Unsere vernetzte Welt verstehen
Filmfestivals on demand? Pandemie, Filmkultur und Streaming
Filmfestivals sind durch die Covid-19-Pandemie besonders herausgefordert. Obwohl sie mit einem digitalen Medium arbeiten, das grundsätzlich online präsentiert werden kann, leben sie vom persönlichen Austausch einer analogen Veranstaltung. Nastassja Kreft untersucht im Rahmen ihrer Masterarbeit Filmfestivals, die während der Pandemie ihr Programm ausschließlich oder zusätzlich auf Streaming-Plattformen angeboten haben. Für den Digital Society Blog gibt sie einen Einblick in die wesentlichen Herausforderungen und Potenziale digitaler Angebote.
Mit Filmfestivals assoziieren wir verschiedene Bilder: der rote Teppich, Prominente, Paparazzi oder das Gefühl von Glamour und Feierlichkeit. Insbesondere die großen Festivals wie in Cannes, Venedig oder Berlin, dominieren sichtbar die verschiedenen Orte einer Stadt und vermitteln Prestige für die präsentierten Filme und geladenen Gäste[1]. Als Events bilden Festivals einen wesentlichen Bestandteil der globalen Filmkultur, denn sie sind wichtige Ausstellungsorte zur Förderung und Anerkennung von Filmen und grenzen sich durch ihre erlebnisorientierte und partizipative Atmosphäre von anderen Möglichkeiten des Filmkonsums ab[2].
Anfang 2020 brachte die Covid-19-Pandemie einen großen Umbruch in den Alltag der Filmwelt. Sie führte zur sofortigen Schließung der Kinosäle und auch viele Filmfestivals mussten abgesagt oder verschoben werden. Obwohl einige Programmangebote auf Streaming-Plattformen präsentiert werden konnten, konfrontierte der digitale Raum Veranstalter*innen mit einer neuen Umgebung. Dadurch ergaben sich verschiedene Fragestellungen für Branche und Wissenschaft: Inwieweit können Filmfestivals auch online ihr Programmangebot und den damit einhergehenden sozialen Austausch übertragen? Welche neuen Möglichkeiten bieten Streaming-Plattformen zur Vermittlung von Film(kultur) und welche Elemente lassen sich bislang nicht adäquat übersetzen? Erste Antworten auf diese Fragen werden in diesem Blogbeitrag diskutiert.
Exklusive Filmkultur im Netz?
Filmfestivals unterscheiden sich vom kommerziellen Kino, da sie keinem wirtschaftlichen Zweck dienen und das Kino als künstlerische Leistung feiern[3]. Ihr Fokus liegt häufig auf der Premiere neuer Filme, sodass eine anschließende Auswertung auf weiteren Filmfestivals, im Kino, im Fernsehen oder auf sonstigen Plattformen sichergestellt werden muss. Das bedeutet, dass Filme auf Festivals lediglich für ein begrenztes Publikum und für kurze Zeit an einem bestimmten Ort sichtbar sind. Aber inwieweit ist dieses exklusive Verständnis der Veranstaltungen mit den unendlichen Weiten des Internets vereinbar?
Streaming-Plattformen als das Kino von morgen?
Viele Filmfestivals haben bei der Verlagerung des Programms in den digitalen Raum verschiedene Mechanismen genutzt, um auch zukünftig die Auswertung von Filmen zu gewährleisten. In räumlicher Hinsicht wurde mit Hilfe von Streaming-Plattformen der Programmzugang durch Paywalls und Geoblocking reguliert. In zeitlicher Hinsicht haben die Festivals auch online die Dauer des Angebots begrenzt und die zur Verfügung stehenden Streams, bzw. Tickets limitiert. Dadurch bieten die Veranstaltungen auch online einmalige Ereignisse und schaffen mit dem exklusiven Zugang zu Filmen einen zusätzlichen Anreiz für die Teilnahme. Das Internationale Kurzfilmfestival Interfilm Berlin kooperierte bspw. mit der Streaming-Plattform SOONER und begrenzte den Festivalzeitraum auf vier Wochen, wobei einzelne Kurzfilmprogramme max. eine Woche sichtbar waren.
Den Aufbau und die Betreuung von Streaming-Plattformen lagerten viele Filmfestivals aufgrund des zeitlichen Drucks an externe Dienstleister aus, wie z.B. bestehende Einreich- (z.B. FilmFreeway, Festhome) oder Streaming-Plattformen (z.B. SOONER). Dies führte jedoch oft zu einem Kontrollverlust für die Veranstalter*innen hinsichtlich der Datenschutz- und Privacy-Regeln. Einzelne Filmfestivals nutzten deshalb die Gelegenheit, um eigene Plattformen zu programmieren und diese an individuelle Bedürfnisse anzupassen. In diesem Zusammenhang hat bspw. das Filmfestival Max Ophüls Preis mit Hilfe einer Innovationsförderung eine Blockchain-basierte Streaming-Plattform aufgebaut. Vorteile der Blockchain-Technologie für Streaming-Plattformen finden sich vor allem in der dezentralen Nutzer*innenverifizierung sowie in der Absicherung von Maßnahmen zum Kopierschutz.
Im Zuge der Pandemie sind aber auch abseits von Filmfestivals eine Vielzahl neuer Plattformen entstanden, wie z.B. INDIEKINO CLUB, ein Angebot von Berliner Kinos, oder THIS IS SHORT, ein Zusammenschluss von vier Kurzfilmfestivals. Zusammenfassend schafft die zunehmende Fragmentierung von Streaming-Plattformen im Arthouse- und Independent-Bereich somit vielfältige Angebote für spezielle Interessen, führt jedoch online zu einer zunehmenden Konkurrenzsituation.
Die Suche nach einer analogen Filmkultur auf digitalen Plattformen
Doch was bedeutet dieser digitale Wandel für die Filmkultur im Allgemeinen? Viele Festivals haben im Kontext der Pandemie häufig das Programm reduziert, um die Aufmerksamkeit für einzelne Filme zu verstärken. Dadurch können sie sicherstellen, dass sie auch online Orte für spezielle Interessen und Nischenfilme bleiben sowie sich vom Überangebot anderer Streaming-Dienste abgrenzen. Auf der einen Seite bleibt die Filmkultur auch im Kontext der Pandemie sichtbar, auf der anderen Seite reicht der reine Upload von Filmen auf Streaming-Plattformen aber nicht aus, um diese auch ausreichend zu vermitteln. Denn nicht alle Filme sind gleichermaßen für die gängigen Endgeräte geeignet und entfalten z.B. ihre komplette visuelle Wirkung erst auf einer großen Leinwand. Außerdem sucht das Publikum nach der physischen Nähe zu anderen Menschen und genießt es, das Erlebte durch gemeinsames Lachen oder synchrones Klatschen zu teilen. Die physische Begegnung mit Gleichgesinnten stellt folglich einen wesentlichen Anreiz für den Besuch von Filmfestivals dar.
Da die Rezeption von Filmen in den eigenen vier Wänden weitaus individueller und leichter zu unterbrechen ist, wurden die Filmprogramme online entsprechend anders kuratiert und beworben. Das zeigt sich insbesondere in den für Filmfestivals typischen Q&A-Formaten, mit denen Filmschaffende ihre Filme kontextualisieren. Viele Filmfestivals haben Q&As und weitere Gesprächsformate mit Filmteams vorab produziert und als exklusives Material online ergänzt. Diese Videos bieten zwar einen kleinen Blick hinter die Kulissen, vernachlässigen jedoch die typischen Interaktions- und Partizipationsmöglichkeiten eines live stattfindenden Austauschs.
Mit Filmschaffenden von der Couch aus sprechen
Durch die Verlagerung von Filmen auf Streaming-Plattformen stellt sich also die Frage, inwieweit diese auch online entsprechend gerahmt werden können, sodass ein Austausch zu Inhalt und Ästhetik ermöglicht wird. Um diesen fehlenden Austausch auszugleichen, werden bislang vorrangig Social-Media-Kanäle zur Kommunikation genutzt. Das Reagieren auf Beiträge oder das Kommentieren dieser entspricht jedoch kaum dem inspirierenden Austausch der Veranstaltungen. Das Internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm fand im Oktober 2020 als Hybrid-Filmfestival statt und konnte mit Hilfe einer Online-Übertragung sowohl das Publikum im Kino als auch das Online-Publikum zu einem Live-Gespräch mit den Filmschaffenden zeitgleich vernetzen. Dieses gelungene Beispiel erfordert jedoch enorme personelle und finanzielle Ressourcen und ist nicht für alle Filmfestivals gleichermaßen umsetzbar.
Filmfestivals der Zukunft: Eine Kultur on-demand?
Die hier genannten Aspekte und ersten Beobachtungen bieten nur einen kleinen Einblick in die weitreichenden Veränderungen, welche Filmfestivals durch die Pandemie erleben. Sie zeigen aber deutlich, wie die Digitalisierung einzelner Veranstaltungen – eingebettet in die Strukturen und Netzwerke der globalen Festivalwelt – zu einer Vielzahl von gemeinsamen Herausforderungen führt. Ebenso wird deutlich, dass online bisher keine optimale Umgebung für diesen Veranstaltungstyp gefunden wurde. Doch obwohl nach eineinhalb Jahren Pandemie viele Filmfestivals bereits wieder zum Kino zurückkehren, wollen viele Veranstalter*innen digitale Angebote weiter mitdenken und ausbauen. In Zukunft kann der digitale Raum so zu neuen Formen der Ausstellung, der Förderung und dem Vertrieb von Filmkultur führen.
Zusammenfassend sollten sich Filmfestivals ihre Kompetenzen als Expert*innen der Kuration stärker zunutze machen, um ein Alternativangebot für Nischenfilme zu schaffen sowie sich gegen die Algorithmen großer Streaming-Dienste durchzusetzen. In naher Zukunft könnten zudem die Einbindung von Anwendungen aus dem Gaming- und Augmented-Reality-Bereich die Möglichkeit bieten, die natürlichen Kontaktzonen und zufälligen Begegnungen der Veranstaltungen auch virtuell abzubilden. Hier zeigt sich also, wie Online-Tools auch in den nächsten Jahren eine effektive, nachhaltige und inklusive Möglichkeit sein können, um an einem (oder mehreren) Filmfestivals weltweit teilzunehmen.
Fußnoten
[1] De Valck, M. (2016a). Introduction. In M. De Valck, B. Kredell & S. Loist (Hrsg.), Film Festivals: History, Theory, Method, Practice (S. 1-12). Abingdon, New York: Routledge, hier S. 1.
[2] De Valck, M. (2007). Film Festivals. From European Geopolitics to Global Cinephilia. Amsterdam: Amsterdam University Press, hier S. 18f & 36ff.
[3] De Valck, M. (2016b). Fostering art, adding value, cultivating taste. Film festivals as sites of cultural legitimization. In M. De Valck, B. Kredell, & S. Loist (Hrsg.), Film Festivals: History, Theory, Method, Practice (S. 100–116). Abingdon, New York: Routledge, hier S. 102ff.
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
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