Unsere vernetzte Welt verstehen
Im Wettlauf gegen die Maschinen: Skills für die Zukunft
Künstliche Intelligenz setzt nicht nur Unternehmen, sondern auch Arbeitnehmer*innen zunehmend unter Druck. Gefühlt wird von uns allen ständig verlangt, Neues zu lernen. Doch: in welche Fähigkeiten sollten wir investieren? Was sind die Skills der Zukunft? Diesen Fragen sind wir anhand von Daten einer der weltweit größten Online-Freelancer-Plattformen auf den Grund gegangen. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung von sogenannten “ergänzenden” Skills (Komplementarität). Es zeigt sich außerdem: Fähigkeiten stehen selten alleine; ihr Wert hängt davon ab, wie gut sie andere Fähigkeiten ergänzen. Das Verständnis und die Nutzung dieser Ergänzungen sind entscheidend, um sich an die sich wandelnde Arbeitslandschaft anzupassen.
Der wachsende Bedarf an KI-Skills
Werden wir gegen oder mit den Maschinen ‘wettrennen’ (Brynjolfsson und McAfee 2012)? In der heutigen Arbeitslandschaft hängt das Schicksal sowohl der Arbeitnehmer*innen als auch von Unternehmen von ihrer Fähigkeit ab, technologische Veränderungen zu begreifen und sich anzupassen (Acemoglu 2021). Aufkommende Technologien wie künstliche Intelligenz (KI) haben einerseits das Potenzial, menschliche Arbeit zu ersetzen, können andererseits aber auch Beschäftigungsmöglichkeiten und Wachstum generieren. Etwa wenn eine Nachfrage nach Arbeitskräften besteht, die diese Technologien bedienen können, oder wenn neuartige wirtschaftliche Aktivitäten entstehen (Ilzetzki und Jain 2023, Hötte et al. 2022). Die Gefahr des Verlustes von Arbeit erhöht sich, da sich die Anforderungen an verschwindende Arbeitsplätze von den Anforderungen neu geschaffener Positionen unterscheiden. Gleichzeitig müssen Unternehmen mit der Herausforderung umgehen, immer wieder geeignete Mitarbeiter*innen für neue Positionen zu finden. Um auf dem Arbeitsmarkt “am Ball” zu bleiben, müssen Arbeitnehmer*innen neue Fähigkeiten erwerben und mit ihren vorhandenen kombinieren. Arbeitgeber*innen, wiederum, müssen in die Umschulung ihrer Belegschaft und das Talentmanagement investieren. Jedoch bleibt unklar, wie die genauen Anforderungen für viele dieser aufkommenden Berufe aussehen. Zudem befinden sie sich, genau wie die Technologien, im ständigen Wandel.
Schritt halten mit dem Arbeitsmarkt
Studien zeigen, dass technologische und soziale Veränderungen konventionelle Bildungssysteme schnell überfordern (Collins und Halverson 2018). Das Dilemma, welche Fähigkeiten in der Ära der digitalen Transformation Priorität haben, ist besonders schwierig für Arbeitnehmer*innen, die viel Zeit auf dem Arbeitsmarkt verbracht haben und nicht über die Ressourcen verfügen, ihre Kompetenzen von Grund auf neu entwickeln. Sie müssen Synergien zwischen ihren bestehenden Skills und neuen Fähigkeiten suchen. Folglich sind Politiker*innen, Unternehmen und Arbeitnehmer*innen alle auf der Suche nach solchen Skills, die ihre Zukunft am Arbeitsplatz sichern können.
Komplementarität: Der Schlüssel zu einer wertvollen Kompetenz
Um den Wert von Fähigkeiten besser zu verstehen, haben wir die Profile von rund 25.000 Wissensarbeitern auf einer großen Online-Freelancer-Plattform über zehn Jahre hinweg analysiert (Stephany und Teutloff 2024). Wir definieren eine Fähigkeit als besonders wertvoll, wenn sie die Löhne der Arbeitnehmer neben anderen Faktoren wie Berufserfahrung erhöht. Unsere Haupterkenntnis ist, dass ergänzende Fähigkeiten (Komplementarität, engl. “complementarity”) entscheidend sind, um den Wert einer Fähigkeit zu bestimmen. Ergänzende Fähigkeiten sind solche, die andere Fähigkeiten verbessern. Dies ist aus mehreren Gründen wichtig:
- Skills Sets: In den meisten Berufen werden Fähigkeiten in Kombination angewendet, daher muss der Wert einer Fähigkeit im Kontext ihrer Ergänzung zu anderen beurteilt werden.
- Effizienz bei der Umschulung: Wenn Arbeitnehmer*innen neue Technologien adaptieren, ist es wichtig, dass sie ihre neuen Fähigkeiten effizient mit ihren bestehenden kombinieren.
- Strategischer Wert: Eine breite Palette an ergänzenden Fähigkeiten gibt Arbeitnehmern*innen mehr Optionen zur Umschulung und erhöht ihre Anpassungsfähigkeit an technologische Veränderungen.
Abbildung 1 zeigt, wie die Fähigkeiten in unserer Studie miteinander verbunden sind. Jeder Knoten stellt eine Fähigkeit dar, und Verbindungen zeigen an, wenn zwei Fähigkeiten zusammen genutzt wurden. Je enger die Verbindung, desto häufiger wurde die Kombination angewendet. Wir identifizierten sieben Fähigkeits-Gruppen, die verschiedenen Bereichen der Wissensarbeit entsprechen. Unsere Analyse zeigt, dass Fähigkeiten ähnlicher Art und Wert sich gruppieren. Finanzen und Recht, Marketing, Software und Technik, Design, Verwaltung und Management, Schreiben sowie Audio und Video. Diese erste vorläufige Analyse zeigt, dass Skills ähnlicher Art (Farbe) und Wert (Knotengröße) zusammenkommen. Wir haben in unserer Arbeit zudem die Methode der ökonometrischen Modellierung angewendet, um zu untersuchen, wie die “Nachbarschaft” naheliegender Kompetenzen den Wert einer Fähigkeit bestimmt.
Unsere Studie offenbart, dass der Wert einer Fähigkeit durch drei Hauptfaktoren beeinflusst wird: 1) Vielseitigkeit: Je mehr andere Fähigkeiten eine Fähigkeit ergänzen kann, desto wertvoller ist sie. 2) Diversität: Der Wert steigt mit der Vielfalt der Fähigkeiten, mit denen sie kombiniert werden kann. 3) Wertigkeit der Ergänzungen: Eine Fähigkeit ist umso wertvoller, je höher der Wert der Fähigkeiten ist, mit denen sie kombiniert werden kann. Zudem steigt der Wert einer Fähigkeit, wenn sie besonders gefragt ist.
KI-Skills: Unsere Chance im ‘Wettrennen’ mit den Maschinen
Um unser Konzept in die Praxis umzusetzen, konzentrieren wir uns auf die mit KI verbundenen Fähigkeiten. KI steht an vorderster Front der technologischen Innovation und schafft neue Möglichkeiten und Anforderungen an spezifische Fähigkeiten. Tatsächlich haben sich in unserem Modell KI-Skills wie Programmiersprachen und Datenanalyse als besonders wertvoll erwiesen – wie in Abbildung 2 gezeigt, erhöhen sie die Löhne der Arbeitnehmer*innen im Durchschnitt um 21%. Aber warum?
Die Skills im Bereich KI zeigen eine starke Ergänzung mit verschiedenen anderen Fähigkeiten, sowohl in Bezug auf Anzahl als auch Vielfalt. Darüber hinaus neigen die anderen Fähigkeiten, mit denen KI-Kompetenzen kombiniert werden, selbst von hohem Wert zu sein (Abbildung 2, Panel A2). Dies macht sie äußerst anpassungsfähig und wertvoll in verschiedenen Kontexten. Sie sind in verschiedene Bereiche der Wissensarbeit eingetreten, von Grafikdesign über Übersetzungsarbeit bis hin zur Softwareentwicklung. Darüber hinaus ist die Nachfrage nach KI-Skills in den letzten Jahren gestiegen. Da Branchen aller Art KI annehmen, sind Arbeitskräfte mit Skills im Umgang mit KI stark gefragt, was zu steigenden Löhnen führt.
Umschulung: Stärkung von Arbeitnehmer*innen und Unternehmen
Unsere Forschung hat wichtige Auswirkungen auf Individuen, Unternehmen und politische Entscheidungsträger. Das Verständnis des Werts ergänzender Fähigkeiten ist entscheidend, um Menschen bei der Umschulung zu unterstützen und Organisationen sollten in KI-Fähigkeiten investieren. Weltweit fördern Länder und Unternehmen das Erlernen digitaler Fähigkeiten. Zum Beispiel bietet die Niederlande Anleitung und Zuschüsse für Schulungen über 45 Jahre in den ICT-Sektoren an. Auch Schweden bietet über das Digidel-Netzwerk digitale Kompetenzschulungen für ältere Erwachsene an. Ebenso in den USA und im Vereinigten Königreich bieten Unternehmen wie Verizon und Citi Ausbildungsplätze und betriebsinterne Schulungen für Daten- und digitale Fähigkeiten an.
Anpassungsfähigkeit ist in der sich wandelnden Arbeitswelt unverzichtbar. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Komplementarität – das Kombinieren verschiedener Fähigkeiten – dabei eine zentrale Rolle spielt. Unsere Forschung unterstützt somit die Empfehlungen der Europäischen Kommission, die für personalisierte Lernstrategien eintreten und für flexiblere Zertifizierungsoptionen bei Kompetenzen, die durch berufliche Ausbildung, Kurzkurse oder Schulungsprogramme erworben werden. Diese flexiblen Zertifizierungen, oft als ‘Mikro-Zertifikate’ bezeichnet, sollen sicherstellen, dass sowohl Arbeitnehmer*innen als auch Arbeitgeber*innen gut gerüstet sind, um sich auf die ständig verändernde Arbeitswelt der Zukunft vorzubereiten.
Autoren
Fabian Stephany ist assoziierter Forscher am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft in der Forschungsgruppe Innovation, Entrepreneurship & Gesellschaft. Fabian arbeitet auch als Ökonom und Sozialdatenwissenschaftler am Oxford Internet Institute (OII).
Ole Teutloff ist PHD Fellow am Copenhagen Centre of Social Data Science. Er erforscht die Auswirkungen der digitalen Technologien auf die Gesellschaft mit Fokus auf die Zukunft der Arbeit.
Referenzen
Acemoglu, D (2021), “Dangers of unregulated artificial intelligence”, VoxEU.org, 23 November.
Bastian, M., Heymann, S., & Jacomy, M. (2009, March). Gephi: an open source software for exploring and manipulating networks. In Proceedings of the international AAAI conference on web and social media (Vol. 3, No. 1, pp. 361-362).
Collins, A and R Halverson (2018), Rethinking education in the age of technology: The digital revolution and schooling in America, Teachers College Press.
Hötte, K, M Somers and A Theodorakopoulos (2022), “The fear of technology-driven unemployment and its empirical base”, VoxEU.org, 10 June.
Ilzetzki, E and S Jain (2023), “The impact of artificial intelligence on growth and employment”, VoxEU.org, 20 June.
Stephany, F and O Teutloff (2024), “What is the price of a skill? The value of complementarity”, Research Policy 53(1).
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
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