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Zwischen Vision und Realität: Diskurse über nachhaltige KI in Deutschland
Künstliche Intelligenz wird häufig als mächtiges Werkzeug im Kampf gegen den Klimawandel dargestellt. Aber wie realistisch ist diese Vision? Dieser Blogbeitrag untersucht, wie KI im laufenden Diskurs sowohl als Antrieb für positive Veränderungen als auch als Technologie mit erheblichen ökologischen Kosten betrachtet wird. In Deutschland verlagert sich die Diskussion um nachhaltige KI zunehmend – von der anfänglichen Begeisterung über das Potenzial von KI in der Landwirtschaft und für die Verkehrswende hin zu wachsenden Bedenken bezüglich ihres ökologischen Fußabdrucks. Kann KI wirklich Teil der Lösung sein oder trägt sie letztlich zu den Problemen bei, die sie zu lösen versucht?
Die Kontroverse rund um nachhaltige KI
In den letzten Jahren hat der Begriff der nachhaltigen KI in akademischen und politischen Kreisen an Bedeutung gewonnen. Auch auf unserem Digital Society Blog haben wir verschiedene Aspekte dieser KI-Technologien hervorgehoben – von Projekten, die KI zum Schutz der Umwelt einsetzen, bis hin zur Rolle von KI in nachhaltigen Industriesektoren. Doch was genau bedeutet der Begriff nachhaltige KI und wie wird er in der öffentlichen Debatte in Deutschland diskutiert?
Der Begriff der nachhaltigen KI lässt sich grob in zwei Bereiche unterteilen: KI für Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeit von KI (van Wynsberghe, 2021). KI für Nachhaltigkeit bezieht sich auf Technologien, die umweltfreundliche Zwecke unterstützen, wie KI-Systeme, die Energiesysteme optimieren, bedrohte Tierarten schützen oder Waldbrände und Entwaldung mithilfe von Satellitenbildern überwachen. Auf der anderen Seite untersucht die „Nachhaltigkeit von KI“ den ökologischen Fußabdruck von KI selbst, einschließlich der energieintensiven Prozesse, die für das Training großer maschineller Lernmodelle oder den Betrieb von leistungsstarken Rechenzentren erforderlich sind. Aktuelle Forschungen haben versucht, den CO2-Fußabdruck der Nutzung generativer KI-Modelle zu untersuchen. Laut einer Studie von Forschern des KI-Startups Hugging Face und der Carnegie Mellon University kann das Generieren eines einzigen KI-Bildes so viel Energie verbrauchen, wie nötig ist, um ein Smartphone vollständig zu laden.. Die Tatsache, dass diese Unterscheidung – zwischen KI als Werkzeug für Nachhaltigkeit und den ökologischen Kosten von KI-Systemen selbst – erst kürzlich in die öffentliche Debatte eingetreten ist, zeigt, wie aktuell diese Diskussionen sind. Der Diskurs beginnt gerade erst, die volle Komplexität der ökologischen Auswirkungen von KI zu erfassen.
Die grünen Versprechen der Tech-Giganten: Nachhaltige KI oder nur PR?
Im Gegensatz zur breiten Öffentlichkeit erkannten große Technologieunternehmen wie Google, Microsoft und Meta schnell den Trend und das Bedürfnis nach nachhaltiger KI. Sie versprechen Klimaneutralität und Recycling-Maßnahmen, um als umweltbewusst wahrgenommen zu werden. Allerdings zielen diese Selbstregulierungen oft hauptsächlich darauf ab, Regulierungsbehörden, Verbraucher*innen und Aktivist*innen zu beruhigen. Das eigentliche Geschäftsmodell bleibt unverändert (Dauvergne, 2022). So hat Google beispielsweise versprochen, bis 2030 klimaneutral zu werden. Dennoch weist der Umweltbericht des Unternehmens für dieses Jahr 14,3 Millionen Tonnen CO2-Emissionen aus. Im Vergleich zu 2019 sind diese Zahlen um 48 Prozent gestiegen, im Vergleich zum Vorjahr sind es um die 13 Prozent. Laut Google ist dies vor allem auf den erhöhten Energieverbrauch seiner Rechenzentren im Zusammenhang mit KI-Anwendungen zurückzuführen. Das Unternehmen betont jedoch, dass es daran arbeite, die damit verbundenen Umweltbelastungen verantwortungsvoll zu steuern(Google, 2024, S. 10). Die tatsächliche Nachhaltigkeit von Unternehmen bleibt aufgrund eines Mangels an transparenten Daten und geeigneten Messmethoden jedoch schwer messbar (Kaack et al., 2022). Da die Nachfrage nach KI-Technologien weiter steigt, ist es wichtig, nicht nur die ökologischen Auswirkungen von KI-Systemen kritisch zu bewerten, sondern auch den Austausch zwischen den verschiedenen Interessengruppen zu fördern, um sicherzustellen, dass die Entwicklung dieser neuen Systeme echten Nachhaltigkeitszielen entspricht.
KI und Nachhaltigkeit im Diskurs in Deutschland
Die folgende Analyse ist Teil meiner Dissertation über KI-Diskurse in der deutschen Politik, den Medien und auf dem sozialen Netzwerk X von 2012 bis 2021. Obwohl die Ergebnisse noch nicht endgültig sind, möchte ich einige erste Einblicke in meine Arbeit über nachhaltige KI in Deutschland geben, bevor im nächsten Jahr konkrete Resultate vorliegen.
Meine bisherige Analyse zeigt, dass sich der Diskurs über KI und Nachhaltigkeit in deutschen Medien und der Politik in den letzten Jahren vor allem auf nachhaltige Wertschöpfung konzentriert hat. Das bedeutet, auf die langfristigen Vorteile, die Organisationen schaffen, indem sie sowohl ökologische und soziale als auch wirtschaftliche Aspekte in ihre Abläufe integrieren. So wollen sie letztlich gleichzeitig zu einer gesünderen Umwelt und Gesellschaft beitragen und ihre Rentabilität sichern. Insbesondere in Sektoren wie der Landwirtschaft und Mobilität sollen KI-Anwendungen so zur Förderung von Nachhaltigkeit beitragen. So wird in der Präzisionslandwirtschaft durch den Einsatz von Datenanalysen beispielsweise der Ressourcenverbrauch optimiert, was zu weniger Wasser- und Düngemittelverschwendung führt. Ebenso steuern KI-Technologien im Mobilitätssektor intelligente Verkehrssysteme, die durch eine effizientere Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel Staus und Emissionen verringern. Start-ups wie Octopus Energy oder Swiss Future Farm und ihre Marketingversprechen dominierten diesen Diskurs um nachhaltige Wertschöpfung, häufig begleitet von starkem technologischem Solutionismus und kühnen Behauptungen. Künstliche Intelligenz wurde oft als schnelle und einfache Lösung im Kampf gegen den Klimawandel dargestellt, insbesondere im Hinblick auf die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs). Politische Maßnahmen fördern die Idee, dass digitale Technologien in Bereichen wie Stadtplanung, Kreislaufwirtschaft und der Energiewende eine nachhaltige Entwicklung vorantreiben könnten. Langfristig soll dies zu mehr Transparenz beim Ressourceneinsatz, höherer Effizienz und besserer Ernährungssicherheit führen.
Der Energie- und Wasserverbrauch und die allgemeinen Umweltkosten von KI rückten erst 2019 und 2020 in den Fokus, als große deutsche Medienhäuser wie der Tagesspiegel (Parrisius, 2019) und Der Spiegel (Bethge, 2020) sowie Parteien wie Die Grünen (Janecek, 2019) den ökologischen Fußabdruck von KI-Technologien verstärkt hervorhoben. Auch wenn dieses Problem bei weitem nicht so intensiv diskutiert wurde wie das Versprechen, dass KI zur Lösung des Klimawandels beitragen könne, zeigt sich doch, dass sich die Prioritäten im öffentlichen Diskurs allmählich zu verschieben begannen. Dieser Perspektivwechsel führte dazu, dass sich das Bundesumweltministerium 2020 an der Fortschreibung der deutschen KI-Strategie (Die Bundesregierung, 2020) beteiligte. Die aktualisierte Strategie strebt an, die technologischen Versprechen von KI mit einem kritischeren Verständnis ihrer ressourcenintensiven Natur in Einklang zu bringen. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass KI zwar zur Nachhaltigkeit beitragen kann, gleichzeitig aber selbst auch zu den großen Herausforderungen der Digitalisierung, wie erhöhtem Energiebedarf und Elektronikmüll, beiträgt. Werden die zunehmenden Bedenken hinsichtlich der Nachhaltigkeit von KI-Sytemen angesichts der aktuellen Begeisterung über ihre Fähigkeiten die nötige Aufmerksamkeit erhalten? Oder werden sie von den wirtschaftlichen Interessen großer Technologieunternehmen, die ihre Innovationen vorantreiben wollen, überlagert?
Vom Fortschrittsglauben zum kritischen Diskurs
Es mag verlockend sein, die solutionistische Denkweise zu kritisieren, die den medialen und politischen Diskurs weiterhin bestimmt. Doch die Wirklichkeit ist komplexer. Technologische Lösungen für globale Herausforderungen zu suchen, ist zunächst ein vernünftiger und nachvollziehbarer Ansatz. Es stellt sich jedoch die dringende Frage, ob KI im Kontext des Klimawandels letztlich mehr schaden als nützen wird.
Das von der Tech-Industrie propagierte Lösungsdenken verfestigt die Vorstellung, dass der Kapitalismus und seine technologischen Errungenschaften die Probleme lösen können, die sie zum Teil selbst verursacht haben (Schütze, 2024). Dieser Ansatz läuft Gefahr, das Thema nachhaltige KI zu stark zu vereinfachen, indem er die umfassenderen Auswirkungen von KI auf die Umwelt übersieht. Um das volle Ausmaß des Einflusses von KI auf die Nachhaltigkeit zu verstehen, bedarf es eines differenzierten Dialogs, der wissenschaftliche Perspektiven und eine kritische Analyse einbezieht. Nur ein solcher ausgewogener Diskurs ermöglicht es, die Chancen und Risiken Künstlicher Intelligenz angemessen abzuwägen und sicherzustellen, dass ihr gefährliches Potenzial, bestehende Umweltprobleme weiter zu verschärfen, in der öffentlichen Diskussion nicht vernachlässigt wird.
Ein vergleichbarer Wandel ereignete sich im Energiesektor, insbesondere im Kontext der erneuerbaren Energien. Anfangs lag der Schwerpunkt vor allem auf technologischen Innovationen in den Bereichen Solar-, Wind- und Bioenergie, die als einfache Lösungen für die Klimakrise präsentiert wurden. Diese technologischen Heilsversprechen, vorangetrieben durch Industrie und Regierungen, vernachlässigten jedoch zentrale Fragen wie Energiegerechtigkeit und begrenzte Ressourcen. Mit der Zeit wurde der Diskurs differenzierter: Wissenschaftler*innen und politische Entscheidungsträger*innen lenkten zunehmend die Aufmerksamkeit auf die ökologischen und sozialen Kosten erneuerbarer Technologien, etwa durch Rohstoffabbau und Landnutzung. Inzwischen stehen deshalb auch Analysen der Ökobilanz und Aspekte der Energiegerechtigkeit im Zentrum der Debatte. Das ermöglichte einen ausgewogeneren Ansatz, der als ein Modell für die Auseinandersetzung mit den Umweltauswirkungen der KI dienen könnte.
References
Bethge, P. (2020, February 12). Landwirtschaft der Zukunft: Unsere schlaue Farm. Der Spiegel. https://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/landwirtschaft-forscher-entwickeln-den-ackerbau-der-zukunft-a-00000000-0002-0001-0000-000169356848
Dauvergne, P. (2022). Is artificial intelligence greening global supply chains? Exposing the political economy of environmental costs. Review of International Political Economy, 29, 696–718. https://doi.org/10.1080/09692290.2020.1814381
Die Bundesregierung. (2020). Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung. Fortschreibung 2020. https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Technologie/strategie-kuenstliche-intelligenz-fortschreibung-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=10
Google. (2024). Environmental Report. https://sustainability.google/reports/google-2024-environmental-report/
Janecek, D. (2019, May 6). Wie entwickeln wir eine digitale Nachhaltigkeitsstrategie, damit Künstliche Intelligenz nicht als Brandbeschleuniger bei Energie- und Ressourcenbedarf sowie CO2 wirkt? [Online post]. X. https://x.com/DJanecek/status/1125301898083487744
Kaack, L. H., Donti, P. L., Strubell, E., Kamiya, G., Creutzig, F., & Rolnick, D. (2022). Aligning artificial intelligence with climate change mitigation. Nature Climate Change, 12(6), Article 6. https://doi.org/10.1038/s41558-022-01377-7
Parrisius, A. (2019, November 3). Stromfresser Internet: Was unser Digitalkonsum an Energie kostet. Der Tagesspiegel Online. https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/was-unser-digitalkonsum-an-energie-kostet-6868006.html
Schütze, P. (2024). The Problem of Sustainable AI: A Critical Assessment of an Emerging Phenomenon. Weizenbaum Journal of the Digital Society, 4(1), Article 1. https://doi.org/10.34669/WI.WJDS/4.1.4
van Wynsberghe, A. (2021). Sustainable AI: AI for sustainability and the sustainability of AI. AI and Ethics. https://doi.org/10.1007/s43681-021-00043-6
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
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