Unsere vernetzte Welt verstehen
Mein Roboter hat meine Hausarbeit geschrieben: KI-Anwendungen und Kreativität an der Universität
Die Einführung von ChatGPT hat an Universitäten für Aufsehen gesorgt. Es wurden Befürchtungen laut, dass die Nutzung generativer KI-Anwendungen alles andere als förderlich für das kritische Denken von Studierenden ist … oder, schlimmer noch, zu einer Zunahme von Plagiatsfällen führen könnte. In diesem Blogbeitrag gehen wir der Frage nach, ob und wie generative KI zur Förderung der Kreativität an der Universität eingesetzt werden kann.
‘“My doggy ate my homework. He chewed it up,” I said.
But when I offered my excuse. My teacher shook her head.’
Crawley, 2004
Mein Hund hat meine Hausaufgaben gefressen! Diese Ausrede von Schüler*innen ist so zeitlos, dass sie sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag hat. Neue technische Entwicklungen wie ChatGPT, andere Large-Language-Models (LLMs) oder Text-to-Image-Modelle werden jedoch möglicherweise die Schuld vom armen Hund auf einen anderen Übeltäter verlagern: die generative KI – der zukünftige Ghostwriter von Hausaufgaben und Hausarbeiten.
Seit der Einführung im November 2022 hat ChatGPT viel Aufmerksamkeit erhalten: Sowohl von Wissenschaftler*innen, die Vorzüge und Gefahren des Chatbots für das wissenschaftliche Publizieren sowie das Wissenschaftssystem diskutieren, als auch von Pädagog*innen, die zwischen vorsichtigem Lob und Kritik schwanken. Die größten Befürchtungen sind, dass generative KI zu mehr Plagiatsfällen führen wird, dass sie sich nachteilig auf den Lernerfolg der Studierenden auswirkt und dass sie zum Aussterben der studentischen Hausarbeit beiträgt. Alles in allem ist ein abschließendes Urteil über ChatGPT noch nicht gefallen. Nun, da der Semesterbeginn ansteht, stellt sich die Frage erneut, ob und wie generative KI-Anwendungen in die Hochschullehre integriert werden sollten.
Killt KI Kreativität?
Bedeuten generative KI-Anwendungen den Tod der Kreativität, weil alle Texte und Bilder gleich aussehen? Wir sehen generative KI-Tools wie ChatGPT nicht entweder als Bedrohung oder Hilfsmittel, sondern glauben, dass sie uns auch die Möglichkeit geben können, unsere Schreibpraxis zu überdenken: Wenn wir davon ausgehen, dass eine gute Hausarbeit nicht allein durch KI erstellt werden kann, was macht dann ein gute Hausarbeit aus? Könnten wir von KI-Tools profitieren, indem sie gewisse Aufgaben des Schreib- oder Gestaltungsprozesses übernehmen? Welche Teilaufgaben erfordern menschliche Kreativität?
Kreativität jenseits von KI
ChatGPT und andere generative KI-Tools sind in ihrer Kreativität begrenzt. Dies hängt damit zusammen, wie generative KI funktioniert: Textgeneratoren beispielsweise optimieren Texte und geben die wahrscheinlichste Wortfolge wieder, basierend auf den vielen Texten, mit denen sie trainiert wurden – wodurch teilweise verletzende Inhalte und Stereotype reproduziert werden. Solche Texte können zwar nützlich sein, wenn es darum geht, standardisierte Kommunikation zu verfassen oder Inhalte auszufüllen, aber etwas wirklich Neues zu produzieren ist nicht der Zweck generativer KI-Tools. Das müssen wir als Nutzer*innen beachten, wenn wir deren Outputs anschauen und bewerten. Beim Schreiben von Essays und Hausarbeiten zeigen unkreativ generierte Texte auf, wie wichtig frische Ideen, neue Wendungen und unkonventionelles Denken für den Schreibprozess sind. Da Textgeneratoren nicht kreativ, sondern reproduktiv sind, müssen Studierende ihre eigenen Wege finden, Texte zu konzipieren und zu schreiben. ChatGPTs generisches Schreiben führt uns vor Augen, was es heißt, ein Essay kreativ zu gestalten.
Was passiert, wenn man ChatGPT eine Hausarbeit schreiben lässt? Nach der anfänglichen Überraschung, dass ein KI-Tool eine durchaus differenzierte Strukturierung generiert hat, stellten Studierende eines Seminars an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden schnell fest, dass weder der Schwerpunkt des Textes noch die erstellten Definitionen für ihr Fachgebiet geeignet waren. Dies führte dazu, dass sie genauer recherchieren mussten, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Durch diese Herangehensweise lernten die Studierenden, KI-Ergebnisse kritisch zu hinterfragen und zu überlegen, wie sie diese angemessen in ihre Hausarbeit integrieren könnten.
Kreativ sein mit KI
Auch im Dialog mit generativen KI-Tools können neue Ideen entstehen, insbesondere wenn ein spielerischer Ansatz verfolgt wird. Das Tool und der*die Nutzer*in arbeiten zusammen – sie bilden eine kollaborative Einheit, die Aufgaben gemeinsam bewältigt. Im Gespräch mit ChatGPT können kreative Ideen sprießen, wachsen und Gestalt annehmen.
Die Interaktion mit einem KI-Schreibtool kann unerwartete Begriffe, Konzepte oder Textstrukturen zu Tage bringen. Ob man die von KI-Anwendungen erzeugten Bilder oder Texte ablehnt, sie annimmt oder anpasst, der*die Nutzer*in ist gezwungen, sich kreativ mit den KI-Ergebnissen auseinanderzusetzen. In dem Moment, in dem wir die Prompts, also Befehle, anpassen, um den Chatbot ChatGPT oder den Bildgenerator Stable Diffusion dazu zu bringen, etwas Außergewöhnliches zu produzieren, treten wir in einen ko-kreativen Austausch zwischen Technologie und Nutzer*in.
An Universitäten werden verschiedene Praktiken angewandt, um dieses Kreativitätspotenzial zu ergründen, wie Abbey Bamford im Gespräch mit Designschaffenden im Online-Magazin Design Week ausführte: In dem Artikel ermutigt die Professorin für Grafikdesign an der University of Leeds, Dr. Catherine Stones, die Studierenden, “KI-agil” zu bleiben und zu hinterfragen, ob KI-generierte Bilder Stereotype aufrechterhalten oder Urheberrechtsprobleme aufwerfen. Ein anderer Befragter der Ravensbourne University London, Leiter des Creative Lab, Darek Yates, sieht in KI-Tools das Potenzial, den kreativen Prozess zu unterstützen, indem sie viele Optionen und schnell erstellte Prototypen bieten. Eine Entlastung von mühsamen Aufgaben durch generative KI führe außerdem dazu, dass Konzeptentwicklung und andere kreative Schritte priorisiert werden könnten.
Der Mensch als Urheber*in
Arbeiten generative KI-Technologien und Nutzer*innen zusammen, würde das Essay oder das Bild wirklich zu einem Cyborg-Produkt, zu einem Ergebnis der Kombination von Mensch und Maschine. Dies sollte uns jedoch nicht dazu verleiten, das KI-Tool als verantwortlich für die Inhalte zu betrachten. Die phantasielosen, stereotypischen und in manchen Fällen schädlichen Inhalte, die KI-Tools reproduzieren, zeigen erneut die ethischen Implikationen der KI-Nutzung auf. Der*die Nutzer*in muss die von der KI erzeugten Ergebnisse überprüfen und außerdem entscheiden, wann überhaupt KI eingesetzt werden sollte und wann nicht. Letztendlich ist der Mensch als Urheber*in für den Inhalt verantwortlich, und die KI als Ghostwriter kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn sie ein schlechtes Essay schreibt. Genau wie der Hund, ist sie der falsche Schuldige.
Abschließende Gedanken
Die Ängste und Bedenken gegenüber ChatGPT und anderen LLMs erinnern an vergangene Diskussionen darüber, wie sich Bildungstechnologien (EdTech) auf die Qualität der Hochschulbildung auswirkt – eine Debatte, die bis heute andauert. Diese früheren und heutigen Diskussionen laufen auf dieselbe Frage hinaus: Welche Rolle sollte die Technologie in unserem Leben spielen?
Wir haben verschiedene mögliche Rollen von KI-Tools in der universitären Lehre angesprochen, vom phantasielosen Ghostwriter bis hin zum kreativitätsfördernden Begleiter, und wie sich diese verschiedenen Rollen auf Kreativität an der Universität auswirken.
Hochschulleiter*innen und Lehrkräfte können diese neuen Technologien nutzen und regulieren – mit dem wünschenswerten Ziel vor Augen, Kreativität in Seminaren zu fördern und die gesamte Universität zu einem kreativen und resilienten Ort zu machen.
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
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