Unsere vernetzte Welt verstehen
Französisch-deutsche Konferenz zur digitalen Wirtschaft
Mit großer Freude empfing ich die Einladung des französischen Präsidenten Hollande zur ersten französisch-deutschen Konferenz zur digitalen Wirtschaft. Diese fand am vergangenen Dienstag im Élysée Palast in Paris statt und versammelte VertreterInnen der deutschen und französischen etablierten und jungen (aka Startup) Wirtschaft sowie Politiker und GewerkschaftsvertreterInnen. Hervorzuheben ist selbstverständlich die Teilnahme der französischen und deutschen Wirtschaftsminister, des Kommissionspräsidenten Juncker sowie der deutschen Bundeskanzlerin Merkel und des französischen Präsidenten Hollande.
Worum ging es?
Grundsätzlich wurde die Frage behandelt, inwiefern die digitale Transformation Wirtschaft tangiert und verändert. Dabei konzentrierten wir uns insbesondere auf das Potential einer französisch-deutschen Zusammenarbeit in der (richtungsweisenden) Gestaltung der Veränderungen durch neue Technologien. Als Beispiel wurde die Standardisierung genannt. So hätte die Vergangenheit gezeigt, dass Standards, auf die sich Deutschland und Frankreich geeinigt hätten, zügig zu Standards aller 28 EU-Staaten werden könnten.
Europa hat ideale Ausgangsvoraussetzungen
Zu Beginn seines Vortrags hob Sigmar Gabriel hervor, dass es insbesondere in Frankreich und Deutschland eine ausgezeichnete Basis für die Digitalisierung der Wirtschaft und Industrie im speziellen gäbe — primär, weil dort nicht dem Dogma der unbedingten Dienstleistungswirtschaft gefolgt wurde. So gab es in Politik und Wirtschaft Zurückhaltung in Bezug auf die Ausrichtung auf Kommunikation-, Internet- und Finanzdienstleistungen in den 2000ern. Andere Länder wie die USA und Großbritannien sähen sich hingegen nun in der Position re-industrialisieren zu müssen. Deutschland und Frankreich könnten sich derweil mit erfolgreichen Beispielen einer digitalisierten Industrie positionieren.
Sein französischer Amtskollege pflichtete Gabriel bei und sprach sich gegen das Kopieren und für die Nutzung europäischer Stärken wie Diversität und Inklusion aus, welche die Basis der “europäische Vorraussetzungen für Erfolg schaffen”. Entsprechend müssten Aus- und Weiterbildungsprogramme gestärkt werden, welche die Teilhabe am digitalen Wandel für breite Bevölkerungsschichten ermöglicht.
Das Zeitalter der Plattformökonomie
Laut Gabriel geht es beim digitalen Wandel primär darum “die Wettbewerbsfähigkeit unseres Kontinents in einer datengetriebenen globalen Wirtschaft” sicherzustellen. Dabei stehen für ihn Plattformen im Vordergrund. Künftig ginge es nicht darum Produkte zu schaffen, sondern zu ergründen, welche Bedürfnisse Kunden haben. Als Beispiel hob er Mobilitätsplattformen hervor, die gezielt auf das Mobilitätsbedürfnis ihrer Kunden eingingen. Gabriel schloss: “Die Plattformökonomie ist die Zukunft und wir müssen Produkt und Plattform beherrschen” — eine meiner Meinung nach vollkommen korrekte Einschätzung.
Startups als Katalysatoren des Wandels
Merkel und Hollande hoben die besondere Stellung von Startups hervor, die Beschleuniger für die erfolgreiche Transformation sein könnten. Im Rahmen eines Workshops und einer Diskussion — woran auch ich teilnahm — wurde insbesondere das Potential einer Zusammenarbeit von mittelständischen Unternehmen und Technologie-Startups thematisiert. Merkel stellte aber auch fest: “Wir sind ganz gut beim gründen, wir sind nicht so gut im wachsen.” Dem folgten direkt Taten: Während der Konferenz wurden zwei neue deutsch-französische Wachstumskapitalfonds von einer halben Milliarde Euro aufgesetzt.
Inwiefern Startups und lösungsorientierte Innovationen noch weiter unterstützt werden sollen, wurde leider nicht deutlich. Ich hätte mir beispielsweise noch weitergehende Vorschläge gewünscht, wie die Zusammenarbeit von Startups, etablierten mittelständischen Unternehmen und der Bevölkerung gestärkt werden könnten. Die derzeitige Förderpolitik (bspw. Horizon 2020) greift hier meiner Meinung nach viel zu kurz oder an den falschen Stellen, da sie primär auf Großunternehmen ausgerichtet ist.
Infrastruktur und gemeinsame Rechtsrahmen als Basis des Wandels
Dass Infrastrukturen und Rechtsrahmen die Grundlage für schnelle und nachhaltige Innovation seien, lag Jean-Claude Juncker am Herzen. Gabriel pflichtete bei, indem er fragte, warum wir nicht die “weltweit beste digitale Infrastruktur bis 2025” bauten? Ein wenig ironisch mutet dabei an, dass ebenfalls am Dienstag die Aufweichung der Netzneutralität im Europaparlament beschlossen wurde.
In Bezug auf die Schaffung eines ‘echten’ europäischen Binnenmarktes forderte Merkel eine rasch fortschreitende Harmonisierung und von der Europäischen Kommission: “Machen Sie uns die Eroberung des digitalen Raums einfach.”
Wie geht es weiter?
Neben den neuen Wachstumsfonds soll eine europäische Open Science Cloud entstehen, die Daten(nach)nutzung fördert. Zudem arbeiten Frankreich und Deutschland an der Definition von Standards, um Datenschutz, Transparenz und Sicherheit souverän gestalten zu können. Mit der Stärkung des gemeinsamen Binnenmarktes soll es Konsumenten und Unternehmen künftig erleichtert werden europaweit wirtschaftlich aktiv zu werden.
In Bezug auf die wirtschaftlichen Potentiale sprach Merkel sogar von einer “zweiten Chance der Digitalisierung” in der Industrie, nachdem Europa bei der Transformation des Konsumentenmarktes “nicht immer die Nase vorn” hatte. Dem pflichtete Juncker bei und unterstrich: “Digitalisierung ist für unsere Industrie so entscheidend wie die Dampfmaschine und der Strom.”
Hollande schloss mit der Erklärung und dem Aufruf zur Mitgestaltung des digitalen Wandels: “Das ist eine echte Revolution! Alle Bereiche unseres Lebens verändern sich: Konsum, Ernährung, Mobilität, einfach alles.”
Die französisch-deutsche Erklärung zur Konferenz findet sich hier.
Dieser Beitrag ist Teil der regelmäßig erscheinenden Blogartikel der Doktoranden des Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft. Er spiegelt weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wieder. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de.
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