Making sense of our connected world
Digital work: Unions focus on the crowd
IG Metall is the world’s largest organised employee representation. For them, as well as for other unions, working in the digital age raises many new challenges and tasks. Stefan Stumpp, associate researcher at HIIG interviewed Vanessa Barth, Head of Target Group Work and Equality at IG Metall, about these challenges and how to deal with them.
Arbeit 4.0 erfordert Beratung, Gestaltung und Qualifizierung
Frau Barth, welche Themenfelder rund um die Digitalisierung der Arbeit stehen bei der IG Metall auf der Agenda?
Die digitale Transformation in den Unternehmen ist seit geraumer Zeit ein Top-Thema für die IG Metall. Wir beschäftigen uns beispielsweise mit der Automatisierung von Büroarbeit durch Robotic Process Automation, Chatbots und auch mit Themen wie Agiles Arbeiten und Internet der Dinge. Wir beraten und vernetzen Betriebsräte, die sich auf diesen Gebieten engagieren und begleiten sie beim Abschluss von Betriebsvereinbarungen und bei den Verhandlungen mit den Arbeitgebern. In Deutschland sind rund 53.000 Betriebsräte Mitglied der IG Metall. Sie gestalten die Digitalisierung – Tag für Tag und sehr konkret. Uns geht es darum, die Chancen der Digitalisierung zu realisieren und die Risiken zu minimieren. Dies lässt sich gut am Beispiel des Agilen Arbeitens veranschaulichen. Wenn Sie das Agile Manifest lesen, geht es dabei um einen ethischen und sehr vernünftigen Ansatz, IT-Projekte anders zu organisieren, entwickelt von IT-Experten selbst. Im Zentrum stehen Kundenorientierung, der Abbau von unsinnigen Hierarchien, Kooperation und Kommunikation. Auf der anderen Seite rollt unter dem Motto „Agiles Arbeiten“ aktuell aber auch eine Rationalisierungswelle durch die Unternehmen, bei der es hauptsächlich darum geht, schneller und billiger zu werden. Da wird ein wichtiger Teil dieses Ansatzes einfach mal weggelassen. Die Betriebsräte versuchen deshalb, die Werte abzusichern, die Agiler Arbeit zugrunde liegen: Mehr Entscheidungskompetenz für die Teams – das muss man den Arbeitgebern meist ziemlich mühsam abringen auch die nötigen Ressourcen für die Qualifizierung. Die Teams müssen zum Beispiel lernen, wie man konstruktives Feedback gibt, als Team selbstorganisiert arbeitet und die Aufgaben von Scrum-Master oder Product Owner ausfüllt.
Welche kritischen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen sehen Sie einhergehend mit diesem Thema?
Wenn es so kommt, wie viele Experten sagen, dann werden in den nächsten zehn Jahren die Tätigkeiten von Millionen von Menschen in Deutschland gründlich umgekrempelt. Schon heute führen wir in vielen Unternehmen Verhandlungen darüber, dass bei dieser Veränderung alle mitgenommen werden. Dass die Menschen rechtzeitig für die neuen Anforderungen qualifiziert werden und dass möglichst alle an Bord bleiben. Wir müssen unser Sozialsystem so weiterentwickeln, dass auch Solo-Selbständige ausreichend vor Risiken wie Krankheiten geschützt und im Alter abgesichert sind.
Die Diversität der Crowd
Mit Feedback, Selbstorganisation und Rollenverteilungen erwähnen Sie bereits wichtige Elemente der Arbeit auf Plattformen. Die Peers der Crowd sind heute nicht betrieblich gebunden, wenn überhaupt, dann an Plattformen, für die das geltende Arbeitsrecht (noch) keine umfassende Relevanz hat. Wie gut kennen Sie die Zielgruppe der Crowdworker bereits?
Wir haben viele Workshops mit Crowdworkern durchgeführt, an denen Menschen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund teilgenommen haben – beispielsweise Jobsuchende, Studierende oder Hausfrauen, die sich etwas hinzuverdienen, aber auch Selbständige, die einen Teil ihres Einkommens durch die Arbeit auf Plattformen erwirtschaften, sowie Festangestellte. Es gibt natürlich auch Menschen, die keine andere Wahl haben. Wir haben ein Ehepaar kennengelernt, das in einer Gegend wohnt, in der es kaum Arbeit gibt und wegen pflegebedürftigen Angehörigen dort bleiben muss. Für sie ist das natürlich eine gute Möglichkeit, trotzdem ein Einkommen zu erzielen.
Wie relevant ist für die IG Metall die Zielgruppe der Crowdworker und wie wichtig wird das Thema in Zukunft?
Sehr wichtig. Erstens setzen wir uns als Gewerkschaft für faire Bedingungen überall dort ein, wo Wertschöpfung stattfindet. Zweitens lernen wir durch unsere Aktivitäten sehr viel über die Zukunft der Arbeit, auch über die Zukunft der Gewerkschaftsarbeit. Wie erreichen wir Menschen, die nicht zusammen mit anderen an einem Arbeitsplatz anzutreffen sind? Wir sehen auch schon Rückwirkungen der Plattformarbeit in die Unternehmen. Unternehmen versuchen, internes Crowdworking zu etablieren oder sich durch Crowdworking-Plattformen nach außen zu öffnen – für Dienstleister, Universitäten, Forschungseinrichtungen etc. Durch die Beschäftigung mit dem Thema Crowd lernen wir auch viel über neue Formen der Arbeitsorganisation. Und drittens wird das Arbeiten auf Plattformen keine Randerscheinung bleiben. Durch den Durchbruch von künstlicher Intelligenz entsteht ein riesiger Markt für Crowdsourcing – denken Sie nur an die vielen Trainingsdatensätze, die für autonomes Fahren gebraucht werden. Wir schätzen, dass in Deutschland aktuell etwa eine Million Menschen vermittelt durch oder für Plattformen arbeiten. Die meisten machen das nicht hauptberuflich, sondern kombiniert mit anderen Erwerbsformen. Es gibt einen Trend zu hybriden Erwerbsformen.
Die Gewerkschaft als Vermittler und Sprachrohr der Crowd
Plattformen sehen sich nur allzu oft als Vermittler zwischen Peers und dem jeweiligen Unternehmen und können sich deshalb entsprechender Verpflichtungen entziehen, was sich oftmals auf die Arbeitsbedingungen der Crowd niederschlägt. Welche Maßnahmen ergreift die IG Metall, um die Arbeit auf Plattformen für Crowdworker attraktiver zu gestalten?
Ende letzten Jahres haben wir gemeinsam mit acht Plattformen eine Ombudsstelle ins Leben gerufen. Dort können sich Crowdworker melden, wenn sie Probleme mit einer der Plattformen haben, die den Crowdsourcing Code of Conduct unterzeichnet haben. Dann vermittelt die Ombudsstelle zwischen Plattform und Crowdworker. Bisher konnten fast alle Streitigkeiten einvernehmlich gelöst werden. Die Crowdworker kommen so zu ihrem Geld oder ihrem Recht, wir lernen viel über praktische Probleme der Plattformarbeit und mögliche Lösungen und auch die Plattformen lernen dazu. Sie werden auf blinde Flecken in ihrem Community-Management oder Schwächen des Designs ihrer Plattform gestoßen. Wir diskutieren die Fälle – anonymisiert – in einer Arbeitsgruppe mit den Geschäftsführern dieser acht Plattformen und entwickeln so auch den Code of Conduct weiter. Viele Probleme entstehen im Bereich Kommunikation, weil die Möglichkeiten auf Plattformen technisch oftmals sehr stark vorgegeben und eingeschränkt sind.
Diese Form der Kooperation klingt sehr spannend. Müsste man bei Crowdworkern, die i. d. R. doch eigentlich nach einem hohen Maß an Individualität streben, nicht davon ausgehen, dass Gewerkschaften nicht unbedingt deren erster Ansprechpartner sind?
Wir haben sehr früh Umfragen auf Plattformen durchgeführt und so viele Crowdworker kennengelernt und laden sie auch ein, bei uns mitzumachen. Die meisten haben vielleicht nicht mit der IG Metall gerechnet, aber sie sind uns gegenüber sehr aufgeschlossen und freuen sich darüber, dass sich jemand für ihre Arbeitsbedingungen interessiert. Denn da gibt es noch viel Verbesserungspotential. Die Crowdworker, die wir kennengelernt haben, sind eine sehr diverse Gruppe, allerdings übereinstimmend mit einem hohen Qualifikationsniveau und überdurchschnittlich breit gebildet. Die große Herausforderung für sie und uns ist, dass sie weit verstreut sind und noch kaum jemand versteht, was sie eigentlich machen. Das schafft Probleme, zum Beispiel beim Umgang mit Behörden. Deshalb haben sie ein großes Interesse daran, sich auszutauschen und wollen etwas gegen das schlechte Image ihres Jobs tun. Und für eine bessere Bezahlung. Mit ihnen gemeinsam entwickeln wir jetzt Schritt für Schritt, wie es weiter geht.
Der Blick über den Tellerrand
Speziell in den USA kann man sehr enge Kooperationen mit Gewerkschaften beobachten. Die California App-based Drivers Association (kurz: CADA) ist beispielsweise eine Non-Profit-Organisation zur Vereinigung von Fahrern in Kalifornien, die ihre Fahrdienste per App bei Uber und Lyft anbieten. Erstaunlich ist hier, dass es zunächst zu einer Selbstorganisation der Fahrer und in einem weiteren Schritt zu einer Kooperation bzw. Assoziierung mit einer traditionellen Gewerkschaft kam. Setzen Sie sich auch mit solchen gewerkschaftlichen Initiativen auseinander?
Ja klar. Wir tauschen uns mit allen aus, die auf dem Feld praktisch engagiert sind. 2016 haben wir zusammen mit einer Handvoll Juristen, Wissenschaftlern und Gewerkschaften aus der ganzen Welt die „Frankfurter Erklärung zu plattformbasierter Arbeit“ verfasst und veröffentlicht. Eine andere Organisation, von der man viel lernen kann, ist die Freelancers Union (FU) aus New York. Sara Horowitz, die Gründerin der FU, hat gerade eine Versicherung herausgebracht, mit der sich Freiberufler für den Fall einer kurzzeitigen Arbeitsunfähigkeit absichern können.
Sie sind also schon sehr aktiv. Können Sie sich vorstellen, dass die IG Metall eine eigene digitale Plattform für Crowdworker in Deutschland aufbaut?
Wir sind ja im Prinzip schon eine digitale Plattform für Crowdworker, Wissenschaftler, Gewerkschaften etc., aber eine Crowdworking-Plattform werden wir wohl eher nicht aufbauen. Unsere Kernkompetenz ist die Verbesserung von Arbeitsbedingungen. Aber wer kann vorhersehen, wie sich die Internet weiterentwickelt.
Frau Barth, herzlichen Dank für dieses sehr aufschlussreiche Interview. Ich wünsche Ihnen alles Gute und weiterhin viel Erfolg bei der Gestaltung fairer, digitaler Arbeit!
Picture: www.freepik.com
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