Unsere vernetzte Welt verstehen
Rural und digital: Revolution in der Landwirtschaft?
Um sich neu zu erfinden, nimmt die Landwirtschaft sich die Industrie 4.0 als Vorbild: Drohnen, autonome Traktoren und Roboter sind der erste Schritt. Doch bislang verhindern fehlende Plattformen und schlecht ausgebaute Infrastrukturen auf dem Land die vollständige Vernetzung zum Internet der Landmaschinen. In diesem Beitrag gibt Martin Schmidt einen Überblick zu aktuellen Entwicklungen, Chancen und Risiken.
Industrie 4.0, ein deutsches Fabrikmärchen
In der Industrie erleben wir gerade Erstaunliches: Roboterarme ersetzen die Kollegin oder den Kollegen, ganze Betriebsabläufe können aus der Ferne über sogenannte digitale Zwillinge gesteuert werden und intelligente Maschinen verarbeiten immer größere Datenmengen. In Deutschland wurde hierfür der Begriff Industrie 4.0 geprägt. Nach der Mechanisierung, Rationalisierung und Automatisierung kommt nun also die vierte industrielle Revolution, die Informationalisierung.
Wir brauchen: Gummistiefel, Smartphone, Drohne
Viele Menschen haben von der Landwirtschaft ein teils romantisch-verklärtes Bild von kleinbäuerlicher Idylle, glücklichen Tieren und Familienbetrieben. Damit geht einher, dass Landwirtschaft als ein eher konservativer Wirtschaftszweig angesehen wird.
Digitaler Salon: Mistgabel 4.0
Doch dem ist mitnichten so: seit etwa 25 Jahren wird intensiv daran gearbeitet, die Landwirtschaft präziser und effizienter zu machen. Spritzen, die Pflanzenschutzmittel ausbringen, Düngemaschinen und Erntefahrzeuge profitieren seit Jahren von den Informationen, die die digitale Verarbeitung von Satellitenbildern bringt. Gekoppelt mit Globalen Positionsbestimmungssystemen (GPS), die wie in jedem Auto auch in jedem Schlepper heutzutage Standard sind, kann man auf wenige Zentimeter genau arbeiten. Darüber hinaus ermöglicht die Positionsbestimmung die Zuschaltung eines Autopiloten.
Derzeit sind Drohnen schwer im Kommen. Landwirte nutzen sie, um die Pflanzengesundheit zu überwachen und ihre Felder zu vermessen. Jedoch sind noch viele weitere Anwendungen denkbar oder bereits Praxis. Beispielsweise können Drohnen schon heute Rinder in den Bergen aufspüren oder Schafe treiben. Selbst Minidrohnen zur Bestäubung von Pflanzen sind im Gespräch – quasi als Korrektiv zum Bienensterben. Im Nassreisanbau werden Drohnen zum Sprühen von Pflanzenschutzmitteln eingesetzt, da die Felder nur schwer befahrbar sind. Oder sie scheuen Rehkitze im hohen Gras auf, damit diese nicht beim Mähen getötet werden. Oder Wildschweine. Oder man identifiziert kleinräumig die Brutstätten von Schmetterlingen, um diese zu schützen.
Der autonome Traktor
Die größten und meistdiskutierten Heilsversprechen liegen in der automatischen Verarbeitung und Vernetzung von Informationen – der Kerngedanke der Industrie 4.0. Viele Hersteller wie Claas mit ihrer Tochterfirma 365FarmNet oder andere Anbieter wie trecker.com bieten inzwischen Agrarsoftware zur betrieblichen Prozessoptimierung an. Dazu kommen Systeme zur Vernetzung von Sensoren wie von Bosch für den Pflanzenbau (etwa zum Temperatur- und Wassermonitoring) und das Milchvieh (etwa für die Überwachung der Tiergesundheit). Diese Dinge sind nicht sonderlich neu, wenngleich hilfreich und zukunftsweisend. Innovativer sind da Robotersysteme. Die Firma AMAZONE forscht beispielsweise an einer Roboterplattform, die Pflanzen- und Bodenzustand automatisch erkennt und mit präzisen Spritzern Unkraut bekämpft. Fendt setzt hingegen auf Heerscharen von kleinen Saatrobotern. Andere sehen die Zukunft in Ernterobotern. Die meisten Systeme sind eher kleiner als bisherige Landmaschinen. Die US-amerikanische Firma Case IH hingegen präsentierte autonome Traktoren, die diesen Trend eher widerlegen.
Landwirtschaft 4.0
Bisher ist jedoch die Vernetzung von Robotern, Drohnen, Satelliten und weiteren Informationsquellen nur unzureichend realisiert. Sollte diese Kopplung zu Big Data Analysen gelingen, entsteht jedoch eine große Chance. Wir Menschen verändern die Ökosysteme heute so stark, schnell und nachhaltig, dass wir eine angepasste Form von Landwirtschaft brauchen, um unsere Ernährung zu sichern und gleichzeitig Ressourcen zu schonen. Durch leichte Roboter würde der Boden geschont, Drohnen und Satelliten könnten durch präzise Bilder Einsparungen von Chemikalien ermöglichen. Kleine und wendige Maschinen erlauben es, landschaftliche Besonderheiten zu nutzen um damit die Natur zu schützen und gleichzeitig die Produktivität zu erhöhen.
Was die einen als Chance sehen, ist jedoch auch in der Landwirtschaft – wie in vielen Bereichen, in denen Digitalisierung Einzug hält – risikobehaftet. Es gibt diverse Studien, die viele Jobs in Gefahr sehen. Allerdings betrachten viele die Digitalisierung auch als Jobmotor. Haltbare Prognosen sind hier schwer. Mehr Gewissheit gibt es jedoch bei der Vernetzung von Maschinen und Landwirten. Für die Umsetzung des Internet of Things braucht es schließlich gewisse Infrastrukturen. Diese sind in den ländlichen Gebieten mitunter schlecht ausgebaut; zu schlecht jedenfalls, um datenvolumenintensive Prozesse der Automatisierung zu unterstützen. Der neue Standard für mobiles Internet, 5G oder Edge Computing, könnten hier zukünftig Abhilfe schaffen.
Grafik: Lima Pix | Flickr CC BY 2.0
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
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