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S477
IMB Datenverarbeitung 1968
18 Juni 2019| doi: 10.5281/zenodo.3254838

Künstliche Intelligenz, gefangen im Hypezyklus

In seiner wechselvollen Geschichte, die bis in die 1950er-Jahre zurückreicht, hat das Forschungsfeld der Künstlichen Intelligenz (KI) einige Auf- und Abschwünge erlebt. Mal durchlief die Technologie einen regelrechten Hype und Regierungen investierten Unsummen an Forschungsgeldern in die Entwicklung und Erforschung dieser Technologien, mal sank das Interesse der Öffentlichkeit und der Politik am Thema und Fördermittel wurden der KI-Forschung verweigert. Eine wesentliche Rolle hinter diesen Auf- und Abschwüngen spielten häufig überzogene Erwartungen, die in Enttäuschungen endeten.

1973 ist die britische KI-Forschung schockiert. Ein vom Parlament in Auftrag gegebener Bericht attestiert dem Forschungsfeld, in den letzten Jahren der Forschung und Entwicklung praktisch keines der gesetzten Ziele erreicht zu haben. Forschungsprojekte auf dem Gebiet werden daraufhin gestoppt und Gelder gestrichen. Nicht nur in Europa, auch in den USA kommt die öffentliche Förderung von ziviler KI-Forschung Anfang der 70er-Jahre nahezu zum Erliegen. Der US-Kongress verabschiedet ein Gesetz, das die Förderung von Grundlagenforschung ohne direkten militärischen Bezug einschränkt.

Die Jahreszeiten der KI

Diese Entwicklung Anfang der 70er-Jahre wird heute als sogenannter erster KI-Winter bezeichnet. Der Begriff bezeichnet ein merkliches Abkühlen des Interesses und der Forschungsförderung im Bereich KI und wurde bereits 1984 auf einer Konferenz der American Association of Artificial Intelligence geprägt. Vorausgegangen war dem ersten KI-Winter eine beispiellose Blütephase des noch utopisch anmutenden Technologiefelds, das sich bereits 1956 auf einer Wissenschaftskonferenz in Dartmouth formiert hatte. Wissenschaftler aus der Mathematik, der Neurowissenschaft und den Ingenieurwissenschaften entwarfen dort das Zielbild einer Künstlichen Intelligenz, die auf Basis von Computertechnologien der menschlichen Intelligenz in nichts nachstehen sollte. Zukunftsvisionen der ersten Generation der KI-Wissenschaftler zeugen vom extremen Optimismus dieser Zeit. Herbert Simon, einer der frühen KI-Pioniere, ließ sich etwa 1965 zu der Aussage hinreißen, KI werde innerhalb von 20 Jahren alle menschlichen Arbeiten erfüllen können.

Auch aufgrund solcher optimistischen Einschätzungen flossen die Forschungsgelder üppig in dieser Phase. Außerdem versprachen sich Regierungen wissenschaftlichen Vorsprung und technologische Überlegenheit in Zeiten des Kalten Krieges. Als sich diese Hoffnungen nicht erfüllten, kam es zum ersten KI-Winter, der bis 1980 dauerte. Danach erholte sich das Forschungsfeld aber schnell wieder. Sogenannte Expertensysteme gewannen Anfang der 1980er an Popularität bei WissenschaflerInnen und öffentlichen Fördergebern, und eine ganz neue Industrie entstand. Diese Computerprogramme sollten wie menschliche Experten Daten auf Grundlage von zuvor definierten Regeln analysieren, um auf Basis dieser Analyse zu Entscheidungen kommen zu können. Sie scheiterten jedoch häufig an komplexen Aufgaben und praktischen Anwendungen, da Expertensysteme nicht auf unerwartete Szenarien reagieren konnten. Da Menschen dem System Regeln vorschreiben mussten, bedurfte es eines immensen manuellen Aufwands, der die bescheidenen Erfolge nicht rechtfertigte. Entsprechend war auch dieser Hypephase, die von 1980 bis 1987 dauerte, kein Überdauern beschieden. Beispielsweise wurden in den USA Gelder für die Strategic Computing Initiative, die die KI-Forschung finanziert hatte, gestrichen, aber auch in Japan kam es zu Kürzungen der Forschungsbudgets. Erst Mitte der 1990er-Jahre brach ein neuer KI-Frühling an. Die KI-Forschung konnte einige der selbst gesteckten Ziele aufgrund leistungsfähigerer Hardware und erweiterter Datengrundlagen erreichen und auch bei der Öffentlichkeit stieß das Thema auf erhöhte Resonanz. Beispielsweise brachten die Erfolge des Schachcomputers, der 1997 den amtierenden Schachweltmeister Garri Kasparow schlagen konnte, der KI-Forschung neues Renommee und Aufmerksamkeit ein.

KI im Hypezyklus

Diese Konjunkturen der Popularität lassen sich am ehesten mit dem Konzept der Hypezyklen beschreiben, das in der Unternehmensberatung Gartner entwickelt wurde. Demnach erfährt eine neue Technologie mehrere Phasen der Aufmerksamkeit. Anfänglich kommt es zu enthusiastischen und häufig überzogenen Erwartungen, die jedoch bald im „Tal der Enttäuschungen“ enden. Erst dann tritt eine Technologie – so das Konzept der Hypezyklen – in eine produktive Phase ein, in der Ergebnisse jenseits der Aufmerksamkeit von Politik und Öffentlichkeit erzielt werden.

Ähnliches dürfte bei den Auf- und Abschwüngen der KI-Technologien der Fall gewesen sein. Sicherlich spielten auch technologische Hürden bei der zyklischen Entwicklung der KI eine Rolle – etwa waren viele Anwendungen früher aufgrund geringer Rechenkapazitäten schlicht nicht möglich. Doch vor allem nicht eingehaltene Versprechungen scheinen der Auslöser der KI-Winter gewesen zu sein. Wie aber konnten die KI-Winter überwunden und Phasen des echten Fortschritts eingeleitet werden? Die Vermutung liegt nahe, dass eine neue Terminologie dem Forschungsfeld ein profunderes und auch realistischeres Image verlieh. Wurde zuvor eine generelle menschenähnliche Intelligenz versprochen, erzeugten weniger hochtrabende Begriffe wie algorithmische Entscheidungssysteme, automatische Spracherkennung und Künstliche Neuronale Netze ein zutreffenderes Bild des technisch Möglichen. Damit sank auch die Gefahr, unhaltbare Erwartungen zu schüren. Der schwedische Technikphilosoph Nick Bostrom beschreibt das Phänomen folgendermaßen: “A lot of cutting edge AI has filtered into general applications, often without being called AI because once something becomes useful enough and common enough it’s not labelled AI anymore.

Wo steht die KI-Forschung aktuell?

Im Moment erlebt die KI erneut eine Phase des Hypes, was sogar zu einem Wettlauf um KI geführt hat, in dem sich Staaten mit Strategien und Förderprogrammen zu überbieten versuchen. Denn offensichtlich wird KI weltweit bei PolitikerInnen und InvestorInnen als zentrale Schlüsseltechnologie der Zukunft betrachtet. So fordert beispielsweise die Bundesregierung in ihrer „KI-Strategie“, „Deutschland und Europa zu einem führenden Standort für die Entwicklung und Anwendung von KI-Technologien zu machen“ und will Milliardenbeträge in die Forschung und Entwicklung solcher Technologien investieren. KI dient offenbar den führenden Technologiemächten als Mittel oder zumindest als Metapher um technologische, aber häufig auch – wie etwa die Debatte um letale autonome Waffensysteme zeigt – militärische Stärke zu demonstrieren.

Gleichzeitig ist unklar, inwiefern die politischen Ambitionen auch reale Früchte tragen. Eine Studie zeigte erst vor kurzem, dass vier von zehn europäischen Startups, die unter dem Begriff KI gelabelt wurden, überhaupt keine KI-Technologien, die auf die Analyse großer Datenmengen aufbauen, verwenden. Werden im aktuellen Hype also auch wieder Erwartungen produziert, die nicht zu halten sind? Es ist durchaus möglich, dass wir uns in der aktuellen Phase – um in der Sprache der Jahreszeiten zu bleiben – bereits im Spätsommer befinden und ein neuer KI-Winter droht. Ein Ende des Hypes böte aber die Chance zu einer differenzierteren Debatte zurückzukehren. In den Anfangsjahren der KI entwarfen ForscherInnen die Zukunftsvision einer sogenannten „starken” KI, die selbstständig denken und handeln könnte. Tatsächlich entwickelten sich aber auf beschränkten Teilgebieten „schwache” KI-Technologien in Form spezialisierter Einzellösungen. So konnte zwar KI den Schachweltmeister schlagen, aber denken wie ein Mensch kann die Technologie deshalb noch lange nicht. Eine klare Benennung der konkreten KI-Technologien könnte dem Thema die Spitzen nehmen und nebenbei auch noch Schreckensszenarien vorbeugen. Viele Menschen verbinden mit KI düstere Visionen von hochintelligenten Computern, die der Menschheit nach der Existenz trachten, wie sie etwa in Science Fiction-Filmen geweckt werden. Von einer solchen Superintelligenz wie sie etwa in Form des Computers HAL 9000 aus Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum auftaucht sind wir aber nach wie vor weit entfernt. Obwohl sich kaum seriöse WissenschaftlerInnen finden, die solche Visionen für realistisch halten, prägen Visionen und Dystopien das gesellschaftliche Verständnis von KI. Ein neuer KI-Winter könnte also eine Chance sein, die Debatte auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.


Titelbild: © SLUB / Deutsche Fotothek / GERMIN

Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de

Janis Stöckle

Ehem. Studentischer Mitarbeiter: Innovation & Entrepreneurship

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