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Digitalisierung und Nachhaltigkeit – Mit KI das Klima retten?
Ein Interview mit Martin Wimmer
Wie funktioniert effektiver Klimaschutz und wie gelingt die Umstellung auf nachhaltigere Formen des Lebens und Wirtschaftens? Immer häufiger werden zurzeit KI- und Digitaltechnologien als Teil der Lösung aktueller Umwelt- und Klimaprobleme diskutiert. Doch noch fällt die Ökobilanz von Maschinellem Lernen und Co. verheerend aus. In unserem Blogpost erklärt Martin Wimmer, Chief Digital Officer im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, was der aktuelle KI-Hype für Klima und Umwelt bedeutet und wie die Politik darauf reagiert.
Janis Stöckle (JS): Herr Wimmer, Sie sind Chief Digital Officer (CDO) im Bundesumweltministerium. Wozu braucht das Ministerium einen CDO und was sind Ihre Tätigkeiten?
Martin Wimmer (MW): Digitalisierung hat für uns zwei Facetten: einerseits bedeutet sie für uns die Digitalisierung des eigenen Hauses – also die Digitalisierung der Umweltpolitik – andererseits die Ökologisierung der Digitalpolitik. Wir koordinieren also die interne Modernisierungsagenda des BMU inklusive der klassischen Aufgaben der Verwaltungsdigitalisierung wie OZG und eGovG mit unserer umweltpolitischen Digitalagenda: Wie kann Digitalisierung unter ökologischen und nachhaltigen Gesichtspunkten ablaufen? Als IT-Beauftragter des Ressorts bin ich auch für die IT-Steuerung des Ressorts zuständig und vertrete das BMU in den einschlägigen Gremien des Bundes.
JS: In den Strategiepapieren der Bundesregierung, z.B. in der Nationalen KI-Strategie, wird gefordert, KI zur Verwirklichung von mehr Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz einzusetzen. Wie genau werden diese Ziele verfolgt, gibt es schon Leuchtturmprojekte, von denen Sie berichten können?
MW: Das BMU hat Anfang März eine eigene umweltpolitische Digitalagenda mit über 70 konkreten Maßnahmen verabschiedet. Erste Eckpunkte dieser Strategie wurden bereits 2019 auf der re:publica vorgestellt. Im Nachgang dazu sind über 200 Experten, aus Forschungsinstituten, dem Ministerium, aus den nachgeordneten Behörden, aus der Wirtschaft zu einer Umweltwerkstatt in einem Loft in Kreuzberg zusammen gekommen. In zehn großen Workshops wurden Lösungen für gesellschaftliche Handlungsfelder wie eAgriculture und Industrie 4.0, eCommerce und Smart Cities entwickelt, wie man Umwelt und Digitalisierung zusammenbringen kann.
Nils Hungerland (NH): Dazu gibt es auch schon eine Ausschreibung für Leuchtturmprojekte…
MW: Das was Sie ansprechen, ist ein Förderprogramm mit einem Volumen von 27 Millionen Euro für nachhaltige KI-Projekte, das vom BMU ausgeschrieben wurde. Das ist extrem gut angenommen worden. Wir waren total beeindruckt von der Vielfalt der Themen und der Detailtiefe der eingereichten Ideen. Viele davon, von Wasserschutz bis Kreislaufwirtschaft, werden auf der nächsten re:publica präsentiert.
JS: Auf populären Formaten wie Bits und Bäume wird das Thema aktuell auch recht positiv diskutiert: KI helfe Ressourcen einzusparen, die intelligente Vernetzung sorge für Energieeinsparungen und CO2-Reduktionen. Würden Sie auch so grundsätzlich diese Einschätzung teilen?
MW: Jein. Erstmal muss man den sense of urgency klarstellen. Natürlich trägt die Digitalisierung zu maßgeblich erhöhten Ressourcen- und Energieverbräuchen bei, von den Rechenzentren bis zu den Endgeräten. Dennoch sehen wir auch, dass man moderne Technologien sehr wohl nutzen kann, um Effizienzgewinne zu erzielen. Wir diskutieren mit Ländern und Kommunen über eine Umweltdatencloud und mit der Industrie, wie man Lieferketten für die VerbraucherInnen transparenter machen kann. Was muss ich als Verbraucher über das Produkt wissen, wo kommt es her? Was für Umweltsünden sind damit betrieben worden oder eben auch nicht? Dieses Jahr hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft inne und wir werden dort gemeinsam mit anderen Häusern Digitalisierung zum Schwerpunkt machen – aus unserem Blickwinkel heraus eben nachhaltige Digitalisierung. Die entscheidende Frage ist dabei: Wer ist schneller, Hase oder Igel? Gibt es mehr Verbräuche durch die neuen Technologien oder schaffen wir es dadurch höhere Energie- und Ressourceneffizienz zu erreichen.
NH: Im allgemeinen Diskurs über KI wird oft darüber gesprochen, was für Risiken die KI birgt, z.B. Datenschutzbedenken neben dem ganzen Thema Energieverbrauch.
MW: Für den Laien ist KI in der Tat erst mal ein hippes Buzzword, das für Dystopien in Science Fiction Szenarien herhalten muss, die Branche kennt das Thema aber seit Jahrzehnten. Die Risiken kennen wir denke ich daher auch alle. Aber die gibt es für jede Technologie. Ich glaube, die Menschheit hat die Erfindung des Revolvers überstanden, wir werden auch die Erfindung und Anwendung von KI überstehen. Aber wir müssen, wie bei allen Technologien, so regulieren, dass sie im Dienste der Menschen steht, dass z. B. die soziale Kluft nicht erhöht wird und dass nicht noch mehr Monopolisten den Markt dominieren.
JS: Dann noch eine Frage zur Rolle der Wirtschaft in diesem Prozess der Ökologisierung der digitalen Transformationen. Welche Rolle kommt den Unternehmen – vielleicht auch den kleinen und mittelständischen – in diesem Transformationsprozess zu?
MW: Ich glaube, dass Deutschland extrem gut aufgestellt ist in vielen Branchen, die Technologieführerschaft innehat und auch in den digitalen Technologien mehr zu bieten hat, als es manche Berichterstattung suggeriert. Die Gefahr ist aber, dass man neben dem chinesischen Modell des Überwachungsstaates und dem amerikanischen Modell des totalen Neoliberalismus in die Zange kommt und keinen eigenen Weg findet. Umwelttechnologien könnten da die Marktlücke für die europäischen Unternehmen sein. In Themen wie Green IT und Green Tech sehe ich einen riesigen Zukunftsmarkt. Auf kleine und mittlere Unternehmen kommen dabei zugegeben schwierige Aufgaben zu. Einem Mittelständler auf der schwäbischen Alb gelingt es eben nicht so leicht KI-Fachkräfte anzuziehen. Aber meine Überzeugung ist ganz klar, dass Deutschland gerade durch seinen Mittelstand eine exzellente Ausgangsbasis für die Digitale Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft hat.
Seit April 2019 ist Martin Wimmer Chief Digital Officer (CDO) im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU). Als IT-Beauftragter des Ressorts vertritt er das BMU mit der Kernbotschaft „Green IT“ in der Konferenz der IT-Beauftragten des Bundes, das als verantwortliches Steuerungsgremium die operativen Fragestellungen der Informationstechnik und Verwaltungsdigitalisierung des Bundes entscheidet.
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
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