Anwesenheit, Kommunikation und Interaktion im Raum der Digitalisierung
In welchem Raum ereignet sich der als „Digitalisierung“ bezeichnete Prozess? Spielt der Raum überhaupt noch eine Rolle? Denn Digitalisierung scheint auf den ersten Blick die These zu bestätigen, dass der Raum zunehmend an Bedeutung verliert für die Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse. Gegen diese lange Zeit als gültig betrachtete These hat sich in den letzten Jahren der sogenannte „Spatial Turn“ gewandt. An diesen anschließend wollen wir die Frage aufwerfen, welche Bedeutung dem Raum für die Analyse der Digitalisierung zukommt. Bereits eine einfache Überlegung zeigt, dass Digitalisierung geradezu auf den Raum angewiesen ist. Denn digitale Prozesse benötigen eine Infrastruktur: Leitungen, Server, Rechenzentren, Sendemasten, Empfangs- und Sendegeräte. Da diese in einem dreidimensional ausgedehnten Raum existieren, wäre es unsinnig zu behaupten, dass Digitalisierung den Raum überwindet. Zugleich ist es fraglich, ob der Raum, in dem die Infrastruktur existiert, der einzige für Digitalisierungsprozesse relevante Raum ist. In welchem Raum ereignen sich etwa Social-Media-Interaktionen? In welchem Raum findet Kommunikation auf Mailinglisten oder in Foren statt? Und so weiter.
Anwesenheit, Kommunikation und Interaktion im Raum der Digitalisierung
Zweite Tagung des Arbeitskreises Digitalisierung und Soziologische Theorie
3. und 4. Dezember 2020 | virtuell
Ganz allgemein stellt sich die Frage, welche räumlichen Prämissen in grundlegenden soziologischen Begriffen enthalten sind? Welche Raumvorstellung steckt etwa in Begriffen wie Anwesenheit, Kommunikation, Ko-Präsenz oder Interaktion? Sind diese Begriffe noch sinnvoll, um digital vermittelte Interaktionen oder Kommunikationen zu analysieren? Lassen sie sich in digitale Raumverhältnisse unbeschadet übertragen oder müssen sie unter mediatisierten Bedingungen überdacht werden? Bedarf es neuer Begrifflichkeiten, um die Sozialität in digitalen Räumen angemessen beschreiben zu können?
Gegenwärtige Analysen von Interaktionen, Kommunikation, Anwesenheit oder Ko-Präsenz greifen oft in einer schwer zu durchschauenden Weise auf die Dimension der Zeit zurück, um räumliche Phänomene zu beschreiben. Eine enge Kopplung von Raum und Zeit findet sich auch in eher informatisch geprägten Debatten. Dort wird der Computer als Partner von Interaktion verstanden, weshalb sich davon sprechen lässt, dass Nutzer*innen mit ihren Computern interagieren. Mit einem raumzeitlichen Ordnungssystem, das sich um Begriffe wie synchron/ asynchron und präsent/remote gruppiert, soll die Interaktion mit dem Computer bzw. die technisch vermittelte Interaktion zwischen Nutzer*innen sowohl untersucht wie gestaltet werden.
Auf der Tagung wollen wir diese unterschiedlichen Ansätze diskutieren und dadurch zu einem differenzierten Raumverständnis gelangen, das es ermöglicht, die vielfältigen Facetten des Raums der Digitalisierung auszuarbeiten. Gefragt sind sowohl rein theoretische Überlegungen als auch empirische Forschungen, die raumtheoretische Neuerungen nahelegen.
Mögliche Fragen wären etwa:
- Bedarf es unterschiedlicher Raumkonzepte, um sowohl den technischen als auch den Erfahrungsaspekt zu berücksichtigen?
- Welche impliziten raumtheoretischen Prämissen lassen sich in soziologischen Konzepten wie Interaktion, Anwesenheit, Kommunikation oder Ko-Präsenz ausmachen? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Analyse der Digitalisierung?
- Lässt sich in soziologischen Analysen von Digitalisierungsprozessen eine implizite Dominanz der Zeitdimension ausmachen?
- Liegt die Ursache für eine etwaige Dominanz der Zeitdimension im Phänomen der Digitalisierung selbst begründet oder in einer Untertheoretisierung des Raums in der Soziologie?
- Ist die konzeptuelle Vernachlässigung des Raums eine Spätfolge der langen Vernachlässigung der Technik in der soziologischen Theorie?
Programm
Alle Vorträge der Veranstaltung sind online verfügbar.
Donnerstag, 3.12.20
14:00 | Begrüßung durch die Organisator*innen |
14:15 | Johannes F. Burow: Leib-Räume in Videokonferenzen |
15:15 | Moritz von Stetten & Jasmin Dierkes (Uni Bonn): Zwischen Technikimmanenz und Techniktranszendenz – Die digitalisierte Räumlichkeit psychotherapeutischerBeziehungen |
16:45 | Gesa Lindemann & David Schünemann (Uni Oldenburg): Präsenz im sozialen Resonanzraum |
17:45 | Mitgliederversammlung des AK Digitalisierung und Soziologische Theorie |
18:45 | Virtueller Abendempfang auf Gather, einem entfernungsbasierten Video-Chat in interaktiven 2D-Räumen im Stil der Computerspiele der 1980er und 90er |
Freitag, 4.12.20
14:00 | Kurt Rachlitz (ISF München) & Jan Gehrmann (LMU München): Digitalisierungsprozesse im Lichte der Ko-Evolution von Raum und Medium |
15:00 | Christopher Grieser (TU Berlin): Digitale Räume als technisch geformte Beobachtungskonstellationen |
16:30 | Carsten Ochs (Uni Kassel): Teilhabebeschränkung zur Konstitution von Erfahrungsspielräumen: Ein pragmatistischer Beitrag zur Theorieinformationeller Privatheit (unter digitalen Bedingungen) |
17:30 | Jasmin Siri (Uni Erfurt): Ich bringe dich zum Schweigen! Praxen des Mutens und Blockierens im Medium Twitter |
Kontakt
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Katharina Block (katharina.block@uni-oldenburg.de), Sascha Dickel (dickel@uni-mainz.de), Gesa Lindemann (gesa.lindemann@uni-oldenburg.de) und Jörg Pohle (joerg.pohle@hiig.de).
DIGITAL SOCIETY VORTRÄGE
Diese exklusive Vorlesungsreihe entwickelt eine europäische Perspektive zu den aktuellen Transformationsprozessen innerhalb unserer Gesellschaft.
DIGITALER SALON
Einmal im Monat laden wir ausgewählte Gäste ein, um gemeinsam mit dem Publikum über die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft zu sprechen.
NEWSLETTER
Erfahren Sie als Erstes über neue Events und spannende Forschungsergebnisse.