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15 Mai 2012

Fair Use in Europa? Workshop mit Pamela Samuelson

Im Zuge der Debatte um das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA hat die Diskussion um das Urheberrecht in der digitalen Gesellschaft eine neue Dimension erreicht. Der sich parallel dazu verdichtenden Reformdebatte fehlt es aber in vielfacher Hinsicht an einer wissenschaftlichen Fundierung. So stellen sich eine Reihe von Fragen, die nicht nur politische Entscheidungen sondern auch wissenschaftliche Untersuchungen erfordern: Wie lässt sich das Urheberrecht mit neuen digitalen Nutzungspraktiken in Einklang bringen? Ist das US-Fair-Use-Prinzip dem europäischen Schrankensystem überlegen? Was lässt sich von den Erfahrungen mit Fair Use in den USA für europäische Urheberrechtsreformen lernen?

Diese Fragen standen im Fokus eines von Jeanette Hofmann, Direktorin am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft, und Leonhard Dobusch, Postdoc an der Freien Universität Berlin, in Räumen der stiftung neue verantwortung ausgerichteten Workshops zum Thema “Fair Use in Europa? Stand der Forschung und offene Fragen” am 07. Mai in Berlin. Als Referentin eröffnete mit Pamela Samuelson, Professor of Law and Information Management an der Berkeley Law School & School of Information, University of California, eine der weltweit renommiertesten Forscherinnen im Bereich des Immaterialgüterrechts den Workshop.

In ihrem Vortrag vertrat Samuelson vor allem zwei Thesen: Erstens, rascher technologischer Wandel im Bereich Digitalisierung und Internet erfordert flexiblere Regelungen als das starre System urheberrechtlicher Ausnahmen und Schranken der EU Urheberrechtsrichtlinie. An Hand einer Reihe von Beispielen wie Googles Ngram-Suche oder der Wayback-Machine illustrierte Samuelson, wie im Gegensatz dazu das Fair-Use-Modell des US-Copyrights die Entstehung neuer Technologien wenn nicht gefördert, so zumindest ermöglicht hat und auf diese Weise die Entstehung neuer Märkte begünstigt. Gerade auch in wirtschaftlicher Hinsicht sei die Fair-Use-Klausel ein Vorteil, weil sie innovationsfreundlicher ist als der europäische Schrankenkatalog.

Zweitens, so Samuelsons Empfehlung, müsste eine Annäherung an das Fair-Use-Modell keineswegs mit einem Verzicht auf spezifische Schrankenregelungen einher gehen. Diese könnten dort, wo sie gut funktionieren, weiterhin für Rechtssicherheit sorgen. Im konkreten Einzelfall sei eine Schrankenregelung dem Fair-Use-Prinzip vorzuziehen. Und um der bisweilen befürchteten Rechtsunsicherheit bei einer Öffnung des Schrankenkatalogs entgegenzutreten, plädierte sie für eine Sammlung und Aufbereitung von Beispielfällen, ähnlich jenen des American Law Institute.

Das Fundament für Samuelsons Ausführungen bildete ihr Aufsatz “Unbundling Fair Uses”, der über 300 Entscheidungen zur Fair-Use-Klausel analysiert und diese in verschiedene Cluster zusammenfasst. Generell zeige die Analyse, dass die US-amerikanische Rechtsprechung zu Fair Use sehr viel konsistenter und somit vorhersagbarer ausfalle als gemeinhin angenommen. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Vielfalt der Begründungen für Fair Use in der US-Rechtstradition, die von der impliziten Zustimmung des Autors (zu verstehen im Sinne eines idealtypischen und vernünftigen Autors) über Verhandlungstheorie (Fair Use als Ausgleich für die Gewährung von Copyrights) bis hin zur heute dominanten Begründung reichen, dass Fair Use verfassungsmäßig gewährleistete Rechtsgüter wie Rede- und Meinungsfreiheit gewährleistet.

In der Diskussion wies Urheberrechtsanwalt Till Jäger darauf hin, dass ein Problem für die Einführung von Fair Use in Europa nicht so sehr die Rechtsunsicherheit sei, sondern vielmehr die unterschiedlichen Interpretationen von Fairness in verschiedenen europäischen Ländern. Matthias Spielkamp von irights.info wiederum erinnerte daran, dass eine Einführung von Fair Use in Europa als Beschneidung von Autorenrechten gesehen würde – ein Punkt, dem Samuelson entgegenhielt, dass in den von ihr untersuchten Fällen von Fair Use Urteilen diese mehrheitlich Autoren ermächtigt hätten, also als “author-enabling” anzusehen wären. Häufig geht es bei Fair Use nämlich um Autoren, die unter Verwendung vorhandener Werke etwas Neues schaffen möchten.

Ingolf Pernice, Professor für öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Humboldt Universität zu Berlin und Direktor des Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft, gab zu bedenken, dass eine Einführung des Fair-Use-Prinzips in Europa möglicherweise auch durch eine flexiblere Auslegung des bestehenden Schrankenkatalogs erfolgen könnte.

Thomas Dreier, Professor am Zentrum für angewandte Rechtswissenschaften des KIT, wies schließlich noch auf die Kopplung von Schranken an Vergütungsrechte hin, die es so im US-Fair-Use-Modell nicht gibt – ein Umstand, den es bei einer etwaigen Flexibilisierung des europäischen Schrankenkatalogs zu berücksichtigen gälte.

Ein unstrukturiertes Protokoll des Workshops in englischer Sprache findet sich hier.

Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de

Martin Pleiss

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