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31 Mai 2016

Live-streaming im Internet und seine Auswirkungen auf die Medienlandschaft

Live-streaming galt lange als Alleinstellungsmerkmal des linearen Fernsehens. Immer mehr Anbieter ermöglichen es den Nutzern, mit dem Smartphone Inhalte live und global zu verbreiten. Diese Entwicklung treibt den Medienwandel voran. Mitte Mai diesen Jahres wurde ein neuer Rekord auf Facebook mit über 100 Millionen Live-Views aufgestellt. Dieser Artikel regt an, eine neue Definition des Phänomens der Live-Übertragung zu finden, die den aktuellen Entwicklungen gerecht wird.

Live-streaming galt lange als letzte Bastion des linearen Fernsehens in der Abgrenzung zu Video on demand in Form von Plattformen wie YouTube, Netflix oder Hulu, die mit ihren on demand Angeboten große Reichweiten erzielen.  Zunehmend verbreiten sich Video-Livestreams auf diesen Plattformen, angefangen mit Apps wie Meerkat und Periscope, über Gaming-Plattformen wie Twitch bis hin zu YouTube und Facebook. Mit dem Live-Element setzen die Online-Plattformen zunehmend auf ein Feature, das lange als Alleinstellungsmerkmal des klassischen Fernsehens galt. Die damit eingeläutete Runde im Kampf um die Aufmerksamkeit der Zuschauer nimmt weiter an Fahrt auf.

Entwicklungen in Deutschland

In den vergangenen Jahrzehnten versammelten sich die Zuschauer zu Live-Übertragungen großer Shows und vor allem Sportereignissen vor dem Fernseher. Die Übertragungen sorgten für Gesprächsthemen am nächsten Tag. Heute haben sich die Gewohnheiten vieler Zuschauer geändert. Sie gestalten ihre Mediennutzung flexibel. Die Fernsehanstalten versuchten, dieser Entwicklung gerecht zu werden, etwa indem sie Mediatheken aufbauten. Die Quotenmessung ist dabei, auch diese Nutzungsarten in ihre Reichweitenmessung mit aufzunehmen (Medienkorrespondenz 2015). Private Fernsehsender entsprechen dem Wunsch der Zuschauer nach on demand Nutzung der Inhalte mit eigenen Plattformen wie Maxdome (ProSieben Sat.1), RTL Now oder ProSieben Sat.1 (7TV App). Im Sinne von Clayton Christensen (1997), dem amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler und seiner Theorie der disruptiven Innovation investierten vor allem private Fernsehanstalten in innovative Unternehmen oder bauten diese auf, um sich neuen Nutzungsgewohnheiten anzupassen und sich auch zukünftig behaupten zu können. Entstanden sind beispielsweise die Multi-Channel-Networks (MCN), Studio71 (ProSieben Sat.1) und Divimove (Bertelsmann). Das sogenannte “Junge Angebot” von ARD und ZDF soll im Herbst 2016 online gehen. Andere Formate wie z.B. das Neo Magazin Royal nutzen geschickt Drittplattformen wie YouTube, Facebook und Twitter, um ihre Inhalte, die vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen als lineare Inhalte produziert werden, auch auf diesen Drittplattformen zu verbreiten und so weitere Zuschauer zu erreichen. Dabei gelingen immer wieder virale Erfolge, die viele Views auf YouTube generieren (Polizistensohn, 15 Millionen Views).

Aufgrund diffiziler rechtlicher Situationen ist es für Zuschauer oft unverständlich, warum z.B. Sportereignisse wie Bundesliga-Übertragungen zwar live in den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Anstalten verbreitet wurden, on demand aber nicht verfügbar waren, auch nicht in der Tagesschau. Umso erfreulicher für die Zuschauer war es, dass das DFB-Pokalfinale in diesem Jahr nicht nur über daserste.de gestreamt wurde, sondern auch legal über YouTube und dort immer noch on demand verfügbar ist. Besonders spannend wird die Versteigerung der wertvollen Bundesliga-Übertragungsrechte für die Saison 2017/18, hier könnte Amazon mitbieten.

Entwicklungen in Großbritannien und den USA

Wie so häufig ist der Live-Streaming-Markt zwischen klassischen Fernsehsendern und neuen Anbietern in Großbritannien und den USA bereits deutlich weiter entwickelt als es in Deutschland der Fall ist. In den USA, Heimat vieler neuer Anbieter, die Live-Streaming für sich entdeckt haben und weiterentwickeln, hat zuletzt der Streaming-Anbieter Hulu für 2017 angekündigt, ebenfalls einen Live-Streaming-Service anzubieten. Bezeichnend für den amerikanischen und auch den britischen Markt sind die hohen Gebühren, die Nutzer für den Empfang von Kabelsendern zu zahlen bereit sind. Vor diesem Hintergrund kommt den Angeboten der Streaming-Anbieter, on demand und live, mit deutlich niedrigeren Gebühren eine besondere Bedeutung zu. Im April wurde bekannt, das Twitter zukünftig einige Spiele der National Footbal League (N.F.L.) übertragen wird. Sport-Übertragungen stoßen auch hier auf besonderes Interesse bei den Zuschauern und sind für die Entwicklung der Medienlandschaft von Bedeutung. Die britische BBC als öffentlich-rechtliche Anstalt hat bereits bei der Winterolympiade 2014 in Sotschi eine umfangreiche 360°-Strategie entwickelt, die Live-Streaming im Internet auf verschiedensten Plattformen in Verbindung mit verschiedenen Tools zur Einbindung der Zuschauer beinhaltete.

Als zwei wesentliche Kernelemente des Fernsehens sieht die Filmwissenschaftlerin Sørensen (2016) die Fähigkeit an, große Reichweiten zu erzielen und Live-Übertragungen technisch zu ermöglichen. Diese beiden Aspekte scheinen nicht mehr länger Alleinstellungsmerkmale des klassischen linearen Fernsehens zu sein. Und die BBC scheint bereits Strategien der Vermischung gefunden zu haben, die von den Zuschauern angenommen werden (Sørensen 2016, Seite 382).

Fazit

Entsprechend der Theorie der disruptiven Innovation von Christensen scheint es für etablierte Anbieter und Firmen entscheidend zu sein, neue Nutzungsgewohnheiten zu bedienen, um die eigene Relevanz zu behalten. Entsprechende Beispiele wurden oben genannt. Von Bedeutung ist nicht nur die Frage der Technologie, sondern auch die der Inhalte. Sportereignisse, sowie auch Nachrichten sind für Live-Übertragungen von entscheidender Bedeutung für die Zuschauer. Andere Arten von Inhalten sind zunächst günstige, eher qualitativ weniger hochwertige Inhalte. Bei Plattformen wie YouTube war zu beobachten, dass user-generated content zum Wachstum beigetragen hat, bevor eine Professionalisierung der Inhalte einsetzte. Betrachtet man die bisher erfolgreichsten Live-Übertragungen auf Facebook, die Wassermelone von Buzzfeed, Content von Prominenten oder Candace Payne mit der Chewbacca Maske, so lässt sich die geringe technische Qualität der Inhalte erkennen. Bei dem Video von Candace Payne, was am Mitte Mai diesen Jahres den neuen Rekord an Live-Views auf Facebook aufgestellt hat, handelt es sich vermutlich um eine gezielte Kampagne um die StarWars-Figur Chewbacca zu bewerben und könnte sich also um Branded Content handeln (nähere Infos zu diesem Thema: siehe hier, letzter Blogpost des Autors).

Da zwischen diesen beiden Beispielen von Live-Übertragungen und einer Sendung von “Wetten Dass…?” große Unterschiede bestehen, bedarf es möglicherweise einer neuen Definition des Begriffs der Live-Übertragung, wie es Sörensen (2016, Seite 396) vorschlägt: “It is (…) that the notion of live television is being redefined. Liveness on television can no longer be seen solely in terms of the temporal immediacy between the transmitted event and the receivers of this TV coverage. It has to be understood in the context of the entire multiplatform and interactive mediascape that it is part of, and evolving around, as well as in relation to the dynamics between devices, platforms and content providers.”

Vor diesem Hintergrund erlangt die Frage der Auffindbarkeit von Live-Inhalten eine zunehmende Bedeutung. Hier sind Search Engine Optimization (SEO), Empfehlungsysteme und Trending Topics wichtige Faktoren. Twitter macht es dabei seinen Nutzern relativ leicht, indem ersichtlich ist, welche Hashtaggs derzeit besonders gefragt sind. So trägt die Plattform zur Auffindbarkeit von Inhalten bei. Viele YouTuber arbeiten ebenfalls stark mit SEO und der Nutzung von Trending Topics in den Taggs eines Videos. Für Live-Inhalte auf Facebook müssen sich vergleichbare Mechanismen erst noch etablieren.

Foto: User: Kenny Louie / FlickrCC BY 2.0


Referenzen:

  • Belson, Ken; Isaac, Mike: “Twitter gains rights to stream Thursday N.F.L. games”, New York Times, 5. April 2016
  • Clayton, Clayton: “The innovator’s dilemma.” Harpers Business, 1997
  • Medienkorrespondenz: “AGF will auch die Nutzung von YouTube-Videos messen”, 2015
  • Sørensen, Inge Ejbye “The revival of live TV: liveness in a multiplatform context. Media, Culture & Society, 2016
  • W&V: “<Chewbacca Mask Lady> sorgt für Klickrekord”, W&V Online, 23.05.2016

Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de

Urs Kind, Dr.

Ehem. Assoziierter Forscher: Daten, Akteure, Infrastrukturen

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