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People Analytics: Hype, Angst und reale Potenziale
In vielen Bereichen der Arbeitswelt gewinnen Datenanalysen an Bedeutung. Doch was bedeutet es, wenn bei solchen Analysen zunehmend auch Daten der eigenen Beschäftigten verarbeitet werden? In diesem Beitrag diskutieren wir, wer von People Analytics profitieren kann, für wen sie Risiken aufwerfen und was Organisationen bei der Nutzung beachten sollten.
Für viele Organisationen gehört die Auswertung unterschiedlicher Datenarten zum Alltag. Auch die Daten der eigenen Beschäftigten werden dabei zunehmend in den Fokus genommen. Unter der Überschrift People Analytics werden Daten über Beschäftigte erfasst, häufig mit externen Daten kombiniert und statistisch ausgewertet. Im Ergebnis werden Entscheidungen im Personalbereich unterstützt oder auch einzelne HR-Aktivitäten automatisiert. Die öffentlichen Debatten zu People Analytics sind häufig stark polarisiert.
Zwischen Hype und Angst
Ein Team des Bayerischen Rundfunks testete 2021 eine Bewerbungssoftware, die anhand von Stimme, Sprache, Gestik und Mimik ein verhaltensbasiertes Persönlichkeitsprofil von Bewerber*innen erstellen sollte. Das Ergebnis: Mit einer Brille schätzte das System Bewerber*innen weniger gewissenhaft ein; mit Kopftuch offener. Auch der Versuch des Unternehmens Amazon einen Einstellungsalgorithmus zu entwickeln, der auf Basis von Profilen erfolgreicher Einstellungen der vergangenen 10 Jahre die idealen Bewerber*innen ermittelt, misslang. Empfohlen wurde fast ausnahmslos die Einstellung von männlichen Bewerbern. Schließlich sorgte ein “Produktivitätswert” für Furore, der erfassen sollte, wie, wann und wie lange Nutzer*innen in einer Organisation Microsoft-365-Dienste verwenden. Dieser Wert sollte Administrator*innen Einblicke in die Nutzung der IT-Infrastruktur geben. Ursprünglich wurden die Nutzungsdaten jedoch individuell dargestellt. Heute kommt kaum ein Beitrag zu den Risiken von People Analytics ohne eines dieser drei Skandalbeispiele aus.
Auf der anderen Seite prägen auch die Hersteller von People-Analytics-Software selbst die Debatten durch Versprechen wie “Soft Skills […] valide und objektiv [messen]”, “unbewusste Vorurteile mit KI-gestützten Videointerviews [beseitigen]” oder “Mitarbeitende Ihres Unternehmens mit Leichtigkeit [verstehen]”*. Diese Leistungsversprechen wecken hohe und kaum erfüllbare Kund*innenerwartungen und fördern Hypes rund um People Analytics, während Skandale in der Berichterstattung Ängste auslösen. Beides prägt unser Verständnis und unseren Umgang mit People Analytics.
* Die Zitate entstammen Webseiten von People-Analytics-Herstellern und werden hier exemplarisch verwendet.
Für wen wirft People Analytics Risiken auf?
Die Nutzung von People Analytics ist mit Risiken verbunden, die aus den dargestellten Beispielen deutlich werden. Die Recherche des Bayerischen Rundfunks zu KI-basierten Persönlichkeitsanalysen zeigt, dass komplexe Analysen häufig nur begrenzt nachvollziehbar sind und zu selbsterfüllenden Prophezeiungen führen können, etwa wenn Recruiter*innen vor Vorstellungsgesprächen die Information erhalten, dass eine Bewerber*in von einer Software als narzisstisch eingestuft wurde. Das vielzitierte Beispiel des Einstellungsalgorithmus von Amazon zeigt deutlich, dass Algorithmen nicht neutral sind und der Rückgriff auf historische Daten Veränderung hemmen kann. Wenn riesige Mengen an personenbezogenen Daten erfasst und ausgewertet werden, stellen sich schließlich auch Fragen des Datenschutzes und der Privatsphäre von Beschäftigten, wie das Beispiel des Produktivitätswerts von Microsoft verdeutlicht. Und auch für das Management kann People Analytics ein Risiko darstellen, zum Beispiel durch mit der Einführung verbundene hohe Kosten, während der finanzielle Nutzen schwer zu berechnen ist.
Wer profitiert von People Analytics?
People Analytics kann ein profitables Geschäft sein, an dem viele unterschiedliche Akteur*innen inner- und außerhalb von Organisationen beteiligt sind. Das Unternehmen IBM gibt beispielsweise an, durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Personalbereich innerhalb eines Jahres Kosten von mehr als 100 Millionen US-Dollar eingespart zu haben. Auch eine Vielzahl von Startups haben sich inzwischen auf das Geschäft mit Personaldatenanalysen spezialisiert und profitieren von dem Hype: Die KI-basierte Talentmanagement-Plattform eightfold etwa warb kürzlich 220 Million US-Dollar ein und wird nun mit über 2 Billionen US-Dollar bewertet.
Gleichzeitig erschweren die zugespitzten Debatten zwischen Angst und Hype es häufig, sich mit den realen Potenzialen von People Analytics – für Organisationen und Beschäftigte – auseinanderzusetzen. Denn jenseits ferner, hypothetischer Zukunftsszenarien kann People Analytics bereits heute bei dringenden Fragen des Personalmanagements unterstützen, wie unsere Interviews mit People-Analytics-Manager*innen gezeigt haben. Der Fachkräftemangel etwa stellt heute eine große Herausforderung für viele Personalabteilungen dar. Hier können Analysen die Personalplanung unterstützen, indem interne Daten zu Kompetenzen, Rollen & Bedarfen mit externen Marktdaten kombiniert werden, um zu prüfen, wo zukünftig Engpässe entstehen können. Auch die Bindung bestehender Beschäftigter wird hierbei relevant: Mittels automatisierter, anonymer Impulsumfragen wird die Arbeitszufriedenheit in Echtzeit ausgewertet oder bestimmt, welche Faktoren für Beschäftigte am Arbeitsplatz besonders wichtig sind, wie etwa Regelungen zur Arbeit im Homeoffice. Zudem setzen sich viele Organisationen inzwischen eigene Ziele mit Blick auf Vielfalt und Gleichberechtigung. In diesem Kontext kommen Algorithmen zum Einsatz, die zum Beispiel Gehaltsdaten darauf hin analysieren, wie groß die geschlechtsspezifische Lohnlücke in solchen Organisationen ist. Insgesamt haben unsere Interviews gezeigt, dass People Analytics in deutschen Organisationen reale Potenziale hat, die von den medial präsenten Beispielen teils stark abweichen.
Bedarfsorientierung, Partizipation, Kontextualisierung und Datenschutz als wichtige Voraussetzungen
Der Schutz von Beschäftigten ist wichtig, um die Potenziale von People Analytics nutzen zu können. Wenn Anwendungsfälle entwickelt werden, sollte die Frage nach dem realen Bedarf von Beschäftigten und Organisationen an erster Stelle stehen. Verantwortliche sollten Anwendungsfälle nicht nach Machbarkeit und Datenbasis konstruieren. Auch gilt es, Beschäftigte und ihre Vertreter*innen von Beginn an in den Entwicklungsprozess einzubeziehen. Betriebsräte werden häufig zu spät einbezogen, obwohl sie die Arbeitsplätze sehr gut kennen und somit Machbarkeiten gut einschätzen können. Bei der Interpretation der Analysen sollten Nutzer*innen stets auch den Kontext der Daten berücksichtigen, denn People Analytics wird Menschen in ihrer Komplexität nie vollständig erfassen können. Gleichzeitig muss Datenschutz im Zentrum der Entwicklung von Anwendungsfällen stehen, zum Beispiel indem Datenmissbrauch bereits technisch eingeschränkt wird oder Daten lediglich auf Team- oder Organisationsebene statt auf individueller Ebene ausgewertet werden.
Reale Potenziale statt hypothetischer Zukunftsszenarien fokussieren
Die Nutzung und Analyse von Personaldaten wird auch zukünftig eine wichtige Rolle in der Arbeitswelt spielen. Sie kann dabei einige Tätigkeiten im Personalmanagement gut unterstützen. Problematisch wird es hingegen, wenn sie Menschen bewerten oder in eine Rangfolge bringen soll. In der Auseinandersetzung mit People Analytics ist es wichtig, reale Potenziale in den Blick zu nehmen, die die Technologie bereits heute leisten kann, statt sich auf hypothetische Zukunftsszenarien zu fokussieren.
Dieser Beitrag basiert auf einem Vortrag der Autor*innen auf der re:publica 2023.
In diesen Beitrag sind Erkenntnisse aus einem Projekt eingeflossen, für das die Autor:innen Förderung durch die Hans-Böckler-Stiftung erhalten haben
Bildrechte: Philipp Schmitt / Better Images of AI / Data flock (digits) / CC-BY 4.0
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
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