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NETFLIX
23 September 2014

Warum Netflix erst jetzt in Deutschland gestartet ist

Seit wenigen Tagen ist der US-Streamingdienst Netflix nun auch in Deutschland mit seinem Angebot vertreten. Nun wird sich in der nächsten Zeit herausstellen, ob das viel diskutierte, heiß ersehnte und von Anderen gefürchtete Angebot den verschiedenen Erwartungen gerecht werden kann. Für viele Kommentatoren stellt der Dienst, der vor allem für seine Serien-Eigenproduktionen wie House of Cards, Orange Is The New Black oder Lilyhammer hoch gelobt und mit Preisen überhäuft wurde und wird, nichts anderes als eine Revolution für den deutschen Fernsehmarkt dar, der der ständigen Kritik an der unterstellten mangelhaften Qualität des deutschen Fernsehens ein Ende bereiten kann. Von anderer Seite wurde zum Beispiel auf dem Medienforum NRW im Mai diesen Jahres die Angst geäußert, dass der Netflix-Start eine unschlagbare Konkurrenz für das Fernsehen bedeuten könnte, der man aufgrund von kartellrechtlichen Auflagen kein konkurrierendes Angebot entgegensetzen kann.

Um diese und ähnliche Fragen soll es an dieser Stelle aber nur am Rande gehen, der Artikel möchte nicht die vielfältigen und seit Langem geführten Debatten rekapitulieren, sondern seinen Blick auf die ökonomische Strategie richten, die sich hinter dem Deutschlandstart von Netflix verbirgt. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auf der Wahl des Zeitpunkts für den Markteintritt. Auch hierzu ist in der Presse bereits viel geschrieben worden und von vielen Seiten werden die Erwartungen an den neuen Anbieter gedämpft einerseits mit dem Verweis auf die bereits existierenden Video-on-Demand-Angebote wie Maxdome, Amazon Prime oder Sky Snap und andererseits mit dem Hinweis auf die Schwierigkeit in dem deutschen Markt, der ein so reichhaltiges und kostenloses Angebot an Bewegtbildinhalten bietet, dass andere versuche den Markt für Bezahlfernsehen zu erschließen, gescheitert sind, wie der Blick auf Premiere zeigt. Auch als vor nicht allzu langer Zeit im Januar 2013 der Netflix Konkurrent Watchever in Deutschland an den Start ging, waren die Erwartungen groß, konnten aber bis jetzt nicht erfüllt werden und nun steht das Angebot scheinbar vor dem Verkauf.

Um den Blick auf die ökonomischen Strategien zu richten, nach denen Netflix operiert, lohnt es sich kurz die Firmengeschichte zu rekapitulieren. Gegründet 1997 als ein Video-Verleih-Geschäft, expandierte der Dienst schnell und hatte bereits fünf Jahre später, beim Börsengang 2002 eine knappe Million Mitglieder, die Filme über ein Abonnement bezogen. Als Netflix im Jahr 2010 mit Kanada den ersten ausländischen Markt ins Visier nahm, hatte sich das Unternehmen bereits auf das Angebot des Streaming-Dienstes über das Internet spezialisiert, komplexe Empfehlungs-Systeme entwickelt, die auf Grundlage großer Datenmengen besonders präzise Empfehlungen für die einzelnen Nutzer generieren und im Verlauf eines Jahres seine Abonnentenzahlen um 63% auf jetzt 20 Millionen Nutzer gesteigert. 2011 erschloss Netflix den südamerikanischen und 2012 die britischen, irischen und skandinavischen Märkte. Noch vor dem Start in den deutschen, österreichischen und schweizerischen Märkten am 16. September dieses Jahres hatte das Unternehmen weltweit mehr als 40 Millionen zahlende Kunden, laut Eigendarstellung. Die Perspektive des Unternehmens ist also eindeutig eine globale, dies ist auch nicht verwunderlich bei einem Unternehmen, was seine Umsätze größtenteils durch den Verkauf von Abonnements in dem hart umkämpften amerikanischen Markt erzielt und insofern auf Expansion angewiesen ist.

Die Antwort auf die Frage, warum es nun so lange gedauert hat, bis sich der Dienst entschloss, den Schritt auf den deutschen Markt zu gehen, ist nicht eindeutig zu beantworten, wie die folgenden Überlegungen zeigen. Aus der betriebswirtschaftlichen Perspektive des strategischen Marketings lassen sich zwei unterschiedliche Strategien für den Markteintritt eines neuen Produktes bzw. der Erschließung eines neuen Marktes für ein Unternehmen formulieren.[1] Auf der einen Seite sehen sich Pionierunternehmen, wie es in Deutschland bei Lovefilm im Jahr 2003 Fall war, beim Markteintritt mit keinem technisch vergleichbaren Konkurrenzprodukt konfrontiert. Mit so einer Pionierstrategie versuchen Unternehmen durch eine frühzeitige Markteinführung einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen. Dazu können laut der Theorie weitere Vorteile kommen, wie etwa die Sicherung knapper Ressourcen, das Setzen von technologischen Standards oder den Aufbau eines Image-Vorteils bei den Kunden. Andererseits können diese Unternehmen auf keine Erfahrungswerte zurückgreifen und gehen ein hohes Risiko ein. Besonders vor dem Hintergrund der schwierigen Erfahrungen, die zum Beispiel Premiere bei der Einführung des Pay-TV in Deutschland machen musste, die gezeigt hat, wie schwer es ist, Kunden neben den umfangreichen kostenlosen Angeboten in Deutschland für Bezahlinhalte zusätzlich zu den obligatorischen Rundfunkgebühren zu gewinnen, wird das hohe Risiko deutlich. Es spricht also erst einmal viel gegen einen zu erwartenden Erfolg für Netflix, dass sich nicht in der Pionierrolle wieder findet.

Dass die Pionierstrategie bisher auch nicht immer erfolgreich war, zeigt der drohende Verkauf des Anbieters Watchever. Darüber hinaus weisen viele Kommentare und Erfahrungen der Nutzer darauf hin, dass die bisher bestehenden Angebote noch nicht ausreichend die Kundenbedürfnisse befriedigen. So finden sich in fast keinen der verschiedenen aktuell existierenden Angebote viele originalsprachliche Inhalte.

Für Unternehmen, die nicht als Pioniere neue Märkte erschließen, sondern mit einer Folgestrategie in Märkte vordringen, können auch aus dieser Situation verschiedene Vorteile erwachsen. So können Folgeunternehmen von dem Freerider-Effekt profitieren, wenn der Pionier die eventuell bestehende Skepsis der Kunden gegenüber einer neuen Produktart bereits beseitigt hat. Darüber hinaus können diese Unternehmen auch aus den Fehlern der Pionierunternehmen lernen. Ein Faktor, der in der Literatur beschrieben wird, bezeichnet die Trägheit von Pionierunternehmen, die nach der ersten erfolgreichen Produktgeneration ihr Produkt nicht schnell genug weiter entwickeln.

Statistisch gesehen ging die Wissenschaft in den 1970er und 1980er Jahren von einer höheren Erfolgswahrscheinlichkeit der Pionierstrategie aus,[2] dies wurde aber in den 1990er Jahren widerlegt,[3] so dass nun eine generelle Vorteilhaftigkeit der Pionierstrategie gegenüber der Folgestrategie nicht mehr zu bestehen scheint.[4]

Aus der subjektiven Perspektive des Autors geht hervor, dass der Gesamtumfang des Deutschland-Angebotes von Netflix noch nicht zufriedenstellend ist, dafür aber eine gewisse Expertise in der Auswahl der Filme und Serien zeigt, die manchen anderen Anbietern fehlt. Es bleibt also abzuwarten, wie sich das Programm in Zukunft entwickeln wird, denn dass da noch viel auf Basis der detaillierten Nutzungsanalysen kommen wird, hat der Chief Content Officer Ted Sarandos im Interview angekündigt.

Bleibt also abschließend festzuhalten, dass der Erfolg von Netflix in Deutschland schwer vorhersagbar ist. Es gibt aber, wie oben beschrieben, einige Argumente, die dafür sprechen: zum Einen, dass Sky mittlerweile schwarze Zahlen schreibt und so den Markt für Bezahlinhalte bereitet hat und zum Anderen die Tatsache, dass der Medienrummel vor und rund um den Start des Angebots in Deutschland so enorm war und ist, dass sich Netflix hier hohe Ausgaben in der Marketingabteilung sparen konnte.


1. De Castro, J; Christman, J, order of market entry, competitive strategy, and financial performance, Journal of business research, Volume 33, Issue 2, June 1995, pages 165-177

2. Frawley, T.; Fahy, J.: Rivistiting the First-Mover Advantage Theory. A Resource-Based Perspective, in: – The Irish Journal of Management 27 (2006) 1, S. 273-295

3. Tellis, G. J.; Golder, P. N.: Will and Vision. How Latecomers Grow to Dominate Markets, New York u. a. 2002

4. Gerpott, T. J.: Strategisches Technologie- und Innovationsmanagement, 2. Aufl., Stuttgart 2005, S. 225

Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de

Urs Kind, Dr.

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