigkeit für sich beanspruchen kann. Möglicherweise besteht die Notwenigkeit dieser Unterscheidung nicht mehr oder die Definition sollte aktualisiert werden, z.B. durch die Einbeziehung von Aspekten der Vermarktung also der erzielten Reichweite im Vergleich zu ähnlichen Inhalten.
Referenzen:
- Albuquerque, P., Polykarpos P., Udi C., Kay-Yut C., und Zainab J. 2012. „Evaluating Promotional Activities in an Online Two-Sided Market of User-Generated Content“. Marketing Science 31 (3): 406–32.
- Bruns, A. 2008. Blogs, Wikipedia, Second life, and Beyond: from production to produsage. Digital formations, v. 45. New York: Peter Lang.
- Cha, M., Haewoon K., Rodriguez, P., Yong-Yeol, und Sue M. 2007. „I Tube, You Tube, Everybody Tubes: Analyzing the World’s Largest User Generated Content Video System“. In Proceedings of the 7th ACM SIGCOMM Conference on Internet Measurement, 1–14. IMC ’07. New York, NY, USA: ACM. doi:10.1145/1298306.1298309.
- Cunningham, S., D. Craig, und J. Silver. 2016. „YouTube, Multichannel Networks and the Accelerated Evolution of the New Screen Ecology“. Convergence: The International Journal of Research into New Media Technologies 22 (4): 376–91. doi:10.1177/1354856516641620.
- Dänzler, S. 2011. Digitalization and the impact on television financing. 1. Aufl. Bd. 29. Schriften zur Medienwirtschaft und zum Medienmanagement. Baden-Baden: Nomos.
- Denison, R. 2011. „Anime Fandom and the Liminal Spaces between Fan Creativity and Piracy“. International Journal of Cultural Studies 14 (5): 449–66. doi:10.1177/1367877910394565.
- Dhar, V., und Chang E.. 2009. „Does Chatter Matter? The Impact of User-Generated Content on Music Sales“. Journal of Interactive Marketing 23 (4): 300–307. doi:10.1016/j.intmar.2009.07.004.
- Hamilton, J. F. 2014. „Historical Forms of User Production“. Media, Culture & Society 36 (4): 491–507. doi:10.1177/0163443714523812.
- Kim, Jin. 2012. „The Institutionalization of YouTube: From User-Generated Content to Professionally Generated Content“. Media, Culture & Society 34 (1): 53–67. doi:10.1177/0163443711427199.
- Lobato, R. 2016. „The Cultural Logic of Digital Intermediaries: YouTube Multichannel Networks“. Convergence: The International Journal of Research into New Media Technologies, April. doi:10.1177/1354856516641628.
- Morrison, M., Hyuk Jun C., und McMillan S.. 2013. „Posting, Lurking, and Networking: Behaviors and Characteristics of Consumers in the Context of User-Generated Content“. Journal of Interactive Advertising 13 (2): 97–108. doi:10.1080/15252019.2013.826552.
- Mueller, B. 2014. Participatory culture on YouTube: a case study of the multichannel network Machinima.
- O’Reilly, T. 2007. „What Is Web 2.0?“ Communications & Stragies 65 (1): 17–37.
- Ruckenstein, M. 2011. „CHILDREN IN CREATIONIST CAPITALISM: The Corporate Value of Sociality“. Information, Communication & Society 14 (7): 1060–76. doi:10.1080/1369118X.2011.565781.
- Vonderau, P. 2016. „The Video Bubble: Multichannel Networks and the Transformation of YouTube“. Convergence: The International Journal of Research into New Media Technologies, April. doi:10.1177/1354856516641882.
- Wunsch-Vincent, S. 2007. Participative Web and user-created content: Web 2.0, wikis and social networking. Herausgegeben von Graham Vickery und Organisation for Economic Co-operation and Development. Paris: Organisation for Economic Co-operation and Development.
- Yi, K., und Kim W.-G.. 2008. „The Battle Between Portals and Multimedia Content Sites in the UCC Market: Who is Stronger in Terms of Brand Equity?“ International Journal on Media Management 10 (3): 112–21. doi:10.1080/14241270802262435.
- Zabel, C., Ramme, G. 2015: Strategien für die Produktion von Online-Bewegtbildinhalten. Eine wettbewerbsstrategische Analyse. In: Pagel, Sven: Schnittstellen (in) der Medienökonomie. Nomos, Baden-Baden, S. 50-72.
- Zabel C., Pagel S., “Wer sind die deutschen Creators auf YouTube? Eine Studie im Auftrag der Film- und Medienstiftung NRW”
- Zhang, K., und Sarvary M.. 2014. „Differentiation with User-Generated Content“. Management Science, Juli. doi:10.1287/mnsc.2014.1907.
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
Jetzt anmelden und die neuesten Blogartikel einmal im Monat per Newsletter erhalten.
Digitale Zukunft der Arbeitswelt
Beschäftigte durch Daten stärken
Arbeitsplätze werden zunehmend datafiziert. Doch wie können Beschäftigte und Gewerkschaften diese Daten nutzen, um ihre Rechte zu vertreten?
Zwei Jahre nach der Übernahme: Vier zentrale Änderungen im Regelwerk von X unter Musk
Der Artikel beschreibt vier zentrale Änderungen im Regelwerk der Plattform X seit Musks Übernahme 2022 und deren Einfluss auf die Moderation von Inhalten.
Zwischen Vision und Realität: Diskurse über nachhaltige KI in Deutschland
Der Artikel untersucht die Rolle von KI im Klimawandel. In Deutschland wächst die Besorgnis über ihre ökologischen Auswirkungen. Kann KI wirklich helfen?