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Revolution oder Rückwärtsgang? Urheberrechtsreform in Europa
Seit einigen Tagen ist der Entwurf der Urheberrechtsreform der EU offiziell in der Welt. Ein Blick in die Dokumente lohnt sich nicht nur wegen des viel kritisierten Leistungsschutzrechts für Presseverleger. Denn es gibt eine Reihe interessanter Neuerungen, die vor allem den Umgang mit Filmen auf Video-on-demand-Seiten, bei User-generated-Content und Onlineangeboten von TV-Sendern verändern könnten.
Es ist das Ergebnis jahrelanger Diskussionen um die Zukunft des Urheberrechts in der Europäischen Union: Vergangene Woche stellte die EU-Kommission die Entwürfe von jeweils zwei Richtlinien und Verordnungen zur Reform des Urheberrechts vor.
Viel Kritik – vor allem am Leistungsschutzrecht für Presseverleger
Schon Ende August bot ein geleaktes Folgenabschätzungsdokument der EU einen ersten Vorgeschmack auf das Urheberrecht, wie es sich die EU-Kommission vorstellt. Und dieser erste Happen traf bei einer Vielzahl von Kritikern so gar nicht den Geschmack – vor allem hagelte es Kritik wegen den Plänen, ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger nun auch auf EU-Ebene zu etablieren. Diese Immaterialgüterrechte sollen die digitalen Inhalte von Verlegern vor dem Zugriff und der Verwendung durch andere Onlinedienste, wie etwa Google, schützen und so deren angemessene Ausschöpfung sicherstellen. Das seit 2013 im deutschen Urheberrecht geltende Schutzrecht begegnet auf nationaler Ebene massiver Kritik aus Gründen der Informations- und Meinungsfreiheit. Während hierzulande die Forderung nach der Abschaffung des Leistungsschutzrechts zu hören ist, möchte die EU dieses nun für alle Mitgliedstaaten einführen. Julia Reda, die für die Piratenpartei im europäischen Parlament sitzt, wirft der Kommission in diesem Zusammenhang vor, Industrieinteressen vor die der Internetnutzer zu stellen und vergleicht die Entwürfe mit dem gescheiterten ACTA-Abkommen (Folgenabschätzungsdokument, S. 10 ff.). Besonders erzürnt die Kritiker auch der Umfang des vorgeschlagenen Leistungsschutzrechts, das nicht etwa wie in Deutschland nur für ein Jahr nach der Veröffentlichung, sondern gleich für 20 Jahre gelten soll.
Urheberrecht im Filmbereich – Probleme erkannt, Lösungen zweifelhaft
Europäische Filme und VoD
Unabhängig von dieser Kritik gibt es aber auch einige Anstöße in den Entwürfen, die frischen Wind in die Segel des EU-Urheberrechts bringen könnten. Besonders spannend lesen sich zunächst die Pläne zur Reform im Bereich der audiovisuellen Medien und vor allem im Video-on-demand (VoD) Bereich. Hier geht es um Plattformen wie etwa Netflix, auf denen der Nutzer online auf ein Filmangebot zugreifen und dieses dann unmittelbar per Streaming ansehen kann.
In ihrer Folgenabschätzung stellen die Autoren fest, dass europäische Filme auf Video-on-Demand-Seiten unterrepräsentiert seien und auch sonst ein grenzüberschreitender Austausch von solchen Medien sehr selten erfolge – dies gelte es zu ändern (Folgenabschätzung, S. 18 ff.). Dieser Erkenntnis trägt der Artikel 10 in der vorgeschlagenen Richtlinie Rechnung und verpflichtet Mitgliedstaaten zur Einrichtung eines „Verhandlungsmechanismuses“. Mit dessen Hilfe sollen Probleme bei der Lizenzierung von VoD-Inhalten überwunden werden. Wie diese Hilfestellung konkret ausgestaltet wird, überlässt die Kommission den Mitgliedstaaten, betont aber in Erwägungsgrund 30, dass es sich um eine Institution handeln solle, die professionelle und externe Hilfe anböte.
Diese recht vagen Vorgaben lassen an der Effektivität und vor allem an einer in den verschiedenen Mitgliedstaaten gleichen Qualität der Hilfe zweifeln. Als weiteres Mittel, um die Repräsentanz europäischer Filme zu erhöhen, sieht die EU die Erreichung eines Dialogs, etwa in Form eines runden Tisches mit den verschiedenen Betroffenen. Das Ergebnis könne dann etwa die Festlegung von selbstregulierenden Maßnahmen seien. Auch hier klingt die Idee der Kommission recht interessant, wirft aber Fragen nach der Effektivität und Umsetzbarkeit auf.
TV- und Rundfunksender
Ein genauerer Blick lohnt sich auch auf Neuerungen im Bereich der TV- und Rundfunksender, deren grenzüberschreitende Angebote die EU-Kommission durch die Reform anstoßen und fördern möchte. Neben neuen Formen des Filmkonsums, wie den eben beschriebenen VoD-Services, konzentriert sich das Publikum klassischer TV- und Radiosendungen noch immer auf das jeweilige Herkunftsland des Senders.[3] Die Zuschauer nutzen aber auch hier vermehrt die Onlineangebote der Sender. Möchten TV- und Rundfunksender diese auf andere Mitgliedstaaten ausweiten, bereitet die Rechteklärung wegen der vielen verschiedenen Rechtsinhaber im Film- und Fernsehbereich oft Probleme. Das führt zu hohen Transaktionskosten und verringert die Anreize für grenzüberschreitende Angebote. Eine Folge ist dann häufig das viel kritisierte geoblocking, bei dem Sender ihre Inhalte für ausländische Konsumenten sperren. Um die Einholung von Lizenzen zu erleichtern, etabliert die Kommission in Artikel 2 des Entwurfs der Verordnung das Herkunftslandprinzip. Dadurch müssen die Sender die Rechte nur für ihr eigenes Land klären, können die Inhalte aber in allen Mitgliedstaaten anbieten. In der zu zahlenden Lizenzgebühr wird diese weitere Nutzung dann berücksichtigt. Diese Regelungen beziehen sich allerdings nur auf die Angebote klassischer TV- und Radiosender und gelten etwa nicht für reine Onlineangebote, wie sie zum Beispiel Webcaster betreiben. Besonders interessant an diesem Vorschlag der Kommission ist die gewählte Rechtsform als Verordnung. Verordnungen gelten unmittelbar in allen Mitgliedstaaten und gewährleisten so eine einheitliche Umsetzung.
Hosting-Plattformen zum Filtern verpflichtet
Mit Artikel 13 der Richtlinie versucht die Kommission bei den Pflichten von Hostprovidern im Umgang mit von ihren Nutzern eingestellten urheberrechtsrelevanten Inhalten aufzuräumen. Bestes Beispiel für solche Plattformen ist der Videogigant YouTube. Die Provider werden im ersten Absatz zunächst zur Zusammenarbeit mit und Aufklärung gegenüber den Rechteinhabern sowie zu Maßnahmen zur Verhinderung von Urheberrechtsverletzungen verpflichtet. Als Beispiel für solche Maßnahmen werden dann Inhaltserkennungs- und Filterprogramme genannt – so wie etwa das Content-ID-System von YouTube. Die Diskussion um Filterpflichten und Vergütungen für Rechteinhaber durch Hosting-Plattformen wurde seit Jahren ohne klare Richtung geführt wurde. Deutliche gesetzliche Vorgaben können diesem noch immer sehr unübersichtlichen Rechtsgebiet Konturen verschaffen. Gleichzeitig ist den Kritikern einer solchen Filterpflicht zuzugestehen, dass Filtersysteme fehleranfällig sein können und die großen Akteure im Internet meistens ohnehin schon über solche (kostenintensiven und komplexen) Filtersysteme verfügen. Deshalb wird befürchtet, dass etwa kleine Startups durch diese Auflagen vor noch größeren Hürden ständen, um mit großen Host-Providern in Wettbewerb zu treten.
Neue Ausnahmetatbestände für Bildung und Forschung – aber keine Revolution
Auch neben diesen Beispielen bieten die Entwürfe der Kommission interessante Neuerungen, etwa die Einführung europaweiter Schrankenregelungen für Unterricht und Forschung. Auch zu beachten sind die Neuerungen für vergriffene Werke, die jedoch weiterhin durch die Begrenzung auf Kulturerbeeinrichtungen einen recht begrenzten Anwendungsbereich haben. Selbst wenn sich die Hoffnungen auf eine Revolution des Urheberrechts bei diesen Vorschlägen nicht erfüllt, hat die EU wohl auch keinen gewaltigen Rückwärtsgang eingelegt. Zumindest für den Film- und Fernsehbereich kann man auf die Umsetzung der Neuerungen gespannt sein.
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
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