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Netto-Null-Wachstum angekurbelt von grüner Technologie – Ein Traum für alle?
Neue grüne Technologien mit ihrem Potenzial, Netto-Null-Emissionen zu erreichen und ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu fördern, bekommen immer mehr Aufmerksamkeit. Es ist jedoch wichtig, diese ehrgeizige Vision genau zu prüfen. In diesem Artikel werden die Versprechungen grüner Technologien und ihre marktorientierte Logik unter die Lupe genommen, mit der Forderung, das derzeitige Innovationsmodell in diesem Bereich zu überdenken.
Versprechen grüner Technologie
Auf der diesjährigen Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums (WEF) wurde ein sehr optimistisches Bild gezeichnet – eines, das von einem technologiegestützten globalen Wirtschaftswachstum ausgeht, das durch die Beschleunigung grüner Technologien und künstlicher Intelligenz (KI) angetrieben wird. Gestützt auf die rasche Einführung kohlenstoffarmer Energietechnologien, die voraussichtlich innerhalb der nächsten fünf Jahre auf den Massenmärkten ausgereift sein werden, und das transformative Potenzial der KI zur Beschleunigung des technologischen Fortschritts, ist die große Vision, dass grüne Technologien sowohl zu Netto-Null-Emissionen als auch zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum beitragen werden, sicherlich verlockend. Angesichts der dringenden Notwendigkeit, den Klimawandel zu bekämpfen, ist es kein Wunder, dass große Hoffnungen auf Durchbrüche bei grünen Technologien wie grünem Wasserstoff und KI in der Landwirtschaft gesetzt werden.
Angetrieben von den Versprechungen grüner Technologien für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum, wird grünes Wachstum auch als die “größte Investitionsmöglichkeit seit der industriellen Revolution” angepriesen. Doch ist das Streben nach technologiegestütztem grünem Wachstum als Lösung für einen kohlenstoffarmen Übergang und globales Wohlergehen so vielversprechend, wie es scheint?
Die drängende gegenwärtige globale Herausforderung fordert uns auf, einen vorsichtigen Schritt zurückzutreten und die Versprechungen der grünen Technologie und die damit verbundene Marktlogik zu hinterfragen. Die zunehmenden sozialen und ökologischen Auswirkungen des Kapitalismus der freien Marktwirtschaft als Folge der industriellen Revolution dienen als abschreckendes Beispiel.
Die politische Ökonomie der grünen Technologie
In dieser Vision des grünen Technologiemarktes wird die komplexe Verflechtung politischer und wirtschaftlicher Faktoren, der so genannten politischen Ökonomie, deutlich. Die jüngste Regulierungspolitik der großen Volkswirtschaften der Welt verdeutlicht die politische Ökonomie, in der grüne Technologie-Innovationen angesiedelt sind. Chinas 14. 5-Jahres-Plan zur Planung moderner Energiesysteme, der Green Deal der EU und der Inflation Reduction Act (IRA) der USA bieten Anreize und Finanzmittel zur Förderung von Investitionen in grüne Technologien.
Da die Regierungen versuchen, ihre Position im Bereich des technologiebasierten grünen Wachstums zu sichern, ist es wichtig, die breitere politische Ökonomie zu berücksichtigen. Bei näherer Betrachtung zeigen sich Probleme im Zusammenhang mit einigen seiner politischen und sozialen Dimensionen.
Auf Grundlage einer unbestrittenen Unterstützung von Wissenschaft und Technologie als Mittel zur Lösung wirtschaftlicher und ökologischer Probleme legen solche industriepolitischen Maßnahmen die technologische Entwicklung eines Landes fest. Dies schafft eine “Pfadabhängigkeit” von grüner Technologie als Schlüssel zu einer nachhaltigen Zukunft.
Realitäten von KI am Beispiel Landwirtschaft
So wird beispielsweise die KI-gestützte Analyse von landwirtschaftlichen Kulturen oft als präzisere, effizientere und umweltfreundlichere Methode der Lebensmittelproduktion angepriesen. Die Realität solcher KI-Anwendungen in der Landwirtschaft steht jedoch oft im Widerspruch zu diesen idealistischen Behauptungen von erheblicher ökologischer Nachhaltigkeit und Präzision. Solche technologischen Pfadabhängigkeiten können die Anpassungsfähigkeit der Landwirte an den Klimawandel einschränken und sie an die bestehenden industrialisierten Produktionsmethoden binden. Denn sie könnten letztlich
Wege für alternative und potenziell gerechtere landwirtschaftliche Innovationspraktiken wie Open-Source-Datenplattformen behindern. Kleinbauern in ländlichen Gemeinden haben möglicherweise auch Schwierigkeiten mit der digitalen Kompetenz und dem Zugang zu offenen Daten, wenn sie versuchen, solche Technologien sinnvoll für ihren Lebensunterhalt einzusetzen. Hier wird auch die soziale Dimension technischer Pfadabhängigkeit deutlich.
Grenzenloses Wachstum mit grüner Technologie?
Abgesehen von den potenziellen politisch-wirtschaftlichen Auswirkungen sollten wir auch die folgende Ironie bedenken: Die Annahme eines markttechnischen Rahmens zur Eindämmung des Klimawandels verstärkt durchaus die Abhängigkeit vom sogenannten Wachstumsparadigma. Dahinter steckt der idealistische Glaube, dass Wirtschaftswachstum für das gesellschaftliche Wohlergehen unerlässlich ist.
Das Wachstumsparadigma manifestiert sich in der Produktivitäts- und Effizienzlogik, die dem Einsatz grüner Technologien zugrunde liegt. Sie äußert sich in der Steigerung von Größenvorteilen, der Erhöhung der Produktivität der Lieferkette und dem erhöhten Einsatz erneuerbarer Energien bei der Deckung von Nachfragespitzen.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet, scheinen grüne Technologien eher auf Produktivität als auf Nachhaltigkeit optimiert zu sein. Dies wirft ernste Fragen in Bezug auf die Eindämmung des Klimawandels auf: Versuchen die derzeit geplanten Anwendungen grüner Technologien lediglich, die kapitalistische Produktions- und Konsumweise aufrechtzuerhalten, die an den endlichen Ressourcen des Planeten nagt?
Überdenken der Innovationsmodelle für grüne Technologien
Anstatt grüne Technologien ausschließlich als Instrumente für nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu betrachten, sollten wir sie vielleicht als Praktiken der Fürsorge ansehen, die den ursprünglich beabsichtigten Zwecken dienen. Jene Vorstellung könnte so gleichzeitig auf die aktuelle gesellschaftliche Wahrnehmung grüner Technologie einwirken.
Um das zu erreichen, müssen wir die Beziehung zwischen sozialen und technischen Aspekten von Technologien überdenken, einschließlich der wünschenswerten Fähigkeiten, soziokulturellen Dispositionen und Werte, die durch sie unterstützt werden können. Dies wird die Art und Weise beeinflussen, wie wir mit einer von Natur aus unsicheren Klimazukunft umgehen.
Die landwirtschaftliche Gemeinschaft von Ancocala, Peru, bietet ein Modell für alternatives Innovationsdenken. Als Reaktion auf die Herausforderungen des Klimawandels nutzte die Gemeinschaft ihr altes Wissen aus den Anden, um traditionelle Terrassen und Bewässerungskanäle wiederherzustellen. Ihre gemeinschaftlichen und ortsbezogenen Innovationspraktiken umfassen auch den Aufbau agrar-ökologischer Kapazitäten und die Zusammenarbeit zwischen den lokalen Erzeugern.
Die Gemeinschaft sorgt so für eine nachhaltige Wiederherstellung von Anbauflächen. Diese Nutzung von indigenem Wissen verbessert nicht nur die Bodenfruchtbarkeit und die Bewässerungseffizienz, sondern auch die Produktion von Kulturen wie Kartoffeln und Mais. Vor allem aber trägt es zur Stärkung der landwirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit der Andengemeinden bei.
In solchen kleinen Enklaven am Rande des grünen Wachstums und seiner politischen Ökonomie finden sich häufig alternative Innovationsmodelle. Wenn die Zukunft innovativ und grün sein soll, sollten wir uns fragen: Wie können wir uns von ihnen inspirieren lassen, um einen gerechteren Netto-Null-Green-Tech-Traum zu entwerfen, der einen nachhaltigen Wandel unterstützt und die lokalen Gemeinschaften stärkt?
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
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