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04 Juni 2020| doi: 10.5281/zenodo.3874823

Die Corona-Warn-App ist weniger ein technisches Problem als ein Kommunikationsproblem

Dass die vielzitierte „Corona-Warn-App“ im Vorfeld datenschutzrechtlich kritisch diskutiert wurde, ist selbstverständlich. Dass es technische Probleme geben kann, war auch zu erwarten – solche Probleme sind aber nur da, um gelöst zu werden. Das eigentliche Problem der Warn-App könnte die Kommunikation darüber und dadurch ausgelöste Unvorsicht sein.


In Deutschland steht die Einführung einer Corona-Warn-App unmittelbar bevor. Das ist gut so, denn für ihr Wirken müssen sehr viele Faktoren ineinandergreifen, die sich vorab kaum absehen und simulieren lassen. Gerade wegen dieser Unsicherheit ist es gut die Warn-App bald zu starten. Denn nur so können wir feststellen, ob und wie die App uns hilft, wenn es im Herbst wieder kritisch werden sollte.  

Die Corona-App hilft nur, wenn viele sie nutzen 

Es ist inzwischen wohlbekannt, dass die Wirksamkeit der App auf einem Netzeffekt basiert: Die App hält die Corona-Pandemie umso besser unter Kontrolle – jedenfalls in der Theorie –  je mehr Menschen sie nutzen. 

Die Wirksamkeit wächst überproportional mit der Zahl der Nutzer. Die einschlägigen Simulationsstudien gehen von einem Wert von etwa 60 Prozent der Bevölkerung aus. Dies bedeutet, dass in Deutschland mehr als 48 Mio. Menschen die App installieren und dauerhaft nutzen müssen, wenn sie wirken soll. Wird dieser Wert erreicht, würden 36Prozent der potenziell infektiösen Kontakte erfasst, nämlich 60 Prozent von 60 Prozent. Beträgt der Bevölkerungsanteil hingegen nur 10 Prozent, sinkt der Wert erfasster Kontakte auf 1 Prozent. Die App wäre dann nahezu unwirksam. 

Es ist deswegen ratsam, hier gleich zu Beginn zu betonen, dass die App kein Allheilmittel ist, insbesondere erzeugt sie keine Sicherheit, wenn man als Nutzer nicht gewarnt wird. Allen Nutzern deutlich zu machen, dass sie sich nicht unvorsichtig verhalten dürfen, nur weil sie die App installiert und aktiv haben, ist eine schwierige Kommunikationsaufgabe.

Die App sollte auch zeigen, wieviele potentiell infektiöse Kontakte übersehen werden 

Solange nicht 100 Prozent der Bevölkerung die App nutzt kann die App denen, die sie installiert haben, keine Entwarnung geben, da ja nicht alle Risikokontakte erfasst werden.  Wenn zum Beispiel nur 10 Prozent der Bevölkerung die App aktiviert haben, dann bedeutet eine Meldung wie „Sie haben bisher keine Risiko-Begegnung gehabt“ nicht viel – denn die App übersieht ja 90 Prozent aller Risiko-Begegnungen, die ein App-Nutzer hatte. Selbst bei einer Nutzung durch 60 Prozent der Bevölkerung – mehr ist im Moment nicht zu erwarten – werden noch 40 Prozent der Risiko-Kontakte von der App nicht gemeldet. Es ist alles andere als Leichtsinn angesagt. 

Um dem vorzubauen könnte es hilfreich sein, wenn die App nicht nur anzeigt, dass ein App-Nutzer bislang keinen Risiko-Kontakt hatte, sondern die App auch unübersehbar mitteilt, wieviele Menschen die App installiert haben und wieviele potentiell infektiöse Kontakte deswegen systematisch übersehen werden. Klar: Dadurch sinkt in den Augen eines Nutzers der Wert der App, aber sie zeigt dann ein klareres Bild der Realität. Und Leichtsinn ist gefährlich, wenn das Leben wieder ziemlich normal ist und es deswegen auch das Tragen von Masken und Abstandhalten sehr ankommt.

Die App baut auf verantwortungsvolles Verhalten der Nutzer*innen

Der Nutzen der App ist aus individueller Sicht ohnehin beschränkt, da die Person, die die App nutzt, bei einem Risiko-Kontakt lediglich darüber informiert wird, dass sie infiziert sein könnte. Sie oder er kann sich dann testen lassen und gegebenenfalls die anderen Nutzenden über die eigene Infektion informieren; nicht mehr, nicht weniger. Wie ein App-Nutzer mit diesen Möglichkeiten umgeht und ggfs. dazu beiträgt, dass etwaige Infektionsketten unterbrochen werden, ist offen. Insbesondere dann, wenn jemand öfter gewarnt wurde, und jedesmal keine Infektion vorlag. 

Und wenn zu wenig Tests auf Infektion zur Verfügung stehen, wäre bei einer Warnung eigentlich eine Selbst-Quarantäne angesagt. Wer würde das wirklich machen, wenn sich herumspricht, dass die meisten Warnungen nicht mit einer Infektion verbunden waren. Denn wir wissen inzwischen: Die meisten machen sich wegen der Corona-Pandemie keine großen Sorgen um ihre Gesundheit, aber umso mehr um die ökonomischen und sozialen Folgen. 

Wir müssen die Zeit nutzen, um aus der App-Nutzung zu lernen

Der Erfolg der App wird von vielen Details abhängen. Niemand kann diese im Moment vollständig überblicken oder gar simulieren. Wir werden diese Unsicherheit aushalten und weiter – wie seit Beginn der Pandemie  –  Erfahrungen sammeln müssen. Deswegen ist der Launch gerade jetzt, in einer Phase der Covid-Stagnation sinnvoll. Denn im Gegensatz zu der Lage im März und April besteht nun die Möglichkeit zum Lernen, ohne dass Fehler sich schwerwiegend auf das Infektionsgeschehen auswirken werden. 

Für den erhofften Lernerfolg wird es wichtig sein, dass viele Menschen rasch die App installieren und nutzen. Würde zu Beginn ein Anteil von 30 Prozent erreicht, würden knapp zehn Prozent aller potenziell infektiösen Kontakte erfasst. Bei derzeit etwa 500 neu gemeldeten Infektionen pro Tag würden durch die App dann etwa 50 Infektionsketten aufgedeckt – gerade genug, um daraus lernen zu können.


Gert G. Wagner ist Research Associate des Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft und Mitglied des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen (SVRV)

Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de

Gert G. Wagner, Dr.

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