Unsere vernetzte Welt verstehen
Stimmt’s? Das Internet demokratisiert Innovation
Online kursiert die Idee, das durch einfach zugängliche Information und Werkzeuge jeder zum Innovator werden kann, nicht nur Know-How-Zentren wie große Firmen. Diesen Mythos hat sich Alina Wernick genauer angesehen.
Zum diesjährigen Internet Governance Forum (IGF) geben Matthias C. Kettemann (HIIG) und Stephan Dreyer (Leibniz Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI)) den Band „Stimmt’s? 50 Internetmythen auf dem Prüfstand“ heraus. Auf unserem Blog veröffentlichen wir eine exklusive Auswahl von Beiträgen aus dem Sammelband als Sneak Preview. Diese Mythen wurden von HIIG-ForscherInnen und Assoziierten auf den Prüfstand gestellt.
Mythos
Jeder kann überall Innovator*in werden, bietet das Internet uns doch ein beispielloses Maß an Wissen und Werkzeugen für Innovationen. Der Ort der Innovation verlagert sich vom Unternehmen zum Menschen. Dank des Internets wird der Zugang zu Innovationen weltweit gleichberechtigter.
Stimmt’s?
Das für Innovation erforderliche Wissen sowie die entsprechenden Informationen und Daten sind nicht immer online verfügbar, weil es entweder keinen Anreiz für ihren Austausch gibt oder weil rechtliche Beschränkungen bestehen – oder aus beiden Gründen. Diese Ressourcen können sich hinter einer Paywall befinden sowie als personenbezogene Daten oder urheberrechtlich geschützt sein. Nicht alle Innovator*innen sind bereit, ihre Innovationen online zu teilen, da dies ihr Geschäftsmodell gefährden könnte. Innovationen, die riskant sind und hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung erfordern, werden kaum im Netz, sondern vielmehr im Unternehmensumfeld umgesetzt. Urheberrechte wie beispielsweise Patente fördern Innovation, indem sie Innovatoren*innen vor Trittbrettfahrern schützen. Sie beschränken allerdings auch die Nutzung und Wiederverwendung von Innovationen im Internet.
Andererseits gibt es aber sowohl Einzelpersonen als auch Communitys von Innovator*innen, die ihre Innovationen aktiv im Internet teilen und veröffentlichen. Ein bekanntes Beispiel ist die Entwicklung von Open-Source-Software, bei der kollaborative Softwareentwicklung urheberrechtskonform möglich ist. Das Internet ermöglicht in der Tat einen demokratischen Zugang zu Innovation und deren Mitgestaltung. Hierbei können Innovationen modular aufgebaut und entwickelt werden, und wenn die an der Innovation Beteiligten nicht in Konkurrenz zueinander stehen, steigert die kollaborative Entwicklung die Qualität der Innovation und deren digitale Umsetzung (Baldwin und von Hippel 2011). Ein Internetanschluss reicht hierbei jedoch nicht aus, um Innovation im Internet zu fördern. Das in der Gesellschaft vorhandene Maß an Vertrauen bestimmt die Intensität des Engagements in der Entwicklung von Open-Source-Software und erklärt die Unterschiede hinsichtlich der Online-Innovationen von Städten, die ansonsten ähnliche technologische Bedingungen und Wohlstandsniveaus aufweisen (Stephany et al. 2019).
Letztlich ist das Internet auch ein begrenztes Medium zur Verbreitung von Innovationen in verkörperter Form. Das Design eines innovativen Objekts kann über das Internet geteilt werden, das Objekt selbst muss jedoch produziert werden. Zwar ermöglicht die 3D-Drucktechnologie die On-Demand-Produktion von aus dem Internet hochgeladenen Designs (was die „Maker-Community“ nutzt), jedoch sind der Vielfalt der verfügbaren Designs und der Komplexität der 3D-druckbaren Produkte Grenzen gesetzt. Von daher bleibt eine Massenproduktion unter Ausnutzung von Skaleneffekten oftmals das am besten geeignete Mittel, um den Zugang zu greifbaren innovativen Produkten zu demokratisieren.
Stimmt also nicht!
Das Internet ermöglicht im Netz die Mitgestaltung modularer, digital realisierbarer Innovationen wie beispielsweise Open-Source-Software. Anreize für Innovationen sowie rechtliche und gesellschaftliche Faktoren schränken die Teilnahme an demokratischen Innovations-Communitys und den Austausch von Innovationen im Internet ein. Die Mehrzahl der greifbaren, risikoreichen oder kostenintensiven Innovationen wird auch künftig von Unternehmen produziert werden.
Quellen
Carliss Baldwin und Eric von Hippel, Modeling a paradigm shift: From producer innovation to user and open collaborative innovation, Organization Science 22 (2011), 1399-1417.
Fabian Stephany, Fabian Braesemann und Mark Graham, Coding Together – Coding Alone: The Role of Trust in Collaborative Programming, SocArxiv (2019), https://osf.io/preprints/socarxiv/8rf2h/download.
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
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