Unsere vernetzte Welt verstehen
Anwält*innen der Aufklärung: Engagement für eine gerechte und nachhaltige Digitalisierung
Das Ehrenamt als Vorstandsmitglied des Vereins Digitale Gesellschaft e.V. (DigiGes) ist mit viel Arbeit verbunden. Der Politikwissenschaftler Benjamin Bergemann widmet sich seinem “zweiten kleinen Bürojob”, wie er das Amt nennt, auf dem Weg zu seinem eigentlichen Job. Regelmäßig liest und beantwortet er Mails im Zug. Für das HIIG-Projekt Jung. Digital. Engagiert. sprach Claudia Haas mit Benjamin über sein Engagement bei der Bürgerrechtsorganisation DigiGes, die sich für Grundrechte und Verbraucher*innenschutz im digitalen Raum einsetzt.
Claudia Haas: Der Verein Digitale Gesellschaft hat sich der gerechten und demokratischen teilhabe aller Menschen im digitalen und vernetzten Zeitalter verschrieben. Mit welchem Ziel wurde der Verein 2010 gegründet und wie war die damalige Ausgangslage der netzpolitischen Interessenvertretung?
Benjamin Bergemann: Ich bin zwar kein Gründungsmitglied, aber das Ziel war vor allem, mit der Digitalen Gesellschaft eine professionalisierte Interessenvertretung zu erreichen, bei der Ehrenamtler*innen die Strukturen für eine hauptamtliche Interessenvertretung aufbauen, die sich im Sinne der Zivilgesellschaft mit der Netzpolitik befasst. Das war wichtig, um es zumindest ansatzweise mit den großen Verbänden und anderen Playern aufnehmen zu können. Denn zur damaligen Zeit gab es kaum Leute, die das in Vollzeit gemacht haben und die diesen Impetus hatten, wirklich Interessenvertretung in den politischen Prozess hineinzubringen. Das ist in der Netzszene heute noch teilweise ein Problem. Vereine wie netzpolitik.org oder auch FoeBuD bzw. Digitalcourage gab es damals zwar schon, aber der Rest war mehr oder minder Ehrenamt. Und dieses Ehrenamt, das haben alle Beteiligten gemerkt, kommt an einem bestimmten Punkt an seine Grenzen. Deshalb wollte man professionellere Strukturen schaffen.
Mit welchen Themen beschäftigt sich die Digitale Gesellschaft heute besonders?
Die übergreifenden Themen sind Datenschutz und Meinungsfreiheit im digitalen Bereich. Darunter kann man fast alle unsere Aktivitäten subsumieren. Ein wichtiges Thema, das uns schon gute zwei Jahre begleitet, ist die Diskussion um Uploadfilter1. Der Gesundheitsdatenschutz ist auch ein Thema, das wir seit dem letzten Jahr stärker bearbeiten; hierzu laufen derzeit verschiedene Gesetzgebungsprozesse. Aktuell beschäftigen wir uns auch mit dem Datenschutz in Corona-Zeiten. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz war damals bei der Verabschiedung 2017 ein Riesenthema und wir versuchen, die Umsetzung weiterhin kritisch zu begleiten.
Welche Zielgruppe sprecht ihr an? bestimmt ihr die Relevanz eines Themas auch anhand der Zielgruppe eurer Aktionen?
Wir haben im Kern drei Zielgruppen. Zum einen ist das die erweiterte netzpolitische Zivilgesellschaft. Das ist in Deutschland die doch recht große und vor allem relevante Gruppe derer, die regelmäßig die netzpolitischen Debatten verfolgen und sich auch niedrigschwellig selbst engagieren. Zum Beispiel, indem sie uns oder anderen Vereinen Geld spenden oder Aufrufe weiterverbreiten. Die zweite Zielgruppe sind Menschen, denen das Thema wichtig ist, die politisch interessiert sind, aber die bei Weitem nicht ganz so tief in den Themen drinstecken. Für diese Leute versuchen wir, Themen ehrlich und einfach zu erklären und auf die wichtigsten Aspekte herunterzubrechen. Eine dritte Zielgruppe ist der eher kleine Kreis von Professionellen in Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Zivilgesellschaft, Journalismus, Wissenschaft, die im Grunde selbst auf die ein oder andere Art Netzpolitik oder Digitalpolitik gestalten. Ich würde nicht sagen, dass wir die Themen für die Zielgruppen gewichten. Wenn wir glauben, dass ein Thema wichtig ist, dann kann man das auch der Öffentlichkeit erklären. Im Sinne unseres Selbstverständnisses gibt es allerdings die Tendenz, dass wir im Zweifel lieber erklären und Fragen stellen als spezifische Lösungen vorzuschlagen. Zum einen aus Ressourcengründen, zum anderen ist es nicht unsere Aufgabe, immer zu erklären, wie es besser geht. Für eine zivilgesellschaftliche Grundrechtsorganisation reicht es auch erst mal, Kritik zu üben und die richtigen Fragen zu stellen, um eine Debatte anzustoßen.
Kommen wir mal zu deinem Engagement bei der Digitalen Gesellschaft. In welcher Form engagierst du dich?
Ich bin seit Ende 2017 zusammen mit zwei anderen Mitgliedern im Vorstand der Digitalen Gesellschaft und übernehme dort sehr viele Aufgaben, vor allem organisatorische und administrative. Auch für rechtliche Angelegenheiten bis hin zum Personal ist man im Vorstand zuständig. Ich versuche, weniger inhaltlich zu arbeiten, weil man als ehrenamtlicher Vorstand eher Strukturen für die inhaltliche Arbeit anderer schafft. Aber natürlich bringe ich mich auch gern inhaltlich ein, schließlich engagiere ich mich ja für Themen und nicht für E-Mails und Formulare. Vor allem, wenn es verhältnismäßig wenig Arbeit macht und man sofort angemessenen Input liefern kann. Das ist bei mir vor allem beim Thema Datenschutz der Fall; in dem Feld arbeite ich auch beruflich, dort liegt meine Expertise. Aber eigentlich geht es eben gerade nicht darum, dass die Vorstände auch die politische Arbeit machen.
Wie sprecht ihr euch ab und verteilt Aufgaben? Läuft die Kommunikation über e-Mails, über Messenger oder trefft ihr euch häufig vor Ort?
Es ist eigentlich alles digital. Wir treffen uns schon, aber nicht regelmäßig. Aufgaben mit genug Vorlauf werden per E-Mail oder über den Verteiler koordiniert. Die großen und zeitaufwendigen Aufgaben werden von den Hauptamtlichen erledigt. Zudem gibt es viele niedrigschwellige Aufgaben wie das Fragen nach Bekannten, die Broschüren gestalten und layouten können, oder die Suche nach einem Büro. Da nutzt man das Netzwerk und den Kreis über die Mitglieder hinaus, die man kennt.
Wie viel Zeit investierst du für dein Engagement bei der DigiGes?
Das ist ganz schwierig zu quantifizieren. Am besten lässt es sich mit einem typischen Tag beschreiben: Ich pendele eine Stunde pro Strecke zur Arbeit und brauche täglich mindestens eine dieser Pendelstrecken, um allein auf dem Laufenden zu bleiben und zu reagieren. Dann gibt es in der Woche meist noch einen längeren Termin. Das sind entweder unsere „Netzpolitischen Abende“, ein Interview, ein Vortrag, eine Vorstandssitzung oder etwas Ähnliches. Größere Aufgaben erledige ich meist an den Wochenenden oder an einem längeren Abend. Zum Beispiel die Aufstellung der Finanzen oder das Mitschreiben an einer Stellungnahme. Das macht man nicht mal eben auf der Zugfahrt. Ganz langweilig gesagt, es wie ein zweiter kleiner Bürojob: E-Mails schreiben, organisieren und so weiter.
Wieso interessierst du dich spezifisch für die Themen, für die die DigiGes steht?
Ich war nie der große Programmierer, aber auf einem fortgeschrittenen Level haben mich schon während der Schulzeit Computer immer interessiert. Später kam das Interesse an Politik dazu und ich habe dann Politikwissenschaft studiert und mich für netzpolitische Themen interessiert. Diese Mischung aus Computer und Politik war einfach perfekt! Als ich noch zur Schule gegangen bin, kamen die Piraten langsam hoch, die fand ich als Schüler cool und frech. Dann habe ich angefangen, mich mit ihren Themen näher auseinanderzusetzen und mir ist immer bewusster geworden, wie wichtig die sind, was sie bedeuten. Und das treibt mich bis heute an: die Motivation, ein Bewusstsein für die Themen zu schaffen und eine Debatte zu eröffnen. Professionelle Organisationen wie die DigiGes sind hierfür wichtig. Bei den Uploadfilter-Demos wurde das deutlich: Es gab ein Bündnis aus Ehrenamtlichen und Professionellen. Die DigiGes hatte ein Konto, konnte als gemeinnütziger Verein Spenden annehmen und zudem eine Büroadresse für das Impressum der Demonstrationswebsite zur Verfügung stellen. So konnten wir eine Infrastruktur für die einzelnen Initiativen bieten.
Zum Thema Motivation: Was ist deine Motivation für dein Engagement bei der Digitalen Gesellschaft? Du hast schon einige Punkte genannt, wie dein persönliches Interesse an dem Thema und dass es dir am Herzen liegt, ein Bewusstsein für digitale Grund- und Freiheitsrechte zu schaffen. Gibt es noch weitere Gründe?
Es sind noch zwei Faktoren, die erst in der Auseinandersetzung über die Jahre dazugekommen sind. Zum einen wird es mir immer wichtiger, dass eine fundierte Technikkritik nicht als Skeptizismus oder Maschinenstürmerei verstanden wird. Gerade als Berufs-Datenschützer ist es mir ein wichtiges Anliegen, nicht als Digitalisierungsbremse verstanden zu werden. Das ist ein bisschen wie in der Umweltbewegung: Dort wollen die Aktivist*innen ja auch nicht zurück in die Höhle oder zurück in ein vorindustrielles Zeitalter, sondern sie wollen eine moderne Gesellschaft – aber eine, die nachhaltig mit den Ressourcen des Planeten umgeht. Wir wollen auch nicht Computer und das Internet abschaffen, sondern wir wollen sie im Sinne einer offenen Gesellschaft genutzt sehen. Nicht zuletzt treibt mich auch an, Probleme der Digitalisierung nicht nur auf einer individuellen Ebene zu sehen. Damit habe ich mich auch in meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung beschäftigt. Die gesellschaftlichen Probleme oder politischen Fragen der Netzpolitik werden noch zu sehr individualisiert und es wird gesagt „Kann jede*r selbst entscheiden“. Die Nachteile werden dann zunehmend auf psychologische Effekte reduziert. Aber hier geht es nicht im engeren Sinne um psychologische Fragen und Fragen von Aufmerksamkeit und Kognition, also was zum Beispiel als „Digital Wellbeing“ diskutiert wird. Es geht um politische, um strukturelle Fragen. Diese Individualisierung des Themas zu verhindern ist mir zunehmend auch ein wichtiges Anliegen.
Wenn du einmal zurückblickst, welche Herausforderungen musstest du bei deinem Engagement bewältigen?
Auf der persönlichen Ebene würde ich sagen, mit der eigenen Zeit und den eigenen Ressourcen zu haushalten. Aber das gilt auch für den ganzen Verein. Alle Beteiligten haben das Gefühl, dass die Zeit und die Ressourcen fehlen, sich sowohl in das Organisatorische als auch in die Themen so einzuarbeiten, wie es manchmal sein müsste. Irgendwas bleibt dann eben auf der Strecke. Auf Organisationsebene ist natürlich auch die Zusammenarbeit zwischen den ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeiter*innen interessant. Das geht schon bei der Arbeitszeit los: Die Ehrenamtlichen können immer dann, wenn die Hauptamtlichen eigentlich Feierabend machen müssten.
Schließlich sind auch die finanziellen Mittel eine Herausforderung. Das gilt vermutlich für die gesamte netzpolitische Zivilgesellschaft. Wir haben im Moment zwei hauptamtliche Mitarbeiterinnen und eine studentische Mitarbeiterin. Mehr können wir uns nicht leisten. Mit der großen, netzpolitischen Zivilgesellschaft sind wir in Deutschland allerdings in einer guten Lage. Das ist ein relativ großes Publikum von Leuten, das auch bereit ist zu spenden. Als Form des niedrigschwelligen Engagements sozusagen. Was aber fehlt, ist eine zweite Finanzierungssäule, die auf Stiftungsgeldern basiert. Das wird langsam mehr, ist aber immer noch zu gering ausgebaut, vor allem, wenn man das mit anderen Politikbereichen vergleicht. Die Unsicherheit unserer finanziellen Ressourcen ist ein Riesending und erschwert uns natürlich auch die Planung.
Wie finanziert sich die Digitale Gesellschaft?
Unsere Finanzierung besteht aus verschiedenen Teilen. In den letzten Jahren waren es ungefähr zu einem Drittel Projektgelder, weil wir viele Projektarbeiten angenommen haben, wie zum Beispiel die Erarbeitung eines Portals, das die Datenschutz-Grundverordnung erklärt. Ein weiteres Drittel machen Einzel- und Dauerspenden aus. Den letzten Teil bilden Stiftungsgelder. Seit Anbeginn der DigiGes stiftet die Open Society Foundations Mittel, die projektunabhängig vergeben werden. Das ist allerdings immer noch ein sehr seltenes Modell.
Nachdem du über die Herausforderungen bei deinem Engagement erzählt hast, schwenken wir doch zu den Lichtmomenten. Was gibt es für Erfolge, die du persönlich, aber auch für den Verein erzielen konntest?
Das waren die großen Uploadfilter-Demos, zu denen die Digitale Gesellschaft einen kleinen Teil beitragen konnte, indem sie Infrastruktur im Hintergrund bereitgestellt hat. Ich selber war sehr bewegt, so viele Menschen für unsere Themen auf der Straße zu sehen und ein Interesse geweckt zu haben. Im Prinzip wusste jeder junge Mensch, wofür Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform steht.
Wenn man Erfolg allerdings rein inhaltlich am Output orientiert betrachtet, dann wäre man in der Netzpolitik ganz schnell enttäuscht. Die großen Gesetzgebungsprozesse der letzten Jahre waren eigentlich Niederlagen für die netzpolitische Zivilgesellschaft. Die Datenschutz-Grundverordnung und die Netzneutralität einmal ausgenommen. Aber bei anderen Themen, wo wir ganz stark dabei waren wie dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, der Urheberrechtsrichtlinie mit den Uploadfiltern, die kaum beachteten Änderungen im Bereich Patient*innendatenschutz waren wir nicht erfolgreich. Da sollte man den Erfolg als kleine zivilgesellschaftliche Organisation nicht daran bemessen, dass man so ein Gesetz verhindert hat oder zu seinen Gunsten gedreht hat oder verändert hat. Das spiegelt die Kräfteverhältnisse nicht wider. Da ist man ganz schnell enttäuscht. Für uns ist es ein Erfolg, dass wir zum Teil bei diesen Gesetzen auf einer inhaltlichen Ebene Konzessionen abgerungen, eine Debatte, ein Bewusstsein für diese Themen erzeugt und überhaupt erst mal solche Konfliktlinien etabliert haben. Die Etablierung dieser Konfliktlinien ist ein Prozess, den die netzpolitische Zivilgesellschaft erst langsam angeht. Es handelt sich hier um eine größere Transformation. Aber die Umweltbewegung, zum Vergleich, löst ihre Probleme auch nicht an einem Tag. Die nachhaltige Umgestaltung der Welt ist wahrscheinlich nie beendet.
Was auch ein Erfolg ist: In den letzten Jahren gibt es sowohl innerhalb der netzpolitischen Zivilgesellschaft als auch mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen immer mehr Bündnisse und wir sehen, dass sich zum Beispiel alte und neue Bürgerrechtsorganisationen zusammentun und zusammen offene Briefe schreiben. Man merkt, digitale Grundrechte und digitale Nachhaltigkeit sind Thema einer größeren Zivilgesellschaft.
Schließlich ist ein weiterer Erfolg die Kontinuität des Vereins. Es ist nicht selbstverständlich, noch da zu sein. Man kann schnell Erfolg haben, aber auch klein bleiben oder wieder kleiner werden. Wir arbeiten hart daran, die Organisation kontinuierlich aufrechtzuerhalten.
Vielen Dank für das Gespräch, Benjamin!
Fußnoten
(1) Als Uploadfilter wird eine Software bezeichnet, die hochzuladende Dateien inhaltlich überprüft und den Upload unter bestimmten Umständen verhindert. Uploadfilter wurden lange Zeit auf europäischer Ebene diskutiert. 2019 wurde die Einführung der Urheberrechtsreform vom EU-Parlament beschlossen.
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
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