Unsere vernetzte Welt verstehen
Ist Whistleblowing ziviler Ungehorsam?
Der Fall Edward Snowden hat eine akademische Diskussion über die Frage ausgelöst, ob Whistleblowing ein Akt des zivilen Ungehorsams ist. Die Ansichten sind geteilt: während einige sich sicher sind, dass “Whistleblowing is the New Civil Disobedience” wie beispielsweise Danah Boyd, zeigen sich andere akademische Auseinandersetzungen ambivalent zu dieser Frage. Ich halte Snowdens Enthüllungen sowohl für Whistleblowing, als auch für einen Akt des zivilen Ungehorsams. Die Hintergründe dieser Position führen zu einer Diskussion, die den Rahmen eines Blogpost sprengen würden. Ich möchte stattdessen einige allgemeine Überlegungen zu der Frage vorbringen, in welchem Verhältnis Whistleblowing und ziviler Ungehorsam zueinander stehen.
Zu allererst: Was würde Snowden gewinnen, wenn seine Tat als ziviler Ungehorsam anerkannt wäre? Ziviler Ungehorsam ist kein Rechtsbegriff in dem Sinne, dass jemand für zivilen Ungehoram bestraft werden kann, noch hat man ein juristisches Anrecht auf zivilen Ungehorsam. Philosophen wie Dworkin forderten Gerichte auf von Bestrafungen für zivilen Ungehorsam abzusehen, doch gibt es keine rechtliche Grundlage, die diese philosophische Forderung unterstüzten würde. Ein rechtlicher Vorteil ist daher eher Spekulation und nur indirekt relevant.
In einem minimalistischen Verständnis kann ziviler Unghorsam als absichtlicher und prinzipienbasierter Rechtsbruch definiert werden, der das Ziel verfolgt Gesetze oder politische Maßnahmen zu beeinflussen (vgl. Celikates 2010: 280). Doch obwohl diese Minimaldefinition darauf abzielt, die Definition von zivilem Ungehorsam von der Debatte über die Legitimität zu trennen, enthält der Begriff des zivilen Ungehorsams eine normative Konnotation. Etwas als zivilen Ungehorsam zu bezeichnen impliziert in aller Regel, dass die besagte Handlung moralisch gerechtfertigt und somit legitim ist. Was Edward Snowden gewinnen würde, wäre daher zu allererst nicht einen rechtlichen, sondern einen symbolischen Deutungskonflikt. Symbolisch meint hier in keiner weise “unwichtig” – ganz im Gegenteil: Diese symbolische Auseinandersetzung ist extrem bedeutsam für die Frage, welche politischen Aktionen in einer Demokratie legitim und wünschenswert sind. Snowdens Tat nicht als zivilen Ungehorsam zu bezeichnen, verweigert ihm gleichzeitig Legitimität – und eben darum dreht sich diese Kontroverse zumeist.
Nun zum Whistleblowing: In seiner Dissertation leitet Manohar Kumar sechs inhärente Elemente des Whistleblowings aus einem Vergleich verschiedener anderer Definitionen ab und erklärt:
“i) it is a deliberate act, ii) often done by an insider having access to information and an expertise in assessing the information; iii) the information is directly related to threats to citizens’ rights, their obligations or harm the public interest; iv) it is assumed by the whistleblower that withdrawing such an information from the public is a grave wrong done to the citizens; v) the information is such that the public ought to know, and vi) it is in form of appeal to the higher authorities, through publicity, with an intention to generate public pressure to correct the wrongs done. “ (Kumar 2013: 129f)
Für mich ist es wichtig hier anzumerken, dass nicht das Gesetz definiert, wer ein Whistleblower ist und wer nicht (diesem Argument bin ich im Gespräch mit Rechtswissenschaftlern begegnet). Die Tatsache, das der rechtliche Schutz für Whistleblower auf bestimmte Fälle nicht zutrifft (wie im Fall Snowden) bedeutet keineswegs, dass er deshalb kein Whistleblower ist, solang seine Tat mit der obigen Definition übereinstimmt. Stattdessen wäre dies eher ein Anzeichen dafür, dass der rechtliche Schutz der politischen Realität nicht ganz gerecht wird.
Aber was hat Whistleblowing mit zivilem Ungehorsam zu tun? Whistleblowing und ziviler Ungehorsam sind nicht dasselbe, aber beide politischen Strategien teilen eine Schnittmenge an Handlungen auf die beide Begriffe zutreffen. Die Tatsache, dass in manchen Ländern Gesetze für den Schutz von Whistleblowern implementiert wurden, bedeutet nicht, dass Whistleblowing deshalb immer legal ist. Whistleblowing ist untersagt, sofern es einen bestehenden Vertrag verletzt – lediglich in bestimmten Fällen wird Whistleblowern ein nachträglicher Schutz oder Kompensation zuteil. In Fällen in denen Whistleblowing einen absichtlich rechtswidrigen Akt erfordert, prinzipienbasiert ist und das Ziel verfolgt Gesetze oder politische Maßnahmen zu beeinflussen (und es nicht um persönlichen Profit geht) kann auch von zivilem Ungehorsam die Rede sein.
Kumar nennt Whistleblowing einen Akt des epistemischen Ungehorsams und erläutert:
“Civil disobedience, under secrecy, has an epistemic character. Its need arises out of the informational asymmetry between the executive and the citizens. We can call it epistemic disobedience. We can define epistemic disobedience as an illegal act, done on behalf of others, to expose the wrong done under conditions of secrecy, with an intention to bring about change.” (Kumar 2013: 157)
Die meisten Fälle von zivilem Ungehorsam addressieren eine Ungerechtigkeit, die der Öffentlichkeit zugänglich ist, wodurch eine Auseinandersetzung stattfinden kann. Whistleblowing ist epistemischer ziviler Ungehorsam, weil der Akt des Veröffentlichens geheimer Information selbst erst die Möglichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung schafft, in dem er verändert, was wir über die adressierte Ungerechtigkeit wissen können. Geheimhaltung geht mit dem Risiko von staatlichen, institutionellen oder privaten Maßnahmen einher, die in demokratischen Verfahren nicht zustande kommen würden – und selbst die Existenz der Geheimhaltung bleibt der Öffentlichkeit verborgen. Das heißt nicht, dass Geheimhaltung niemals angemessen ist. Es ist das paradoxe Dilemma der Geheimhaltung, dass die Öffentlichkeit nicht entscheiden kann ob sie notwendig ist. Um so mehr ist Whistleblowing eine wichtige politische Praxis, die dabei hilft dieses intrinsische Dilemma auszugleichen.
Kürzliche Ereignisse legen nahe, dass Edward Snowden im Bezug auf die NSA Enthüllungen als Whistleblower nicht allein bleibt. Stattdessen wird sein Anliegen scheinbar von mindestens einem weiteren Individuum unterstützt, das schockierende Insider-Informationen über die Überwachung durch die NSA zur Veröffentlichung bringt. Allzu oft handeln Whistleblower allein, mit hohem Risiko und Konsequenzen wie finanziellem Ruin oder sozialer Exklusion. Edward Snowdens Schicksal ist nicht nur eine individuelle, sondern eine paradigmatische Frage unserer Zeit. Die Ermutigung, Akzeptanz, Unterstützung und der Schutz von Whistleblowern ist unerlässlich in einer Welt in der Information ein tragender Wert ist. Der Umgang mit Whistleblowing wird mit prägen, wie demokratisch die Gesellschaften sind in denen wir leben.
Dieser Beitrag ist Teil der regelmäßig erscheinenden Blogartikel der Doktoranden des Alexander von Humboldt Institutes für Internet und Gesellschaft. Er spiegelt weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wieder. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de.
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
Jetzt anmelden und die neuesten Blogartikel einmal im Monat per Newsletter erhalten.
Forschungsthemen im Fokus
Beschäftigte durch Daten stärken
Arbeitsplätze werden zunehmend datafiziert. Doch wie können Beschäftigte und Gewerkschaften diese Daten nutzen, um ihre Rechte zu vertreten?
Zwei Jahre nach der Übernahme: Vier zentrale Änderungen im Regelwerk von X unter Musk
Der Artikel beschreibt vier zentrale Änderungen im Regelwerk der Plattform X seit Musks Übernahme 2022 und deren Einfluss auf die Moderation von Inhalten.
Zwischen Vision und Realität: Diskurse über nachhaltige KI in Deutschland
Der Artikel untersucht die Rolle von KI im Klimawandel. In Deutschland wächst die Besorgnis über ihre ökologischen Auswirkungen. Kann KI wirklich helfen?