Unsere vernetzte Welt verstehen
Netzneutralität: Argumente-Inventur beim European Dialogue on Internet Governance
Während auf der großen politischen Bühne um den Fortbestand der EU gerungen wird, ließ sich am 12. Juni 2014 in Berlin ein schöner Europa-Moment erleben. In einem kleinen Saal im Auswärtigen Amt drängten sich beim European Dialogue on Internet Governance (EuroDIG) gut 50 Menschen unterschiedlichster Herkunft, um über Netzneutralität zu sprechen – Politiker, Vertreter von Internet- und Inhalteanbietern, interessierte Bürger und Wissenschaftler.
Bei der Diskussion habe ich viele, aber wenige neue Argumente gehört. Genau das ist ausnahmsweise eine gute Nachricht. Denn vielleicht zeigt es, dass sich mit einem komplizierten Thema wie Netzneutralität innerhalb weniger Jahre eine breite Öffentlichkeit erreichen ließ. Das Internet als Infrastruktur entzieht sich zwar immer mehr der Wahrnehmbarkeit – dazu habe ich hier etwas geschrieben. Richtig ist aber auch, dass heute viele Leute über netzpolitische Fragen Bescheid wissen.
Der Europäische Rat ist am Zug
Die Diskussion beim EuroDIG schloss an die Gesetzgebungsbestrebungen auf EU-Ebene an. Anfang April verabschiedete sich das Europäische Parlament mit einem Gesetzestext (PDF) in die Sommerpause. Der Text enthält so ausdrückliche Bestimmungen zu Netzneutralität für Internetzugangsdienste, dass selbst Aktivisten und langjährige Verfechter des Prinzips vorläufig Grund zum Feiern sahen. Die Parlamentarier haben das Prinzip der Netzneutralität bejaht, wenn auch mit Ausnahmen, nämlich den sogenannten Spezialdiensten.[1]
Jetzt heißt es: warten, dass die Regierungen der EU-Länder im Europäischen Rat ihr Votum abgeben. Man hoffe, dass die italienische Ratspräsidentschaft den Prozess noch in diesem Jahr zum Ergebnis führe, so Elvana Thaçi von der Generaldirektion Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit im Europäischen Rat.
Netzneutralität als Grundlage für Medienvielfalt
Währenddessen machten die Teilnehmer beim EuroDIG Argumente-Inventur. “Netzneutralität ist eine Grundlage für freie Meinungsäußerung und Medienvielfalt”, erklärte Matthias Spielkamp von Reporter ohne Grenzen. “Lassen wir zu, dass Internetzugangsanbieter die Inhalte bestimmter Anwendungen, Anbieter oder Herkünfte zu unterschiedlichen Konditionen an die Endkunden zustellen, dann erhöht dies die Eintrittsbarrieren für neue Inhalteanbieter im Markt. Das wäre ein Problem. Denn unter den Plattformen mit wenig Ressourcen sind auch solche, die für den öffentlichen Diskurs wichtige Positionen zugänglich machen.” Lange sei schwer zu vermitteln gewesen, wie relevant das Thema sei. Aber nachdem inzwischen fast alle Inhalte digital verbreitet würden, sei klar: Netzneutralität ist wichtig.
“Wenn kleine Unternehmen mit Internetzugangsanbietern aus ganz Europa Verträge verhandeln müssen, um ihre Inhalte in guter Qualität verfügbar zu machen, dann stellt das eine Hürde dar und mindert die Medienvielfalt.” Man müsse da vorausdenken, so Sabine Verheyen (Mitglied des Europäischen Parlaments, CDU).
Die mittleren und kleinen Unternehmen werden in der Diskussion immer wieder genannt, um Netzneutralität zu begründen. Dabei gebe es keine Belege, dass kleine Anbieter diskriminiert würden, so ein Teilnehmer. Die Konflikte ereigneten sich doch vor allem zwischen großen Anbietern wie in den USA zwischen Netflix und Comcast.
Dem widersprach Jeanette Hofmann, Professorin für Internetpolitik. Diskriminierung von Inhalten kann vielfältig Gestalt annehmen, und sie geschieht bereits: In mehreren Ländern, darunter Brasilien und Indien, würden Handys im Paket mit gesponsertem Datenzugang verkauft – der Netzzugang sei jedoch auf einzelne Plattformen wie Facebook beschränkt. “Mit dem Internet, wie Europäer es verstehen, hat das nichts mehr zu tun. In diesen Fällen handelt es sich um eine 100-prozentige Diskriminierung aller anderen Anbieter.”
Netzneutralität und-oder mehr Wettbewerb unter Zugangsanbietern?
Moderator Frédéric Donck von der Internet Society wandte mehrfach ein, ob es bei Netzneutralität nicht eigentlich um die Frage nach Wettbewerb gehe. Wenn Nutzern die Traffic-Management-Aktivitäten ihres Internetanbieters nicht gefielen – sei dann nicht die wichtigste Frage, ob es einen anderen Anbieter gebe, zu dem sie wechseln können? Das Argument verhallte jedoch. Solange etwa ländliche Gegenden Europas noch darum ringen, dass sie überhaupt von einem Anbieter Breitbandzugang bekommen können, müsse unmittelbar gehandelt werden. Da waren sich Matthijs van Bergen (Externer Rechtsexperte für den Europäischen Rat) und Sabine Verheyen einig. Van Bergen plädierte als Einziger in der Runde für eine öffentliche Glasfaser-Infrastruktur, auf der Unternehmen ihre Dienste anbieten könnten, analog zum Stromnetz.
Kritik an ungenau formulierten Ausnahmen für “Spezialdienste”
Allgemeine Verunsicherung zeigte sich bei der Frage, wie die Ausnahmen von der angedachten Netzneutralität in der EU bestimmt werden. Denn Ausnahmen soll es geben. In der Sprache der geplanten EU-Verordnung heißen diese “Spezialdienste”. Internetzugangsanbieter hätten demnach die Möglichkeit, Dienste anzubieten, für die sie zum Beispiel eine Qualitätsgarantie geben. Im normalen Internet gibt es diese Garantien nicht: Das Internet ist so angelegt, dass alle in Datenpakete zerlegten Inhalte bestmöglich, aber eben nacheinander abgearbeitet und zugestellt werden (Best-effort-Prinzip) – gleich welcher Art oder Herkunft.
“Die Definition der Spezialdienste ist sehr ungenau. Es lässt sich nicht erkennen, ob diese Dienste Teil des offenen Internets sein sollen oder nicht und was darunter fallen wird”, kritisierte ARD-Vertreter Per-Erik Wolff den Text des Europäischen Parlaments ursprünglichen Entwurf der Europäischen Kommission. Der überarbeitete Verordnungsentwurf des Eurpäischen Parlamentes enthält eine etwas genauerer Formulierung. Es ist die Rede von “logisch getrennte[n] Kapazitäten [… ]mit strenger Zugangskontrolle”, die nicht “als Substitut für den Internetzugangsdienst” vermarktet oder genutzt werden könnten.
Am Ende: Abstimmen wie die Internet-Ingenieure
Inspiriert vom Abstimmungsmodus bei den Internet-Ingenieuren der IETF, einigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops im rough consensus summend auf Prinzipien. Sie sollen der europäischen Delegation zum globalen Internet Governance Forum im September 2014 in Istanbul mitgegeben werden. Denn so geübt und dadurch vielleicht langweilig die Diskussion in Europa inzwischen auch erscheint: Auf EU-Ebene ist das Verfahren noch nicht abgeschlossen, und global könnten sich noch manche Länder davon inspirieren lassen.
The agreed upon bullet points:
- Internet traffic management – if needed for quality of service reasons – should be managed in an appropriate, transparent and not-discriminatory way
- The net neutrality principle is instrumental to the full enjoyment of Internet users’ fundamental rights
- To protect net neutrality principle, national and European policies are required, in addition to the competition-driven market
- Specialised services should not cause a detriment to the quality of the regular “Open Internet”
1. Netzneutralität wird im Verordnungsentwurf des Europäischen Parlamentes wie folgt definiert:
Der Grundsatz der “Netzneutralität” im offenen Internet bedeutet, dass der gesamte Datenverkehr ohne Diskriminierung, Einschränkung oder Beeinträchtigung und unabhängig von Absender, Empfänger, Art, Inhalt, Gerät, Dienst oder Anwendung gleich behandelt werden sollte.
Die Ausnahme von der Netzneutralität, wird so gefasst:
“Spezialdienst” ist ein elektronischer Kommunikationsdienst, der für spezielle Inhalte, Anwendungen oder andere Dienste oder eine Kombination dieser Angebote optimiert ist, über logisch getrennte Kapazitäten und mit strenger Zugangskontrolle erbracht wird, Funktionen anbietet, die durchgehend verbesserte Qualitätsmerkmale erfordern, und als Substitut für Internetzugangsdienst weder vermarktet wird noch genutzt werden kann;
Dieser Beitrag ist Teil der regelmäßig erscheinenden Blogartikel der Doktoranden des Alexander von Humboldt Institutes für Internet und Gesellschaft. Er spiegelt weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wieder. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de.
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