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15 Mai 2020| doi: 10.5281/zenodo.3828496

»Betriebliche« Kontrolle der Crowd


Nachdem die starke Überwachung von Arbeitenden, wie es in der industriellen Arbeit üblich war, zunehmend außer Mode gekommen ist, scheint sich im Crowdworking dessen digitalisierte Version hervorzutun. Das lässt die Frage nach vermeintlich überwundenen Formen »betrieblicher Kontrolle« in neuem Gewand aufkommen.


Renaissance der Stechuhr

Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Wiedereinführung der »Stechuhr« könnte sich ein altbekanntes Mittel der Überwachung von Arbeit wieder in den Alltag vieler Menschen eingliedern – dieses Mal jedoch mit einer intentionalen Hundertachtziggradwende versehen. Nicht die Arbeitgebenden, sondern die -nehmenden sollen die Möglichkeit erhalten, die Kontrolle über ihre geleistete Arbeitszeit durch deren Transparenzmachung wiederzugewinnen. Auch wenn dabei das Potential zur Umkehrung der intendierten Wirkung besteht, so besteht wohl Hoffnung, dass damit die Diskussion um ein gerechtes Arbeits-Lohn-Verhältnis gestärkt und an der ein oder anderen Stelle den Arbeitenden mehr zeitliche Freiheiten wiedergibt.

Ein kurzer historischer Ausblick: Eine der größten Einschneidungen im Verhältnis von Mensch und Arbeit war wohl die Einführung des tayloristischen Produktionssystems. Dessen ‚scientific management‘ machte es sich zur Aufgabe, durch wissenschaftliche Analysen die Abstimmung zwischen produzierender Technik und Arbeitenden zu optimieren und über die Erfassung individueller Leistung Kontrolle über letztere und ihre Produktivität zu gewinnen. Das tayloristische Überwachungssystem folgte damit einer als klassisch bezeichenbaren Logik betrieblicher Herrschaft.

Crowdworking

So offensichtlich diese frühmodernen Überwachungs- und Kontrollformen mittlerweile nur noch eine marginale Gruppe von Arbeitenden betreffen und durch andere Herrschaftsformen ersetzt wurden, so scheint die strukturelle Veränderung von Arbeit bezüglich ihrer digitalen Transformation ebenjene historische Situation wieder hervorzurufen; Sogenanntes »Crowdworking« bezeichnet diesbezüglich einen Arbeitstyp, der in vielen Hinsichten unterschiedlicher nicht sein könnte als der klassischer Industriearbeit. In Zeiten von Plattform-Unternehmen wie den »Big Five« wird der Arbeitsauftrag zum Gig und die Arbeitsform die der (Schein-)Selbstständigkeit. ‚Crowdworker‘ sind nicht mehr vertraglich in einem Betrieb angestellt, arbeiten aber dennoch für diesen. Und zwar auf ganz spezielle Form, denn Crowdworking läuft vor Allem im digitalen Raum ab:

Aufgaben, die in der entsprechenden Community zur Verfügung gestellt werden, reichen von ‚micro tasks‘ wie dem hunderttausendfachen Kategorisieren von Bildern bis hin zu Wettbewerben für die nächste Imagekampagne. Verdient wird entsprechend der Aufgabe wenige Cents pro Bild oder mehrere Hunderttausend für den Wettbewerbssieg.

Einseitige Überwachung im Crowdworking

Im Rahmen der aufkommenden Debatte um die Arbeitsform des Crowdworkings spielen oftmals die Innovativität, die gesteigerte Flexibilität und Kreativität der Unternehmen und der Crowdworker eine große Rolle. Crowdworker, so legt es ihre Selbstständigkeit nahe, gewinnen Freiheiten, da sie flexibler und autonomer ihre Arbeit strukturieren können. Diese Argumentation funktioniert jedoch nur begrenzt – und sicherlich im Endeffekt auch nur für eine eher kleine Gruppe der Crowdworker. Vielmehr führt die qua Internetzugang zur Verfügung gestellte Arbeit inklusive ihrer Entlohnung dazu, dass viele Arbeitenden, die ansonsten vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind sich als Crowdworker betätigen. Und wären bei diesen Personen/-gruppen nicht bereits vielfältige Diskriminierungsmechanismen gegeben, lässt die Asymmetrie, die sich in der fehlenden Partnerschaft zwischen Unternehmen und (abhängigen) Arbeitenden aufzeigt, auch betriebliche Kontrolle in einem ganz anderen Licht dastehen. Denn die digitalisierte Form der Arbeitsaufgaben erlaubt es gleichzeitig, verschiedene Parameter in ihrer Erledigung zu erfassen. Allen voran die Dauer der Arbeit bzw. die Erledigungsdauer einer Mikrotask, so bspw. die Schnelligkeit der Bildkategorisierung. Das heißt, es wird erfasst, ob mensch 20, 60 oder sogar mehr Bilder in der Minute kategorisiert. Damit wird wiederum ein individuelles Produktivitätsprofil verfügbar gemacht – jedoch nur für die anbietenden Unternehmen. Wie sich auf dem folgenden Modell sehen lässt, kann mithilfe dieser datenerfassenden Überwachung ein individualisiertes Leistungsprofil erstellt werden.

Überwachende Bewertung entspricht Kontrolle

Damit verbunden sind Bewertungssysteme, die Crowdworkern Aufstiegsmöglichkeiten in Leistungsanspruch, Kreativität, Autonomie, Entlohnung und anderen Aspekten ermöglichen sollen. Dem Großteil der Arbeitenden ist es dabei jedoch unmöglich, diese Karriereleiter zu besteigen,  da die Ansprüche zu hoch und die Entlohnung – meist unter Mindestlohnniveau –  zu niedrig ist. Damit bedeuten diese Ratings vor Allem Stagnation, da sie flexibel auf das Produktivitätsniveau der Arbeitenden reagieren können. In dieser Echtzeit-Überwachung im digitalen Raum des Crowdworkings scheint es beinahe so, als wäre das tayloristische System keineswegs ein Relikt vergangener Zeit, sondern Gegenwart und – betrachtet mensch die Entwicklung ökonomischer Strukturen und die Zunahme solcher Plattform-Arbeit – Zukunft. Die betriebliche Logik, Arbeitenden ein Soll-Produktivitätsniveau zuzuweisen und dieses über die Erfassung ihrer Daten, sei es nun analog oder digital, zu kontrollieren und somit ein Machtgefälle zu etablieren, findet sich sowohl bei den (früh-)modernen Industriearbeitenden als auch bei den Arbeitenden der Gegenwart. Mit dem Crowdworking-Modell der Arbeit zeigt sich die tayloristische Überwachung der Arbeit nur in ihrer digitalisierten Form, und birgt dabei ein deutlich höheres Potential zur Kontrolle von Arbeitenden als ihre analoge Vorgängerin.


Rahel Busch ist Masterstudentin der Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zuvor hat sie ihr Bachelorstudium in Soziologie und Philosophie an der Universität Jena absolviert.
Ihre Interesseschwerpunkte sind insbesondere Politische Ökonomie, Digitalisierung, Kapitalismusforschung, Gesellschaftstheorie und Transformationsforschung.

Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de

Rahel Busch

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