Sind TV- und andere Formate urheberrechtlich schützenswert?
Das Urheberrecht als Regelungsinstrument für den Interessenausgleich auf Kulturgütermärkten
Wie in letztwöchigem Blogbeitrag geht es auch in diesem Beitrag um Fernsehformate, diesmal aber aus rechtlicher Perspektive. Mit dem Aufkommen von Fernsehformaten war stets auch die Frage nach ihrem urheberrechtlichen Schutz verbunden. Ein solcher Schutz kann in vielerlei Hinsicht in Zweifel gezogen werden: Manche sehen Formate wie Scripted Reality- oder Game-Shows als reine Spielregeln bzw. Methoden für die Produktion einer Sendereihe an, andere halten Formate bzw. Konzepte mehr für abstrakte Ideen denn als konkreten Ausdruck. Und selbst wenn man letzteres zugrunde legte, kann man an der für den Urheberrechtsschutz erforderlichen Gestaltungshöhe zweifeln. Im Ergebnis werden Formate durch diese Argumente dem öffentlichen Gemeingut zugewiesen. Ihre Einordnung als ausschließlich nutzbares Privateigentum wird damit abgelehnt. Die Frage nach der Schutzfähigkeit von Formaten wird in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union allerdings unterschiedlich beantwortet. Das höchste holländische Zivilgericht bejahte in einem Fall die Werkqualität des Formats ‘Survive!’, sah es jedoch nicht als gegeben an, dass die die Gestaltungshöhe bestimmenden Elemente durch das angegriffene Format ‘Big Brother’ übernommen wurden. Demgegenüber hat der deutsche Bundesgerichtshof in dem Fall ‘Kinderquatsch mit Michael’ die Urheberrechtsschutzfähigkeit von Formaten generell abgelehnt.
Urheberrechtsschutz für Kulturgütermärkte notwendig?
Das in den europäischen Mitgliedsstaaten bestehende unterschiedliche Schutzniveau führt nicht nur zu Rechtsunsicherheit auf dem Europäischen Binnenmarkt, sondern wirft auch die Frage nach der Notwendigkeit eines einheitlichen urheberrechtlichen Schutzes in Europa auf. Die Entwicklung der unterschiedlichen Formatmärkte zeigt – eine weite Definition des Begriffs ‘Format’ vorausgesetzt, die auch Werbekonzepte, Online-Plattformen, Games sowie aufkommende cross- und transmediale Formate erfasst –, dass der zweifelsfreie Urheberrechtsschutz des gehandelten Kulturgutes für ihr Wachstum nicht unbedingt notwendig ist. Zumindest haben Gerichte in vielen Fällen das jeweils in Streit befindliche Format nicht als urheberrechtlich schützenswert angesehen, ohne dass dies der positiven Entwicklung des Marktes Abbruch tat. Für ein mehr an Rechtssicherheit wäre es jedoch erstrebenswert, den Werkbegriff europarechtlich zu harmonisieren, sei es nun zu Gunsten oder zu Lasten eines Urheberrechtsschutzes für Formate. Dabei kann die Antwort auf die Frage, ob bzw. wie Formate urheberrechtlich geschützt werden sollen, anhand von Schutzzwecken strukturiert werden, die das Urheberrecht seinen rechtsphilosophischen Begründungstheorien zufolge zu erfüllen hat.
Interessengleichgewicht durch Urheberrecht
Gemäß den in Kontinentaleuropa vorherrschenden individualistischen Urheberrechtsbegründungstheorien dient das Urheberrecht vornehmlich dem Schutz des Künstlers als Urheber. Doch während dieser eindimensionale Zweck im 18. Jahrhundert den gegebenen Umständen entsprochen haben mag, betrifft das Urheberrecht im sog. Digitalen Zeitalter nicht nur Künstler, sondern ganze Kulturindustrien und immer umfassender auch Nutzer, die an der sog. Participatory bzw. Remix Culture teilhaben möchten. Diese kulturellen Entwicklungen erfordern es, dass das Urheberrecht nicht mehr als reines Schutzinstrument für den Künstler, sondern als Regelungsinstrument verstanden wird, das einen Interessenausgleich zwischen allen durch das Urheberrecht Betroffenen gewährleistet. Einen solchen Interessenausgleich gewährleisten utilitaristische Urheberrechtsbegründungstheorien, wie sie in angelsächsischen Kulturräumen entwickelt wurden, weil sie nicht nur den Künstler, sondern die Gesellschaft als Ganzes in ihre theoretischen Überlegungen einbeziehen. Die Definition des Werkbegriffs dient dabei als erster Einstiegspunkt in eine solche Abwägung, wobei diese in einem nachfolgenden Schritt über die Ausgestaltung der urheberrechtlichen Ausnahmen und Begrenzungen angepasst werden kann. Eine weite Definition des Werkbegriffs kann etwa dazu führen, dass der Urheberrechtsschutz über ein enges Bearbeitungsrecht für den Rechtsinhaber bzw. eine weite sog. Fair-Use-Klausel für Bearbeiter des in Rede stehenden Werks wieder eingeschränkt wird. Wie schätzen nun die Teilnehmer der Formatmärkte die Bedeutung des Urheberrechts für ihre Innovationspraxis ein? Welche Voraussetzungen halten sie für eine Abgrenzung gemeinfreier und urheberrechtlich geschützter Güter für entscheidend?
Werkbegriff aus Sicht der Marktteilnehmer und des Europäischen Gerichtshofs
Zur Beantwortung dieser Fragen hat der Verfasser im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt “Zirkulation von Kulturgütern” des HIIG-Forschungsbereiches “Internet Policy und Governance” sowie im Rahmen seiner Masterarbeit am Eulisp-Institut Hannover die Teilnehmer des Fernseh- und Werbemarktes, aber auch der Open Source-Bewegung über die Notwendigkeit des Urheberrechtsschutzes für Formate und die Gesellschaft als Ganzes befragt. Die Ergebnisse tendierten zu einer sehr weiten Definition des urheberrechtlichen Werkbegriffs aber zu einem engen Bearbeitungsrecht bzw. einer weiten Fair-Use-Klausel zu Gunsten Nachschaffender. Zumindest der erste Teil dieses Ergebnisses deckt sich mit der Definition des Werkbegriffs, wie sie jüngst durch den Europäischen Gerichtshof auf Grundlage der gesetzgeberischen Erwägungsgründe unter anderem der Informationsgesellschafts-Richtlinie in fünf Entscheidungen entwickelt wurde. Vergleichbar mit dem theoretischen Ansatz der utilitaristischen Urheberrechtsbegründungstheorien gehen auch diese Erwägungsgründe davon aus, dass das Urheberrecht als Anreiz für die Entfaltung von Kreativität und Innovationen und damit zu Gunsten der Gesellschaft als Ganzes dient. Die danach durch den Gerichtshof entwickelten Kriterien legen es Nahe, dass auch Formate urheberrechtlich geschützt werden können.
Allerdings lassen zwei Aspekte daran zweifeln, dass das europäische Urheberrecht in Form seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof letztlich zu einer gerechten Abwägung zwischen den Interessen aller Marktbeteiligten dient: Denn zum einen gehen die Erwägungsgründe durchweg davon aus, dass nur ein hohes Urheberrechtsschutzniveau diese Anreize schaffen kann. Eine solche Tendenz macht es schwierig, den weiten Werkbegriff in einem späteren Schritt über ein enges Bearbeitungsrecht bzw. eine weite Fair-Use-Klausel wieder auszugleichen. Zum anderen greift der Europäische Gerichtshof auf die Erwägungsgründe nicht zurück, um bei der Entwicklung der einzelnen Kriterien des Werkbegriffs eine jeweils eigenständige Interessenabwägung durchzuführen. Vielmehr stellt er ausschließlich auf die Interessen des Urhebers ab, um seine Definition des Werkbegriffs als Ganzes zu rechtfertigen. Dabei gilt es natürlich anzuerkennen, dass der Gerichtshof das Ziel, durch seine Werkdefinition mehr Rechtssicherheit zu schaffen, durchaus erreicht. Es ist jedoch zweifelhaft, ob sich der Europäische Gesetzgeber bzw. der Europäische Gerichtshof in Hinsicht auf die noch ausstehende Harmonisierung urheberrechtlicher Bearbeitungen für ein enges Bearbeitungsrecht bzw. eine weite Fair-Use-Klausel zu Gunsten des gerechten Interessenausgleichs zwischen originär und nachschaffenden Urhebern entscheiden werden.
Literatur:
- Barudi, Malek, Autor und Werk – Eine prägende Beziehung? – Die urheberrechtliche Prägetheorie im Spiegel der Literaturwissenschaft, Mohr Siebeck 2013.
- Hansen, Gerd, Warum Urheberrecht? – Die Rechtfertigung des Urheberrechts unter besonderer Berücksichtigung des Nutzerschutzes, Nomos 2009.
- Jenkins, Henry/Ford, Sam/Green, Joshua, Spreadable Media – Creating, value and meaning in a networked culture, New York University Press 2013.
- Kreutzer, Till, Das Modell des Deutschen Urheberrechts und Regelungsalternativen, Nomos Verlagsgesellschaft 2008.
- Lessig, Lawrence, Remix – Making art and commerce thrive in the hybrid economy, Penguin Books 2008.
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