Der gläserne Autofahrer? Dashcams, automatische Kennzeichenerfassung und die Maut
Zum ersten Artikel: Der gläserne Autofahrer? Der Deutschen “liebstes Kind” wird zur Datenschleuder!
Der technische Fortschritt macht auch vor Deutschlands Straßen und öffentlichen Plätzen nicht halt:
Autofahrer installieren sog. Dashcams – Videokameras auf dem Armaturenbrett oder an der Windschutzscheibe, die während der Fahrt fortwährend aufzeichnen – in ihren Fahrzeugen, um Verkehrsabläufe zu dokumentieren und die Aufnahmen zu Beweiszwecken beispielsweise bei einem Verkehrsunfall oder bei Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer zu nutzen.
Auf etlichen Straßen in der Bundesrepublik findet, von den Fahrzeugführern und -insassen grundsätzlich unbemerkt, die automatische Kennzeichenerfassung vorbeifahrender Kraftfahrzeuge statt – massenhaft und ohne Verdacht. Dabei nimmt eine Videokamera die Kennzeichen eines jeden vorbeifahrenden Autos mit einem nicht sichtbaren Infrarotblitz auf. Das Ergebnis wird mit dem polizeilichen Fahndungsbestand abgeglichen. Auch über das LKW-Maut-System werden an bestimmten Stellen auf Bundesautobahnen stichprobenartig alle vorbeifahrenden Fahrzeuge bzw. deren Kennzeichen mittels eines Frontalfotos erfasst.
Daneben erfassen auch viele private Betreiber z. B. von Parkhäusern, Campingplätzen, Freizeitparks und Firmenparkplätzen massenhaft KfZ-Kennzeichen.
Die rechtliche Zulässigkeit all dieser Maßnahmen ist umstritten. In letzter Zeit sind zu einigen dieser Praktiken Gerichtsentscheidungen ergangen. Was haben die Gerichte entschieden? Sind die Entscheidungen begrüßenswert? Welche Überwachungsmaßnahmen im Verkehr sind noch ungeprüft? Kann man für diese Maßnahmen aus den ergangenen Gerichtsentscheidungen Leitlinien herausfiltern?
I. Staatliches KFZ-Kennzeichen-Scanning
Im Jahre 2008 hatte das Bundesverfassungsgericht Regelungen zur automatisierten Kennzeichenerfassung in den Polizeigesetzen Schleswig-Holsteins und Hessens für verfassungswidrig erklärt. Das Kennzeichenscannen greife immer dann in den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ein, wenn das Kennzeichen nicht unverzüglich mit dem Fahndungsbestand abgeglichen und (im Nichttrefferfall) anonym, ohne weitere Auswertung und spurenlos sofort wieder gelöscht werde, so dass es nicht Grundlage weiterer Maßnahmen werden kann. Ein solcher Eingriff sei jedoch nicht gerechtfertigt, da er auf keiner verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage beruhe. Die angegriffenen Regelungen ermöglichten je nach Verwendungskontext unterschiedlich gewichtige Grundrechtsbeschränkungen – von geringer Persönlichkeitsrelevanz bis hin zu Eingriffen von erheblichem Gewicht (z. B. Erstellung eines Bewegungsprofils). Hingegen regelten sie weder den Anlass für die Erhebung noch den Verwendungszweck hinreichend klar. Mit dem Fehlen der Zweckbestimmung ließen die Normen auch offen, inwiefern neben der Ziffernfolge des Kennzeichens noch andere Daten mit der Aufnahme erhoben werden konnten. In dieser unbestimmten Weite genügten die angegriffenen Bestimmungen auch nicht dem Verhältnismäßigkeitsgebot. Sie ermöglichten schwerwiegende Eingriffe, ohne die für derart eingriffsintensive Maßnahmen grundrechtlich geforderten gesetzlichen Eingriffsschwellen hinreichend zu normieren.
In Bayern hingegen darf die Polizei vorerst weiter die Nummernschilder der Fahrzeuge automatisch erfassen. Vorige Woche hat das Bundesverwaltungsgericht eine gegen diese Datenerhebung gerichtet Unterlassungs(revisions)klage zurückgewiesen (Az.: BVerwG 6 C 7). Laut der bisher allein vorliegenden Pressemitteilung liege lediglich im Trefferfall – also nachdem sowohl der automatische als auch der von einem Polizisten manuell vorgenommene Abgleich der erfassten Kennzeichennummer mit dem Datenbestand anonym, d. h. ohne dass die Identität des Halters des KFZ mit dem betreffenden Kennzeichen festgestellt worden wäre, vollzogen wurde – ein Eingriff vor. Denn erst dann werde der Datensatz im Speicher festgehalten und gegebenenfalls als Grundlage weiterer Maßnahmen herangezogen. Dem Kläger drohe ein solcher Eingriff jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit, weil die Kennzeichen von ihm gehaltener Kraftfahrzeuge nicht in den herangezogenen Dateien gespeichert seien und nur eine hypothetische Möglichkeit dafür bestehe, dass sie künftig dort gespeichert werden könnten.
Kritik
Diese Begründung für die Klagzurückweisung mutet insbesondere angesichts des o. g. Bundesverfassungsgerichtsurteils sehr seltsam an. Bei der Zulässigkeitsprüfung der Rechtssatzverfassungsbeschwerde hatte das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich betont, dass es zum erforderlichen Nachweis der persönlichen und gegenwärtigen Betroffenheit der Beschwerdeführer ausreiche, wenn diese vortrügen, eingetragene Halter ihrer Personenkraftwagen zu sein und mit ihnen regelmäßig auf Straßen im jeweiligen Bundesland zu fahren. Ein weitergehender Nachweis, etwa dahingehend, dass die Kennzeichen der Beschwerdeführer darüber hinaus in polizeilichen Datenbeständen verzeichnet sind, dürfe schon deshalb nicht gefordert werden, da sich die Beschwerdeführer dadurch sonst unter Umständen selbst einer Straftat bezichtigen müssten. Der Revisionskläger hat eben dies beim Bundesverwaltungsgericht vorgetragen – dass er KfZ-Halter mit Wohnsitz in Bayern und Österreich sei und mit seinem Auto häufig auf Bayerns Straßen führe. Warum dies anders als bei der Verfassungsbeschwerde für die Unterlassungsklage beim Bundesverwaltungsgericht nicht ausreichen soll, ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Denn auch von dem Kläger kann hier nicht verlangt werden, sich selbst zu belasten. Außerdem ist es auch für den Einzelnen schwierig, die Wahrscheinlichkeit eines Eingriff durch die Kennzeichenerfassung darzulegen. Zwar erfolgt diese als „offene Maßnahme“, weil die Kameras in der Regel für die vorbeifahrenden KfZ-Führer sichtbar sein. Der Akt des Fotografierens und Abgleichens hingegen erfolgt für die KfZ-Führer unsichtbar bzw. „heimlich“ – zumindest wenn sich nicht unmittelbar eine andere Maßnahme anschließt, die Polizei einen Wagen unmittelbar nach der Identifikation über die Ziffern des Nummernschilds anhält.
Es bleibt abzuwarten, ob sich hierzu noch erhellende Erläuterungen in den Urteilsgründen finden bzw. wie sich das Bundesverfassungsgericht hierzu verhält.
II. Kennzeichenerfassung durch das Mautsystem – staatlicher Zugriff?
Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts forderte jetzt laut der Zeitschrift Spiegel der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) – wie zuvor schon viele andere, so beispielsweise kürzlich der ehemalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich oder bei der Einführung des Systems der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble –, dass die Polizeibehörden von Bund und Ländern auf die Daten des LKW-Maut-Systems zugreifen können müssten. Der BDK kritisiert, dass die Behörden kostspielig eigene Erhebungen vornehmen müssten, obwohl die Technik mit dem Mautsystem bereits verfügbar sei. Bisher ist dieser Zugriff jedoch gesetzlich ausgeschlossen. Durch diese Ausschlussregelung wollte man bei der Einführung des Mautsystems 2005 der Befürchtung entgegentreten, mithilfe der Mautdaten könnten Bewegungsprofile von Bundesbürgern erstellt werden.
Sollte die bayrische Kennzeichenerfassung als erste Regelung ihrer Art vom Bundesverfassungsgericht für rechtmäßig erachtet werden und sich die entsprechende Praxis bundesweit verbreiten, ist wohl damit zu rechnen, dass diese Forderung noch prominenter wird. Mehr noch, wenn nun – analog zum jetzigen System für LKWs – auch ein PKW-Maut-System geschaffen wird, das nach dem Gesetzesentwurf von CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt keine Vignette, sondern eine elektronische Erkennung der Nummernschilder zur Überwachung vorsieht.
III. Private Datensammlungen im Straßenverkehr
1. Dashcams
Im August ergingen die ersten Urteile zur Zulässigkeit der Verwendung von Dashcams. Sowohl das VG Ansbach (Az.: AN 4 K 13.01634), das als erstes deutsches Gericht darüber urteilte, als auch das AG München (Az.: 345 C 5551/14), das einen Hinweisbeschluss zur Frage der zivilprozessualen Verwertbarkeit von mittels einer Dashcam erstellten Fotoaufnahmen erließ, halten den dauerhaften Einsatz von Dashcams für rechtlich unzulässig. Es verstoße gegen § 6b BDSG. Ließe man Dashcams zu, würde eine privat organisierte, dauerhafte und flächendeckende Überwachung sämtlicher Personen, die am öffentlichen Verkehr teilnehmen, ermöglicht. Dies könne nicht gewollt sein. Das AG verwies unter anderem auf die parallele Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Unzulässigkeit der Installation einer Überwachungskamera im Bereich des Zugangs zu einem Wohnhaus (BGH NJW 1995, 1955 ff., 1957).
2. Private Kennzeichenerfassung
Bisher weitgehend ungeprüft – sowohl von Gerichten als auch von den datenschutzrechtlichen Aufsichtsbehörden der Länder – sind Kennzeichen-Erfassungssysteme privater Betreiber. Auch hier werden die Kennzeichen aller Nutzer unbemerkt erfasst, wohl aber zu einem anderen Zweck als bei der Polizei, etwa um Parkzeitmanipulation zu unterbinden. Besonders problematisch erscheint in diesem Zusammenhang, dass weitgehend unklar ist, welche Daten genau erhoben werden (nur das Kennzeichen oder z. B. auch ein Foto der Insassen, Ein- und Ausfahrzeiten oder z. B. auch Häufigkeit des Besuchs), wie lange diese gesichert werden und wer darauf Zugriff hat. Zudem fehlt jede institutionalisierte und effektive Kontrolle dieser privaten Datenbanken.
Die Zulässigkeit dieser privaten Datenerhebungen richtet sich nach anderen Maßstäben als die datenschutzrechtliche Beurteilung des staatlichen Kennzeichenscannens, so dass die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts keinen unmittelbaren Einfluss auf die Beurteilung der Erfassung durch private Stellen hat. Sowohl die Rechtsgrundlagen als auch die Zwecke sind andere. Dennoch könnten sich aus der noch ausstehenden Begründung des Gerichts Leitlinien für den Umgang mit den privaten Datenerhebungen ergeben.
Auch aus den Urteilen zur Dashcam bzw. der Überwachungskamera im Wohnungszugangsbereich können keine direkten Schlüsse gezogen werden. Das Einscannen der Kennzeichen zur Identifikation in Parkhäusern oder Campingplätzen z. B. zu Abrechnungszwecken oder zum Schutz vor Missbrauch erscheint eher geeignet und erforderlich als eine Überwachungskamera zum Schutz der Wohnung. Der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht durch das Einscannen scheint überdies von geringer Intensität als eine ständige Aufzeichnung des Verkehrs durch eine Dashcam. Dennoch können sich auch aus diesen Entscheidungen Anhaltspunkte für die von den datenschutzrechtlichen Aufsichtsbehörden der Länder bereits angekündigten Prüfungen ergeben.
IV. Fazit
Angesichts des wachsenden potentiellen Überwachungsdruck im öffentlichen Raum ist zu hoffen, dass dauerhafte bzw. flächendeckende anlasslose Erhebung personenbezogener Daten – sei es per Kennzeichenerfassung oder per Videoaufzeichnung – zum Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts und damit der freien Entfaltungsmöglichkeit der Bürger nur in erforderlichen Ausnahmefällen zugelassen wird. Dies gilt unabhängig davon, ob die Datensammlung staatlich oder privat erfolgt. Wenn auch Private nicht unmittelbar an Grundrechte gebunden sind, sondern vielmehr ebenfalls Grundrechte in Anspruch nehmen können, gilt es, die (wirtschaftlichen) Interessen der privaten Datensammler mit den Interessen der Betroffenen in Einklang zu bringen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass sich die Bürger einem immer umfassenderen Netz der privater und staatlicher Überwachung ausgesetzt sehen, das gerade in Fällen privater Datenerhebung schlecht kontrollierbar ist, womit eine erhebliche Missbrauchsgefahr – sowohl von privater als auch von staatlicher Seite – einher geht.
Dieser Beitrag ist Teil der regelmäßig erscheinenden Blogartikel der Doktoranden des Alexander von Humboldt Institutes für Internet und Gesellschaft. Er spiegelt weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wieder. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de.
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