Unsere vernetzte Welt verstehen
Kunde, Zeitungsleser oder Aktivist? BürgerInnen im Kontext der Verwaltungsdigitalisierung
Die Parteiprogramme zur Bundestagswahl 2017 sind sich einig: Alle Parteien wollen die Verwaltungsdigitalisierung vorantreiben. Allerdings unterscheiden sich die Auffassungen sehr danach, was die Parteien erreichen wollen. Dieser Blogpost untersucht, welches Bild die Parteien im Rahmen der Verwaltungsdigitalisierung von ihren Bürgerinnen und Bürgern zeichnen.
Alle Parteien wollen die Verwaltung digitalisieren. Die Parteiprogramme zur anstehenden Bundestagswahl enthalten dieses Jahr in diesem Sinne zahlreiche Vorschläge zur Digitalisierung und Öffnung der Verwaltung, wie etwa der Wahlkompass Digitales oder andere Gutachten zeigen. Allerdings gibt es bei genauerem Hinsehen erhebliche Unterschiede darin, was genau darunter verstanden wird. Die einen wollen durch Digitalisierung v.a. bessere, schnellere und komfortable Dienstleistungen erreichen, andere sehen in der Digitalisierung eine Möglichkeit Informationsmöglichkeiten zu steigern oder Partizipationsmöglichkeiten zu eröffnen. Dabei schwingt in allen Programmen etwas mit, was die Parteien zwar denken, aber nicht ausdrücklich sagen: ihr Bild von den Bürgerinnen und Bürgern und damit auch ihre Vorstellung von dem Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft. Ideen einer neuen Verwaltung beziehen sich immer auf ein Bürgerbild, welches mit dieser Verwaltung komplementiert wird. Dieser Blogpost hat es sich zum Ziel gemacht, dieses Bild der Bürger mit Bezug auf Verwaltungsdigitalisierung deutlich zu machen. Die Analyse ist zwar auf Stellen zur Verwaltungsdigitalisierung beschränkt, schon hier lassen sich aber interessante Rückschlüsse ziehen. Aus den Ergebnissen auf Grundlage des Wahlkompasses Digitales haben wir drei Idealtypen verdichtet, denen wir verschiedene Teile der Programme zuordnen. Diese Idealtypen sind der Kunde, der Zeitungsleser und der eingebundene Aktivist.
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Der Kunde und die Kundin
Der Kunde und die Kundin möchte möglichst wenig Zeit in den Kontakt mit der Verwaltung investieren. Beim Abruf von Verwaltungsdienstleistungen sollen diese schnell und unkompliziert zur Verfügung stehen. Dienstleistungen sollen auf ihn zugeschnitten sein und genauso kommuniziert werden, wie in der Wirtschaft. BürgerInnen sind NutzerInnen und Bürgerfreundlichkeit mithin NutzerInnenfreundlichkeit (Union 5.8). In diesem Sinne schreibt die FDP (7.2): “Ein unkomplizierter Staat nutzt alle Möglichkeiten, die sich durch die Digitalisierung bieten, um für seine BürgerInnen schneller, anwendungsfreundlicher und günstiger zu werden. Legen wir endlich los damit!” Auch die SPD hat den Kunden und die Kundin im Abschnitt Bürokratieabbau im Kopf (4.2). Wie wird man den Bedürfnissen des Kunden und der Kundin gerecht? Das Formular zur Steuererklärung steht digital vorausgefüllt zur Verfügung, ein Klick kann gemäß der CDU und CSU genügen (8.2). Transparenz ist für KundInnen insbesondere im Hinblick auf seine Dienstleistungen wichtig: die GeschäftskundInnen. Es können große, kleinere oder mittlere Unternehmer sein, wichtig ist jedoch, dass die GeschäftskundInnen sich auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren können. Hier fordern die Unionsparteien einen Kulturwandel von Gesetzgebung und Verwaltung, um UnternehmerInnen so wenig wie möglich zu belasten (FDP 5.8). Auch Transparenz ist besonders im Hinblick auf Dienstleistungen wichtig, also etwa die Frage, welche Daten gespeichert in Bürgerportalen oder im medizinischen Bereich gespeichert werden (Union 9.3 & 8.6).
Der Zeitungsleser und die Zeitungsleserin
Der Zeitungsleser und die Zeitungsleserin ist Metapher für engagierte BürgerInnen, die stets auf dem neuesten Stand sind und bleiben wollen. Der Zeitungsleser sieht sich als politisch aktiv, er nimmt Anteil an den Entwicklungen und möchte immer auf dem neuesten Stand gehalten werden. Dazu benötigt er Informationen. Besonders wenn es zu Skandalen und Unstimmigkeiten kommt, möchte er Bescheid wissen. Informationsfreiheitsrechte sind deshalb für ihn besonders wichtig. An ihn denken die SPD (11.10) und die FDP (18.3) bei ihren Forderungen nach mehr Informationsfreiheit. So schreibt die SPD: “Nur wenn alle Bürgerinnen und Bürger ohne großen Aufwand Zugang zu Medien und Informationen erhalten, können sie gleichberechtigt an demokratischen Prozessen teilhaben”(11.10).
ZeitungsleserInnen möchten genauso wie der eingebundene Aktivist ein Open Government, allerdings versteht er dieses Konzept anders. Er nutzt die Informationen, um seiner Meinung im Rahmen der bestehenden Partizipationsmöglichkeiten von Wahlen und Abstimmungen Gewicht zu verschaffen. Der Zeitungsleser ist also im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten politisch aktiv, dabei ist mehr Transparenz für ihn ein Hebel, weil er als Teil der kritischen Öffentlichkeit das Geschehen mitbestimmt. Die Offenheit und Transparenz von Daten kann dabei auch selektiv eingesetzt werden, wie etwa bei der SPD zur Förderung der Gleichberechtigung durch die Digitalisierung von Frauenarchiven (11.4) oder Wirtschaftsförderung.
Der eingebundene Aktivist/Aktivistin
Der eingebundene Aktivist und die Aktivistin will aktiv in politische Entscheidungsprozesse involviert werden und mit der Verwaltung “auf Augenhöhe” (Grüne 4.4.1) kommunizieren. Getreu dem Grundsatz des Chaos Computer Clubs “öffentliche Daten nützen, private Daten schützen” erwartet er/sie einen Staat, der ihm/ihr gegenüber transparent und auskunftsfreudig ist, gleichzeitig aber seine/ihre Privatsphäre und Bürgerrechte respektiert und gegenüber anderen Staaten und Unternehmen verteidigt. Informationsfreiheitsgesetze, die Bürgerinnen und Bürgern einen rechtlichen Anspruch auf Informationsauskunft nach Anfrage einräumen, sollen zu Transparenzgesetzen ausgebaut werden, in denen Informationen pro-aktiv veröffentlicht werden. Darüber hinaus sollen Open-Data-Programme ausgebaut werden, bei denen Daten der Verwaltung in maschinenlesbaren Formate möglichst kostenfrei zugänglich gemacht werden. Gleichzeitig soll die Kommunikation mit Behörden generell verschlüsselt sein, informationelle Selbstbestimmung gestärkt und verteidigt werden und Whistleblower besser geschützt werden – auch dann, wenn sie aus der Regierung oder der öffentlichen Verwaltung kommen.
Eingebundenheit bezieht sich dabei nicht nur um die aktive Einbindung in politische Entscheidungsprozesse, sondern auch auf sozialen Ausgleich. Der Staat bzw. die Verwaltung soll das Digitale nutzen, um Bürgerinnen und Bürger besser in das gesellschaftliche und kulturelle Leben einzubinden. Das wird vor allem daran deutlich, dass Forderungen nach mehr Partizipationsmöglichkeiten mit sozialen Sicherungen verbunden werden. Erreichen soll das bspw. ein bedingungsloses Grundeinkommen (Grüne 5.4, Linke 4.3) oder eine Stärkung von Arbeitsschutzrechten und Arbeitszeitrechten gerade auch für “Crowd- und Cloud-Arbeit” (Linke 2.3). Eingebunden sein heißt dabei auch, dass die Verwaltung den Zugang zu digitalen Dienstleistungen selbst ermöglicht.
Die AfD kann keinem Leitbild zugeordnet werden. Das überrascht einerseits, denn gerade partizipative Elemente würden ihrem Anspruch gerecht werden, “nah am Bürger zu sein”. Andererseits könnte es auch ein konsequentes Muster populistischer Politik sein, denn durch mehr partizipative und direktere Formen der Beteiligung könnte dieser Anspruch in sich zusammenfallen.
Fazit
Unsere Untersuchung zeigt, dass die Parteien ganz unterschiedliche Bürgerinnen und Bürger im Kopf haben, wenn sie über die Digitalisierung der Verwaltung nachdenken. Das Bild des Kunden hat den Bürger im Kopf, der in erster Linie Dienstleistungen in Anspruch nehmen will. Die Bilder vom Zeitungsleser und vom eingebundenen Aktivisten sind Bilder über politische Wesen, die sich auf unterschiedliche Arten Gehör verschaffen. Der eingebundene Aktivist tut dies auf neuen Wegen, während der Zeitungsleser digitale Informationen in bestehenden Beteiligungs- und Mitbestimmungsprozessen nutzt. Wenn die Positionen zur Digitalisierung der Verwaltung auch nicht wahlkampfentscheidend sind, so kann die Methode der Bürgerbilder dem Wähler auch im Bezug auf andere Themen hilfreich sein. So kann man sich fragen: bin ich die Bürgerin oder der Bürger, den sich die Parteien vorstellen?
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
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