Unsere vernetzte Welt verstehen
Marx, Engels und 3D Drucker
Sie brauchen ein Ersatzteil, einen Spielzeugdinosaurier für Ihre Tochter oder doch das neue Brillengestell? Drucken Sie es sich doch einfach aus. Bei Ihnen zuhause. Das passende Modell aus dem Internet geladen und an den 3D Drucker auf dem Schreibtisch geschickt, halten Sie nach kurzer Zeit das Objekt Ihrer Begierde in den Händen. Eine interessante Art der Produktion und Konsumtion, nicht wahr?
Sicher, für die Bereitstellung der involvierten Geräte, oder Instrumente, um gleich in die Marx’sche Terminologie einzusteigen, bedurfte es einer von kapitalistischer Arbeitsteilung und wohlmöglich auch Ausbeutung von Mensch und Natur geprägten Produktion. Doch was danach kommt, scheint so anders von dem, was Karl Marx und Friedrich Engels in ihrer Zur Kritik der politischen Ökonomie beschrieben. Im Folgenden werde ich daher zwei mehr oder minder zentrale Argumentationslinien Marx’ und Engels auf das im entstehenden befindliche Feld des privatindividuellen 3D Drucks legen.
Eliminierung des Zwangs zum Warentausch
Dass der Wert eines Gutes auf unterschiedlichen Annahmen basieren kann, ist wahrlich keine originär oder exklusiv Marxistische Idee, doch ist die Diskussion um die Entstehung von Wertmachung dadurch nicht minder interessant:
Wird ein Produkt zu einer tauschbaren Ware, so erhält es eine Geldeigenschaft in Anlehnung an seinen Tauschwert (S. 35). Geld hat nun die Funktion als ein Maß zu dienen und entsprechend Vergleichbarkeit und Äquivalenzen zwischen Gütern herzustellen. Potentiell ergibt sich daraus jedoch eine Problematik, wenn die Äquivalenz, bzw. der Tauschwert eines Gutes, in starkem Missverhältnis zu Werten, die auf anderen Messgrundlagen und -methoden basieren, steht (S. 65). Solche Bemessungsmethoden könnten bspw. eine Berechnung auf Basis von eingesetzter Arbeit, Material, Instrument und weiterer Kostenfaktoren sein, die zuvor teilweise oder komplett externalisiert, sprich nicht eingerechnet wurden. Marx beschreibt darauf aufbauend die Verselbstständigung des Geldes vom Produkt sowie die Scheinheiligkeit vieler Austauschverhältnisse, womit weitere interessante Anknüpfungspunkte geschaffen werden. Besinnt man sich fürs Erste jedoch auf den immanenten Problemkomplex des Güteraustauschs, ergibt sich ein spannender Gedanke:
In der Vergangenheit ergab die Spezialisierung individueller Fähigkeiten im Zuge der Arbeitsteilung eine Situation, in der Individuen zwangsläufig zu tauschabhängigen Konsumenten werden mussten (S. 417). Kritikalität ergab sich aus dem Phänomen, dass die mittelbare Bewertung von Gütern durch den Zwang zum Austausch und daraus folgernder Bewertung auf Basis des Tauschwerts vom inhärenten und unaufgeladenen Wert des Guts abweichen kann. Löste man jedoch den Zwang zum Austausch, wenn auch nur in Teilbereichen, durch die Schaffung einer mächtigen, flexiblen und individuellen Produktionsmöglichkeit durch das Instrument 3D Drucker auf, ergäbe sich zwei mögliche Szenarien: Entweder würden produzierte Güter nah an einer arbeits- und materialbasierten Bemessung plus Aufladung diverser Couleur (Emotionen etc.) bewertet oder sie entzögen sich einer Bewertung gar gänzlich, da das Gut lediglich gebraucht und nicht getauscht würde.
Die Produktion des Konsumenten
Spinnt man die Idee der neuen Austausch- und Konsumunabhängigkeit von Individuen weiter und setzt sie mit der kapitalistischen Bedürfniserzeugung zusammen, eröffnen sich weitere Gedankenspielräume:
Marx und Engels beobachteten das Phänomen einer Produktion, die sich ihre eigenen Konsumenten schafft und entwickelten zur Erklärung das konsumtive Zirkel. In diesem wird erstens die quantitative “Erweiterung der bestehenden Konsumtion” (S. 322), zweitens die Ausweitung auf andere Absatzmärkte sowie drittens die Schaffung neuer Bedürfnisse und Gebrauchswerte angestrebt. Sie fahren fort, indem sie beschreiben, dass “die Verwandlung dessen, was überflüssig erschien, in Notwendiges, geschichtlich erzeugte Notwendigkeit […] die Tendenz des Kapitals [ist].” (S. 433) Es stellt sich damit die Frage, ob sich eine beim Privatindividuum verortete und geführte Produktion diesem Zirkel nicht entziehen würde. Eine 3D Drucker Eigentümerin würde durch ihr Wissen um die einzusetzenden Ressourcen womöglich eine geringere Produktionsmenge an Gütern anstreben und neue Bedürfnisse nicht nur nicht schaffen, sondern bestehende womöglich einschränken. Eine genau gegenteilige Entwicklung wäre selbstverständlich auch denkbar.
Doch entwickeln wir noch kurz den Aspekt des Eigentums weiter. Wenn auch wahrscheinlich mit anderen Maschinen im Sinne schrieb Marx, dass “die Maschinen nicht aufhören werden, Agenten der gesellschaftlichen Produktion zu sein, sobald sie z. B. Eigentum der assoziierten Arbeiter werden.” (S. 723) Mit dieser These versuchten Marx und Engels wohl den Vorwurf ihrer Gegner ein technologiefeindliches Gesellschaftsmodell zu entwerfen, zu kontern, da sie ja die produktiven Errungenschaften der Industriellen Revolution auch weiterhin nutzen wollten; mit dem Unterschied, dass das Eigentum an der Produktion und ihren Instrumenten an die Allgemeinheit oder zumindest einen wesentlich größeren Kreis übergeht, statt bei der Bourgeoisie gebündelt zu sein. Eine atomisierte Produktion im Besitz und Eigentum von Individuen käme diesem Gedanken wohl schon recht nahe und würde zweifellos auch der Entfremdung vom Produkt entgegenwirken (S. 723 & S. 422).
Natur, Raum und Zeit
Zum Abschluss möchte ich noch, ganz passend, auf drei weitere Dimensionen eingehen, die Anknüpfungspunkte für weitere Gedankenentwicklungen geben könnten. So wäre bspw. die Verortung der individuell 3D-gedruckten Güter kompliziert. Wahrscheinlich sind sie meist in der Marx’schen Klassifikation keine Naturnotwendigkeiten doch auch der Antipode Luxusgut muss nicht immer zutreffend sein (S. 434). Welche Art von Bedürfnis jeweils durch ein Objekt befriedigt wird, wäre wohl eher eine Fallentscheidung. Und um bei der Naturdimension zu bleiben, ergeben sich in Bezug auf die Nachhaltigkeit und Unnatürlichkeit dieser Produktionsart sehr facettenreiche Möglichkeiten der Auseinandersetzung, die sich auch schon in der Kritik der politischen Ökonomie finden: “Die Natur baut keine Maschinen, keine Lokomotiven, Eisenbahnen, electric telegraphs, selfacting mules etc. Sie sind Produkte der menschlichen Industrie; natürliches Material, verwandelt in Organe des menschlichen Willens über die Natur oder seiner Betätigung in der Natur.” (S. 602)
Auch das von Marx beschriebene Streben des Kapitals nach Überwindung örtlicher Schranken (S. 445) nun angewendet auf das Überkommen jener Grenzen durch Ideen und 3D Modelle in Form digitaler Informationen als kostenfreie und gemeinschaftliche erarbeitete Datei zum direkten Ausdruck wäre sicher fruchtbar.
Ferner erhebt Marx beispielsweise auch die Ökonomie der Zeit im Rahmen der gemeinschaftlichen Produktion “in viel höherem Grade” (S. 105) zum Gesetz als es im Kapitalismus der Fall ist, was jedoch in Kontrast zur geteilten und möglicherweise ineffizienteren und zeitintensiveren Produktion durch maximal dezentrale 3D Maschinen stehen könnte.
Der geneigte Leser konnte nun sicherlich und hoffentlich Widersprüche erkennen und so hoffe ich, zwei aus der Verbindung von 3D Drucken und Marxistischen Grundideen entsprungenen Gedankenspiele anregend beschrieben zu haben und freue mich Ihre und Eure Ansichten zu lesen und schließe mit einem, wie ich fand, weisenden Zitat:
“Es ist zu bedenken, daß die neuen Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse sich nicht aus Nichts entwickeln, noch aus der Luft, noch aus dem Schoß der sich selbst setzenden Idee; sondern innerhalb und gegensätzlich gegen vorhandne Entwicklung der Produktion und überlieferte, traditionelle Eigentumsverhältnisse.” (S. 203)
Literatur
- Marx, K. & Engels, F. (1983). Zur Kritik der politischen Ökonomie. Werke, Band 42. Berlin: Dietz Verlag.
Dieser Beitrag ist Teil der wöchentlichen Blogartikel der Doktoranden des Alexander von Humboldt Institutes für Internet und Gesellschaft. Er spiegelt weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wieder. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Artikel und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de.
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