Unsere vernetzte Welt verstehen
Welchen Einfluss hat die Technologie auf gesellschaftliche Teilhabe?
Während der Vormittag der Thementagung Chancen und Risiken der gesellschaftlichen Partizipation hauptsächlich auf die aktuellen akademischen Diskurse zur Partizipation innerhalb wirtschaftlicher, politischer oder zivilgesellschaftlicher Zusammenhänge in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen bezogen waren, trat die Abschlussveranstaltung inhaltlich einen Schritt vom primär wissenschaftlichen Diskurs zurück und nahm die tatsächliche technologiebasierte Umsetzung von Partizipationsansätzen in den Blick. Carlos Affonso Pereira de Souza, Direktor des Rio de Janeiro Institute for Technology and Society, und Mayte Peters, Vorstandsvorsitzende von Publixphere e.V. (beide mit akademischem und forschungsbezogenem Hintergrund) schilderten ihre Erkenntnisse anhand zweier konkreter Anwendungsfälle bzw. Praktiken gesellschaftlicher Teilhabe.
Die ambivalente Bedeutung der Technologie für die Partizipation
Die Einleitung zur Abschlussveranstaltung mit dem Titel „How much difference can technology make?“ hielt Wolfgang Schulz (Direktor des Alexander von Humboldt Instituts). Er verwies auf die zwiespältige Bedeutung von internetbasierten Plattformen und digitalen Werkzeugen für Partizipationsvorhaben. Zwar ist gesellschaftliche Teilnahme sowohl online als auch offline nicht ursächlich von den technologischen Rahmenbedingungen bestimmt, dennoch determinieren die technischen Hilfsmittel die Regeln der Kommunikation und die Bedingungen der Partizipation im Rahmen öffentlicher Kommunikation. Dies geschieht, wie er darstellte, beispielsweise mittels verschiedener sogenannter social reporting and community-tools, mittels derer die Nutzer nicht nur besondere Kontrolle über ihre eigenen Inhalte erlangen, sondern auch über Inhalte anderer Akteure in sozialen Online-Netzwerken; ein Thema, das kürzlich von Chris Peterson vom Massachusetts Institute of Technology untersucht wurde.
Bürgerbeteiligung bei der Gestaltung des Internetrechts „Marco Civil da Internet“
Als nächstes hielt Carlos Affonso Pereira de Souza aus Brasilien einen Vortrag zum Thema „Marco Civil da Internet“ – ein Bürgerrechtsrahmen für das Internet in Brasilien, welcher als Beispiel für den Einsatz technologischer Hilfsmittel zur Durchführung eines Partizipationsprojekts in einem Gesetzgebungsverfahren dienen kann.
Das Verfahren zum Gesetzentwurf im Rahmen des Marco Civil, den Carlos Affonso auch als eine Art Grundgesetz für das brasilianische Internet beschreibt, basiert auf zwei Durchgängen mit offener Diskussion und Beratung, bei denen mittels einer Online-Plattform fast 2000 Beiträge von Bürgern erhoben wurden. Die erste Runde diente dazu, allgemeine Ideen und Grundsätze zu sammeln, während im zweiten Teil bereits eine Diskussion um den tatsächlichen Wortlaut des zu schaffenden Gesetzes stattfand. Dies war das erste Mal, dass die Bevölkerung eines Landes an einem Gesetzgebungsverfahren für ein Internet-Gesetz beteiligt wurde. Im Jahr 2011 wurde dem brasilianischen Parlament ein ausformulierter Gesetzesentwurf vorgelegt.
Carlos Affonso gab auch Auskunft darüber, was daraufhin geschah: Der Wortlaut des Gesetzes wurde auch anhand der über Twitter und andere Kommunikationskanäle eingereichten Beiträge überarbeitet – wobei jede Änderung kenntlich gemacht und im Netz veröffentlicht wurde. Carlos konstatierte, dass die Forderung nach transparenten Verfahren eine wichtige Voraussetzung für solche offenen Beteiligungsverfahren ist und auch in Zukunft bleiben wird. Es bleiben allerdings wichtige Fragestellungen offen; etwa, wie am besten mit einer Situation umzugehen wäre, in der Formulierungen und Argumente nachvollziehbar verändert wurden. Nach mehreren Diskussionsrunden im Parlament steht der Gesetzestext immer noch zur Verabschiedung aus.
Nichtsdestotrotz hat es im Folgenden weitere Ansätze für eine Online-Partizipation zur Regelung anderer netzpolitischer Fragen gegeben, etwa in Bezug auf eine Urheberrechtsreform sowie zu Regelungen der Altersfreigabe von Computerspielen.
Ein Brückenschlag zwischen Online- und Offline-Partizipation: Das Publixphere-Projekt
Es folgte ein Beitrag von Mayte Peters – ausgehend von der Beobachtung, dass herkömmliche Formen der politischen Beteiligung zunehmend von den Rahmenbedingungen abgekoppelt werden, innerhalb derer insbesondere die jüngere Generation gesellschaftliche Teilhabe wahrnimmt. Sie vertrat das Argument, dass Jugendliche sich heutzutage bereits aktiv an politischen Diskursen beteiligen, jedoch nicht im traditionellen Sinne, beispielsweise über gewählte Vertreter. In diesem Sinne soll das sogenannte Publixphere-Projekt die Lücken zwischen den etablierten und neuen Formen der Partizipation sowie zwischen Online- und Offline-Projekten schließen und dabei mehr als nur eine Online-Diskussionsplattform sein. Mayte berichtete allerdings auch, dass eine Online-Umgebung die Kommunikation und den Austausch zwischen den Teilnehmern zwar in vielerlei Hinsicht erleichtert, dass andererseits aber auch Grenzen in der zugrundeliegenden Technologie selbst bestehen. Um eine effektive Partizipation im Sinne einer Interpretation und Umsetzung des Bürgerwillens mittels einer technologiebasierten Plattform zu erreichen, ist nicht zuletzt Expertenwissen von entscheidender Bedeutung.
Weitere Herausforderungen: Ermächtigung, Anonymität und Transparenz
Kann von internetbasiertenPlattformen eine Ermächtigung ausgehen? Die Antwort auf diese Frage, mit der die Diskussion mit dem Publikum eröffnet wurde, hängt stark vom Einzelfall und dem Kontext ab. Die öffentlichen Diskurse zu SOPA, PIPA und ACTA stellten sich aufgrund der verschiedenen Online-Plattformen als recht diffus dar. In Brasilien ist der Zugriff auf das Internet dennoch als Grundvoraussetzung für die Teilnahme an Online-Partizipationsprojekten anzusehen. Carlos Affonso fügte hinzu, dass die Menschen bereits durch die Nutzung des Internets auf die eine oder andere Weise involviert seien – dass die weitaus wichtigere Grundsatzfrage jedoch sei, ob ihnen bewusst ist, wie wichtig es ist, involviert zu sein. Diesbezüglich habe der Marco Civil bereits Wirkung gezeigt, sodass Carlos eine optimistische Prognose zur Bürgerbeteiligung bezüglich des Diskurses um die Freiheit des Internets wagt. In Bezug auf Fragen des Internet Governance sei Brasilien in Folge des Diskurses bereits auf einer neuen Ebene angelangt, wenngleich Carlos bezüglich einer zu erwartenden Verabschiedung des Gesetzes durch das Parlament skeptisch ist.
Im Rahmen der Diskussion wurde auch das Spannungsfeld zwischen Anonymität und Transparenz in Beteiligungsverfahren angesprochen. Es scheint, als könne nur schwerlich festgelegt werden, wann es notwendig ist, eine einzelne Person innerhalb einer Problemstellung identifizieren zu können und in welchen Zusammenhängen diese Transparenz eingeschränkt werden sollte. Der Versuch, eine solche Grenze zu ziehen, stellt nicht nur im Bereich der Forschung sondern beispielsweise auch für Regierungen eine Herausforderung dar. Ein weiterer interessanter Aspekt der in der Diskussionsrunde zur Sprache kam bezog sich darauf, dass wir zwar bereits erkannt haben, dass technische Mittel Einfluss auf Partizipationsprozesse haben, dass wir jedoch noch kein fundiertes Verständnis davon entwickelt haben, wie diese Prozesse die grundlegende Bedeutung der Partizipation determinieren.
Die Abschlussveranstaltung konnte Zusammenhänge aufzeigen, die zwischen der tatsächlichen und alltäglichen Umsetzung von Partizipationsprojekten durch technische Hilfsmittel und den Forschungsansätzen zum besseren Verständnis der dabei auftretenden Fragestellungen bestehen. Dabei wurde deutlich, dass die Rahmenbedingungen, Kontexte und Inhalte der Partizipation sehr spezifisch sind – weshalb sie auch unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten analysiert und ausgewertet werden müssen. Es entstand eine sehr lebhafte Diskussion mit dem Publikum, die auf die gesteigerte Bedeutung der Frage nach Anonymität im partizipativen Prozess im Spannungsfeld zur Transparenz der Vorgänge abhob. Als übergeordnete Fragestellung stand im Raum, ob technische Hilfsmittel, digitale Plattformen oder das technologische Umfeld im Allgemeinen nicht nur die partizipativen Prozesse beeinflussen, sondern auch unsere Vorstellung davon, was unter dem Begriff der Teilhabe zu verstehen ist und welche gesamtgesellschaftliche Bedeutung wir dem zumessen.
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
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