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Artificial Intelligence made in X: die deutsche KI-Policy-Landschaft
Künstliche Intelligenz (KI) ist international ein wichtiges Thema geworden, und damit auch die Governance von KI. In den letzten Jahren wurden zahlreiche nationale und internationale Policy-Dokumenten zum Thema KI veröffentlicht. Aktuell ist beispielsweise der AI Act der EU ein kontrovers diskutierter Fall. Doch wer hätte gedacht, dass sich auch die deutschen Bundesländer mit dem Thema KI beschäftigen? Tatsächlich hat jedes Bundesland mindestens ein Dokument veröffentlicht, welches sich mit KI-Policy auseinandersetzt. Da die subnationale Ebene der Entscheidungsfindung bei Diskussionen zur Governance von KI oft übersehen wird, zeigen wir in unserer Forschung eine föderale Perspektive auf KI.
Der Begriff “KI-Policy” wird oft benutzt, um die Vielzahl an politischen Bemühungen zusammenzufassen, die auf die Steuerung und Regulierung von künstlicher Intelligenz abzielen. Bisher konzentriert sich die KI-Policy-Forschung hauptsächlich auf die nationale, internationale und supranationale Ebene. Auch wir haben uns in unserer Forschung zunächst mit KI-Politik auf nationaler Ebene beschäftigt. Denn unser Forschungsprojekt “Shaping 21st Century AI” hat zum Ziel, die Gestaltung von KI in Politik, Medien und Forschung in vier Ländern (Kanada, Frankreich, Großbritannien und Deutschland) vergleichend zu untersuchen.
KI-Policy-Forschung sollte nicht auf der nationalen Ebene enden!
Derzeit liegt unser Hauptaugenmerk auf der Erforschung von Aushandlungsprozessen und Kontroversen innerhalb der deutschen KI-Landschaft. Zunächst fokussierten wir uns auf Ankündigungen und Verteilung von Ressourcen im öffentlichen Sektor sowie andere politische Maßnahmen im Zusammenhang mit KI. Während der Datenerhebung von Policy-Dokumenten auf nationaler Ebene entdeckten wir jedoch auch politische Maßnahmen und strategische Dokumente, die auf subnationaler Ebene veröffentlicht wurden. Da die deutsche Bundesregierung 2018 eine nationale Strategie veröffentlichte und diese im Jahre 2020 aktualisierte, waren wir über die Vielzahl an Dokumenten aus den Bundesländern erstaunt. Wir stellten uns deshalb die Frage: Warum haben selbst die Bundesländer das Bedürfnis, für sich selbst eine KI-Policy aufzustellen?
Wir begannen, uns tiefergehend mit dem Thema subnationaler KI-Policies zu beschäftigen. Dabei stellten wir fest, dass jedes Bundesland mindestens ein Dokument zur Künstlichen Intelligenz und dem Umgang mit dieser veröffentlicht hat. Dies kann, zumindest teilweise, durch die Kompetenzverteilung im deutschen föderalen System erklärt werden. Die kooperative Entscheidungsfindung ist ein grundlegender Bestandteil der institutionellen Struktur Deutschlands. Da die Zuständigkeiten zwischen den beiden Regierungsebenen aufgeteilt sind, spielen auch subnationale Institutionen eine Rolle bei der Entwicklung von Policies und deren Umsetzung. Dies gilt insbesondere für Bereiche wie Bildung, Strafverfolgung, Kunst- und Kulturpolitik und Medienordnung, in denen die Länder die alleinige Zuständigkeit haben. Dies spielt insbesondere bei technologischen Entwicklungen wie KI eine wichtige Rolle, da diese sektorübergreifend eingesetzt werden können und somit viele unterschiedliche Politikbereiche berühren. Die nationale KI-Strategie schlägt zum Beispiel vor, neue Lehrstühle zu schaffen und Forschungsprojekte zu finanzieren. Hochschulbildung und universitäre Forschung sind jedoch Bereiche der Bildungspolitik, welche in die Zuständigkeit der Länder fallen und daher auch von den Bundesländern geplant und umgesetzt werden.
Wie gehen die Bundesländer Künstliche Intelligenz an?
Unsere Untersuchung subnationaler KI-Policies zeigt eine Reihe von Wegen auf, welche die Bundesländer vorschlagen, um mit KI umzugehen. Ein Großteil der Bundesländer äußert beispielsweise das Ziel, eine bessere Vernetzung von Wirtschafts- und Forschungsakteuren herzustellen, um die Entwicklung von KI “erfolgreich” voranzutreiben. Eine solche Vernetzung soll transformativ sein, Wissenstransfer fördern und sich in Netzwerken manifestieren. Ein weiteres zentrales Muster in der KI-Policy subnationaler Regierungen ist das Spannungsverhältnis zwischen dem Wettbewerb unter den Bundesländern einerseits (z.B. Führungsanspruch einzelner Bundesländer) sowie der Kooperation mit der nationalen und der EU-Ebene andererseits.
Interessanterweise verknüpfen viele deutsche Bundesländer ihre vorgeschlagenen Maßnahmen mit ihrer wirtschaftlichen Identität. So sind beispielsweise die Automobilhersteller ein Schwerpunkt in der KI-Strategie von Baden-Württemberg und die Etablierung eines “finance hubs” ein Ziel der hessischen KI-Policy. Darüber hinaus schlagen mehrere Bundesländer das Markenzeichen “AI made in …” vor (wobei das jeweilige Bundesland die Leerstelle ausfüllt). Diese Marke soll das oft angepriesene “AI made in Europe” widerspiegeln.
Die öffentliche Verwaltung ist ein weiterer Bereich, in dem Bundesländer planen, KI voranzutreiben. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund von Digitalisierungsprozessen, die bereits auf nationaler Ebene stattfinden, interessant. Behörden auf Länderebene sind bereits in erheblichem Maße an den Bemühungen um eine “digitale Regierung” beteiligt.
Ethik und Partizipation auf Länderebene
Die Policy-Dokumente der deutschen Bundesländer enthalten außerdem eine ganze Reihe von ethischen Werten und Grundsätzen. Häufig sind diese Grundsätze aus der nationalen KI-Strategie oder dem Grundgesetz abgeleitet, die beide als Maßstab dienen. In diesem Zusammenhang verweisen einige der subnationalen KI-Policies auf die deutsche (und europäische) KI-Entwicklung, die aufgrund ihrer oft proklamierten Betonung der Ethik im globalen Vergleich überlegen sei. Zugleich bekennen sich die Länder zu Prinzipien wie Transparenz und Nicht-Diskriminierung.
Im Vergleich zu nationalen und internationalen KI-Policies finden sich in subnationalen KI-Policies auch erstaunlich viele Vorschläge für partizipative Formate wie Bürger*innenbefragungen. Auch dies könnte durch die politische Struktur des deutschen Mehrebenensystems erklärt werden: Die Bundesländer sind näher an ihren Bürger*innen als die Bundesregierung und daher eher für die Notwendigkeit sensibilisiert, KI in gesellschaftliche Prozesse einzubinden. Doch trotz des erklärten Willens der Bundesländer, Bürger*innen und deren soziale Belange einzubeziehen, scheinen die vorgeschlagenen Maßnahmen keinen Raum zu lassen, um den Einsatz von KI grundsätzlich in Frage zu stellen. Stattdessen werden sie als Mittel eingesetzt, um die KI-Strategien der Länder zu legitimieren und eine stärkere Akzeptanz von KI in der Zivilgesellschaft zu schaffen. Dies deckt sich mit weiteren Studien, die eine Art “Unvermeidbarkeit von KI” in der Berichterstattung nationaler Medien und im politischen Diskurs über künstliche Intelligenz feststellen.
Ein blinder Fleck der KI-Policy-Forschung?
KI-Policy entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern innerhalb bestehender politischer Strukturen. Die Analyse von nationalen, internationalen und supranationalen Bemühungen zur Governance von Künstlicher Intelligenz ist sicherlich wichtig. Darüber hinaus sind wir jedoch überzeugt, dass eine stärkere Beachtung subnationaler Bemühungen zur Gestaltung von KI beachtenswert und notwendig ist. Da Zuständigkeiten in föderalen Systemen für bestimmte Politikbereiche zwischen der nationalen und der subnationalen Ebene aufgeteilt sind, fehlt der KI-Policy-Forschung eine wichtige Dimension der Politikgestaltung und -umsetzung, wenn politische Institutionen und Ebenen wie jene der Bundesländer nicht berücksichtigt werden. Wir hoffen daher, dass es in naher Zukunft mehr Forschung geben wird, die sich mit der Gestaltung von KI-Governance auf allen Ebenen befasst.
Referenzen
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Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
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