Unsere vernetzte Welt verstehen
Digitale Geschäftsmodelle im Handwerk
Anfang März 2017 fand die dritte Regionalkonferenz Digitale Geschäftsmodelle – made in Germany statt, die vom Zentralverband des Deutschen Handwerks in München organisiert wurde. An zwei Tagen kamen alle Kompetenzzentren der Initiative Mittelstand 4.0, sowie zahlreiche Unternehmer in München zusammen, um über Geschäftsmodelle zu diskutieren. Gerade für das Handwerk, ein zentraler Bestandteil des deutschen Mittelstands, bietet die Digitalisierung durch neue Geschäftsmodelle viele Möglichkeiten, aber auch viele Herausforderungen. Etablierte Methoden zur Geschäftsmodellentwicklung können hier Hilfestellung leisten.
Digitale Geschäftsmodelle – was ist das?
Ein Geschäftsmodell beschreibt die Art und Weise, wie ein Unternehmen – egal welcher Größe, Umsatz erzeugt. Zentral sind hierbei vier Dimensionen: Erstens, die Zielkunden, die das Unternehmen anspricht. Zweitens, was diesen Kunden angeboten wird. Drittens, wie die Produkte oder Dienstleistungen hergestellt werden und viertens, wie die Kunden dafür bezahlen (Gassmann, Frankenberger & Csik, 2014). Die Digitalisierung eines Geschäftsmodells kann zum einen bedeuten, dass eine dieser vier Dimensionen durch digitale Technologien erweitert und optimiert wird. Beispielsweise kann die Einführung eines Online-Shops die erreichte Zielgruppe deutlich erhöhen und so die Kundendimension erweitern. So wird das bestehende Geschäftsmodell digitalisiert. Eine Geschäftsmodellinnovation, also ein völlig neues digitales Geschäftsmodell, entsteht allerdings erst, wenn mehrere Dimensionen gleichzeitig verändert werden. In diesem Fall wird nicht nur die Zielgruppe durch neue digitale Vertriebskanäle erweitert, sondern es wird auch ein neues digitales Angebot geschaffen. Häufig verändern sich in diesem Fall ganz natürlich auch die Anforderungen an die internen Prozesse und Aktivitäten, um das Angebot herzustellen und die Art und Weise, wie dafür bezahlt wird.
Handwerk 4.0 – Chancen und Herausforderungen
Handwerksbetriebe sind ein zentraler Bestandteil der deutschen Wirtschaft. Ob es der Bäcker um die Ecke ist, der Dachdeckerbetrieb, der das neue Eigenheim mit einem Dach versorgt, oder die Kraftfahrzeugwerkstatt, die jedes Jahr die Reifen und Öl wechselt. Jeder von uns hat in seinem Alltag mit Handwerksbetrieben zu tun. Häufig sind diese Unternehmen Inhabergeführt und haben sich seit Jahrzehnten eine treue Kundschaft aufgebaut. Während 81% der Betriebe angeben, aufgeschlossen gegenüber dem Thema Digitalisierung zu sein, sehen sich gleichzeitig 71% immer noch als Nachzügler. Hindernisse beim Thema Digitalisierung sind vor allem die Sorge um IT- und Datensicherheit (77%), hohe Investitionskosten (73%) und mangelnde digitale Kompetenz der Mitarbeiter (67%). Hingegen geben nur 17% an, dass bei den Kunden ein mangelndes Interesse besteht. Dies zeigt deutlich, dass ein Handlungsbedarf für Handwerksbetriebe besteht. Häufig fehlt es jedoch an konkreten Methoden und Tools, die Handwerksbetrieben helfen können, die ersten Schritte in Richtung eines digitalen Geschäftsmodells zu machen.
Methoden zur Geschäftsmodellentwicklung im Handwerk
Um diese Lücke zu schließen, kamen am 09. und 10. März 2017 über 200 Unternehmer, Wissenschaftler, Politiker und Vertretern von Kammern und Verbänden in München zur 3. Regionalkonferenz der Initiative Mittelstand 4.0 zusammen. Stefan Schnorr, Abteilungsleiter Digital- und Innovationspolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) fand klare Worte für die Eröffnung der Konferenz: “Gerade jetzt, wo es dem Handwerk gut geht, müssen sich die Betriebe mit der Digitalisierung beschäftigen. Ansonsten drohen Wettbewerbsnachteile. Der Wettbewerb heute ist deutlich härter in diesem Bereich. Wer die Digitalisierung nicht mitmacht, nicht als Chance begreift und die Potenziale individuell für seinen Betrieb nutzt, den wird es irgendwann nicht mehr geben.” Um die praktische Umsetzbarkeit einer digitalen Transformation greifbar zu machen, wurden im Rahmen der Konferenz drei aufeinander aufbauende Methoden zur Geschäftsmodellentwicklung vorgestellt und in Workshops praktisch angewendet. Ziel der Methoden ist es, in einer strukturierten Form die komplexen Hintergründe eines Geschäftsmodells abzubilden und so eine gemeinsame Basis für Diskussion und Ideenentwicklung zu schaffen. In den praktischen Workshops wurden im ersten Schritt anhand des Business Model Canvas in einem offenen Brainstorming übergeordnete Ideen für ein Geschäftsmodell entwickelt. Im zweiten Schritt wurde die beste Idee mit Hilfe des Business Model Navigators konkretisiert. Im letzten Schritt wurde anhand der Lean Startup Methode ein iterativer Prozess zum schnellen Testen und Optimieren entwickelt.
Schritt 1: Entwicklung von Geschäftsmodell Ideen anhand des Business Model Canvas
Der Business Model Canvas ist ein Konzept, um anhand von neun Bausteinen Geschäftsmodelle zu beschreiben. Die Bausteine beschreiben im Detail, wie ein Unternehmen Geld verdient und decken hierbei alle essentiellen Bereiche des Unternehmens ab: Kundensegmente, Wertangebot, Kanäle, Kundenbeziehungen, Einnahmequellen, Schlüsselressourcen, Schlüsselaktivitäten, Schlüsselpartnerschaften und Kostenstruktur. In einem offenen Brainstorming werden die verschiedenen Bausteine mit Ideen gefüllt, um so innovative Geschäftsmodelle entstehen zu lassen. Als Abschluss werden alle Ideen geordnet und eine übergreifenden Idee identifiziert.
Schritt 2: Konkretisierung der Geschäftsmodell-Idee mit Hilfe des Business Model Navigators
Der Business Model Navigator basiert auf einer Studie, die besagt, dass 90% aller Geschäftsmodellinnovationen neue Interpretationen von bestehenden Konzepten sind (Gassmann, Frankenberger & Csik, 2014). Beispielsweise geht das revolutionäre Geschäftsmodell Nespresso (Verkauf von vergleichsweise günstigen Kaffeemaschinen teuren Kaffeekapseln) auf das sogenannte Razor and Blade-Modell zurück. Hier wird der Verkauf eines Produkts zu einem vergleichsweise günstigen Preis durch den wiederholten Verkauf von Komplementärprodukten subventioniert. Gillette führte dieses Geschäftsmodell als erstes ein, indem die Rasierer günstig verkauft wurden und der Umsatz anschließend über die Klingen generiert wurde. Insgesamt identifiziert der Business Model Navigator 55 Geschäftsmodelle, die Unternehmen einzeln oder kombiniert auf ihr Geschäftsmodell übertragen können. Die übergeordnete Idee aus dem offenen Brainstorming kann so mit Hilfe von erprobten Geschäftsmodelllogiken konkretisiert und in die vier Dimensionen des Geschäftsmodells übertragen werden.
Schritt 3: Testen von Prototypen mit Hilfe der Lean Startup Methode
Um eine neue Geschäftsmodellidee schnell zu testen bedarf es einem effizienten und iterativen Prozess. Nur so kann schnell festgestellt werden, ob die Idee im Geschäftsalltag tauglich ist. Die Lean Start-up Methode ist ein etabliertes Werkzeug, um neue Ideen schnell zu testen. Im ersten Schritt wird ein Prototyp erstellt, der einer ausgewählten Testgruppe angeboten wird. Durch rigorose Messung der einzelnen Anwendungsschritte und Komponenten können schnell Erkenntnisse gewonnen werden, die dann wiederum in einem Lernprozess optimiert werden können. Ziel ist es hierbei, die Zeit innerhalb des Zyklus von Idee, Test und Lernen/Anpassung zu minimieren und schnelle Ergebnisse zu erzielen.
Erfolgreiche digitale Geschäftsmodelle im Handwerk
Ein anschauliches Beispiel für die erfolgreiche digitale Transformation eines traditionellen Handwerksbetriebs ist die Holzgespür KG. Hinter Holzgespür steht ein familiengeführte Tischlerei, die maßgefertigte Möbel herstellt. Julia Kasper, Geschäftsführerin von Holzgespür KG stieß die Transformation hin zu einem digitalen Geschäftsmodell an: “Während meines Studiums kam ich mit anderen Gründern zusammen und bekam nochmal einen anderen Blickwinkel auf den Handwerksbetrieb zu Hause. Wir haben dann überlegt, wie man diese Schlüsselressourcen umdenken und digitale Prozesse mit einbeziehen kann.” Heute erreicht das traditionelle Unternehmen über die Online-Plattform Holzgespür eine deutlich größere Zielgruppe. Das zentrale Wertversprechen ist hierbei die Maßanfertigung von Designer-Möbelstücken in enger Kollaboration zwischen dem Tischler und dem Kunden. Zentral für die Umsetzung dieses Wertversprechens ist ein Online 3D-Konfigurator, in dem jeder Kunde sein individuelles Möbelstück zusammenstellen kann. Die Auswahl des Holzes erfolgt anschließend per Video gemeinsam mit dem Tischler. Auch die Ertragsmechanik, in diesem Fall der Online Bestell- und Bezahlvorgang, ist völlig digital. Die Methoden zur Geschäftsmodellentwicklung und das Beispiel der Holzgespür KG zeigen deutlich, dass ein Geschäftsmodell zwar ein komplexes Zusammenspiel von vielen Faktoren ist, aber mit den richtigen Ansätzen in die Praxis umsetzbar ist.
Dieser Beitrag ist Teil der regelmäßig erscheinenden Blogartikel der Doktoranden des Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft. Er spiegelt weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de.
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
Jetzt anmelden und die neuesten Blogartikel einmal im Monat per Newsletter erhalten.
Digitale Zukunft der Arbeitswelt
Plattformdaten und Forschung: Zugangsrechte als Gefahr für die Wissenschaftsfreiheit?
Neue Digitalgesetze gewähren Forschenden Zugangsrechte zu Plattformdaten, doch strikte Vorgaben werfen Fragen zur Wissenschaftsfreiheit auf.
Beschäftigte durch Daten stärken
Arbeitsplätze werden zunehmend datafiziert. Doch wie können Beschäftigte und Gewerkschaften diese Daten nutzen, um ihre Rechte zu vertreten?
Zwei Jahre nach der Übernahme: Vier zentrale Änderungen im Regelwerk von X unter Musk
Der Artikel beschreibt vier zentrale Änderungen im Regelwerk der Plattform X seit Musks Übernahme 2022 und deren Einfluss auf die Moderation von Inhalten.