Unsere vernetzte Welt verstehen
Wie verdienen digitale Plattformen ihr Geld?
Wie ziehen digitale Plattformen einen Mehrwert aus den Transaktionen, die sie zwischen verschiedenen Akteuren ermöglichen? Eine Analyse von 51 Plattform-Startups und die Ableitung wiederkehrender Werterfassungsmuster ergeben wesentliche Werkzeuge für Praktiker und Forscher, die dazu dienen können, das Design und die Funktionsweise von Businessökosystemen zu beschreiben. Philip Meier stellt diese Ergebnisse hier vor.
Was haben die Ride-sharing-Riesen UBER und Lyft, der E-Mail-Schrecken Slack, das Analytikunternehmen pagerduty und die Foto-Sharing-App Pinterest gemeinsam? Erstens repräsentieren sie vier der sieben wichtigsten US-Technologie-IPOs im Jahr 2019. Zweitens betreiben alle digitale Plattformen als zentralen Bestandteil ihres Geschäftsmodells und arbeiten in einem mehrseitigen Marktumfeld.
Ein kurzer historischer Abriss: Von linearer zu mehrseitiger Ökonomie
Im 20. Jahrhundert wächst die durch Globalisierung und Nachkriegs-“Wirtschaftswunder” beschleunigte Weltwirtschaft der Industrienationen überwiegend in linearen Bahnen. Automobilhersteller kontrollieren den Wertschöpfungsprozess vom ersten Blechbiegen bis zum Vertragshändler, Ölfirmen von der Bohrinsel bis zur Endverarbeitung. Um die, mit der Steuerung dieser enormen Wertschöpfungsketten verbundenen Prozesse bewältigen zu können, wachsen Unternehmen mit mehreren tausend Mitarbeitern heran. Mit der Jahrtausendwende ebnet die Digitalisierung, getrieben durch das Internet und eine rasante Weiterentwicklung der Computerindustrie, den Weg für ein neues Geschäftsmodell: Mehrseitige, digitale Plattformen. Wegbereiter für das breite Spektrum der mehrseitigen Marktmodelle die heute die globale Wirtschaft bestimmen, sind die ersten Online-Marktplätze, auf denen Anbieter und Nachfrager häufig in Marktnischen zusammengebracht und Transaktionen zwischen Selbigen ermöglicht werden. Getrieben von hohem Wachstumspotenzial, relativ geringen Investitionskosten und einer starken Marktposition an der Kundenschnittstelle, entwickeln sich über die vergangenen 15 Jahre die komplexen Plattformkonstrukte, dank derer Unternehmen wie Google (z.B. die Suchplattform und das mobile Betriebssystem Android) und Amazon (z.B. Amazon Marketplace oder Amazon Alexa) zu globaler Reichweite gelangt sind.
Die Macht der Plattform, oder: Warum Unternehmen sich Mehrseitigkeit zu eigen machen
Netzwerkeffekte beschreiben wohl den bedeutsamsten und am meisten diskutierten Werttreiber eines digitalen Plattform-Geschäftsmodells. Anschaulich zeigen sich direkte Netzwerkeffekte am Beispiel des aufkommenden Telefonnetzes zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Während ein Telefon allein seinem Besitzer nur einen sehr begrenzten Nutzen stiftet, wächst der Nutzen für aktuelle und zukünftige Besitzer mit jedem weiteren Telefonnetzwerk-Teilnehmer an. 72 Jahre nach dem Beginn des Telefonnetzaufbaus beschrieb Robert Metcalf diese Zusammenhänge im Kontext des Aufbaus des Ethernet-Netzes im sog. Metcalfe’schen Gesetz.
Hinsichtlich digitaler Plattformen sind zwei Arten der Netzwerkeffekte zu unterscheiden – direkte und indirekte Netzwerkeffekte. Ein Beispiel für direkte Netzwerkeffekte ist der genannte, zunehmende Gesamtnutzen im Telefonnetzwerk. Darüber hinaus hebeln z.B. soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter direkte Netzwerkeffekte dadurch, dass sie gezielt die Interaktionen zwischen Nutzern (alles auf die selbe Marktseite der Nutzer bezogen) unterstützen und zum Einladen neuer Nutzer animieren. Indirekte Netzwerkeffekte werden dadurch beschrieben, dass sie auf mehrseitigen Plattformen den Wert der Infrastruktur für die Akteure seitenübergreifend erhöhen. Das klassische Beispiel für indirekte Netzwerkeffekte sind Online-Marktplätze. Mehr Angebot steigert den Nutzen des Marktplatzes für potenzielle Kunden, während wiederum mehr potenzielle Kunden den Marktplatz attraktiver für neue Anbieter machen. Wenn die Herausforderung der initialen Schaffung von Angebot und Nachfrage auf einem Marktplatz, das sog. Henne-Ei-Problem, gemeistert ist, kann sich eine selbstverstärkende Wachstumsspirale durch die indirekten Netzwerkeffekte entwickeln.
Direkte und indirekte Netzwerkeffekte führen in Kombination mit dem häufig schlanken Betriebsmodell digitaler Plattformen, durch das neues Angebot und neue Nachfrage Dritter effizient und automatisiert zugeschaltet werden kann, dazu, dass rasantes Wachstum bei Plattformunternehmen zu beobachten ist. Schafft der Plattformbetreiber es dabei noch, die unterschiedlichen Akteure beispielsweise durch eine technische Integration (wie z.B. im Apple Appstore) oder hohe Einstiegsinvestitionen (z.B. für Spieleentwickler auf der Sony Playstation) an sich zu binden, führt dies häufig dazu, dass große Anteile des Angebots und der Nachfrage in den jeweiligen Industriezweigen national oder international auf 1-3 Plattformunternehmen konzentriert werden. Beispiele dafür sind on-demand-Mobilität in den USA (UBER & Lyft), mobile Betriebssysteme (Apple iOS & Android) oder private Gästebetreuung (AirBnB).
Mit Kopieren und Kombinieren zum Erfolg: Die Möglichkeiten zur Werterfassung sind begrenzt – kennen und nutzen Sie sie
Im Grunde muss das Geschäftsmodell eines Unternehmens stets die Fragen der Wertschöpfung (value creation), der Kundenschnittstellen (value delivery) und der Werterfassung (value capture) beantworten. In einer mehrwöchigen Recherche haben wir uns über die kommerziell zugängliche Datenbank PitchBook die Werterfassungsmechanismen von insgesamt 51 Startups angeschaut, die mehrseitige Geschäftsmodelle auf digitalen Plattformen betreiben. Startups sind hier besonders interessant, weil die Geschäftsmodelle häufig noch sehr schlank, klar, somit gut zu untersuchen sind und junge, technologiegetriebene Unternehmen hervorragende Indikatoren für Innovationstrends für alle Komponenten der jeweiligen Geschäftsmodelle darstellen. Mittels qualitativer Textanalysen und Interviews konnten wir sieben wiederkehrende Werterfassungsmuster identifizieren. Die Startups wenden diese Muster isoliert auf der Anbieter- oder der Nachfrageseite an oder kombinieren unterschiedliche Muster, um von den Transaktionen, die auf der jeweiligen Plattform zw. den unterschiedlichen Akteuren ermöglicht werden, zu profitieren.
Aufnahmegebühr: Der Träger der Plattform erhebt eine Gebühr für einzelne Aktionen, etwa wenn Nutzer Angebot oder Nachfrage platzieren. Beispiele hierfür sind das Inserieren einer Immobilie auf z.B. Immobilienscout24 oder die Ausschreibung von Stellenanzeigen auf z.B. Monster. Häufig werden über die einmalige Inanspruchnahme hinaus unterschiedliche Pakete (5er oder 10er Pakete) angeboten. Über die Aufnahmegebühr wird überwiegend die Angebotsseite monetarisiert und dieses Muster dient dazu, standardisierte Preisstrukturen auf eine Plattform mit infrequenten, inhomogenen oder individuellen Transaktionseinheiten zu bringen.
Transaktionsgebühr: Mittels Transaktionsgebühren profitieren Plattformbetreiber von jeder ermöglichten Transaktion zwischen zwei oder mehreren Akteuren. Dieses Muster kommt in der durchgeführten Analyse am häufigsten vor und adressiert zu ähnlichen Anteilen die Angebots- und die Nachfrageseite. In Fällen sehr dominanter Plattformen wie AirBnB tragen beide beteiligte Akteure je einen Teil einer kombinierten Transaktionsgebühr. Dieses Muster bewährt sich besonders in Fällen hoher Transaktionsfrequenzen mit ähnlichen Transaktionssummen und mit geringem manuellen Aufwand für den Plattformbetreiber, die jeweilige Transaktion zum Erfolg zu treiben.
Arbitrage: Im Arbitragemodell nutzt der Plattformsponsor eine indirekte, oft distanzierte Beziehung zwischen Akteuren auf der Plattform aus und schafft über den stark vereinfachten Zugang zur jeweils anderen Gruppe die eigene Machtposition. Obgleich diese Position auch für die meisten anderen Muster zu erkennen ist, trägt das Arbitragemodell insofern aktiv zum Erhalt der Machtposition bei, als dass der Plattformsponsor nicht nur eine orchestrierende sondern eine preisbildende Rolle auf der Plattform einnimmt, indem er als Intermediär auftritt. Das Modell scheint besonders für physische Güter, die keinem kurzfristigen Wertverfall unterliegen, Anwendung zu finden. Häufig erscheint der Zugang der Angebots- zu der Nachfrageseite als stärkstes Vertriebsargument für den Plattformsponsor.
Datenmonetarisierung: Die indirekte Monetarisierung der durch Akteure auf der Plattform generierten Daten dient den Plattformsponsoren als sekundäre oder auch teilweise primäre Einnahmequelle. Für die datengenerierenden Akteure ist die Nutzung der Plattform, wie z.B. im Fall von Facebook meist kostenlos. Der Plattformsponsor ermöglicht Dritten durch den Zugang zu den Daten unter anderem eine direkte Kontaktmöglichkeit zu relevanten Akteuren oder anderweitig wertvolle Informationen. Für Plattformsponsoren, die Datenmonetarisierung zur Werterfassung nutzen, steigt das Werterfassungspotenzial mit zunehmender Reichhaltigkeit und Aussagekraft der gesammelten Daten aus den Interaktionen und Transaktionen zwischen den Akteuren.
Mitgliedschaftsgebühr: In einem Mitgliedschaftsmodell zahlen Akteure für eine bestimmte oder unbegrenzte Nutzungsmöglichkeit der Plattforminfrastruktur. Das Fitness-Startup Urban Sports Club ermöglicht seinen Mitgliedern beispielsweise in drei Pakete gestaffelte Serviceangebote zu unterschiedlichen Mitgliedsbeiträgen. Dieses Muster ist besonders für Modelle interessant, bei denen die Anzahl aufkommender Transaktionen je Akteur gut prognostizierbar oder die gehandelte Werteinheit effizient zu skalieren ist.
Freemium: Freemium ist im Grunde eine abgewandelte Form der Mitgliedschaft, in der ein gewisser Teil der Plattformprodukte und -services gewissen Akteuren kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Eine kostenlose Aktivität auf der Plattform verringert die Einstiegshürde und schafft die Möglichkeit, Akteure durch überzeugende Leistungen zum Zugriff auf das volle Leistungsspektrum zu überzeugen, welches mit der Abgabe eines Mitgliedsbeitrags verbunden ist. Die Streamingplattform Spotify finanziert beispielsweise ihr Freemiummodell zusätzlich mit der Monetarisierung von Daten durch Werbeanzeigen im kostenlosen Paket. Freemium erscheint besonders aussichtsreich, wenn die Grenzkosten für zusätzliche Akteure auf der Plattform für den Sponsor gering sind.
Service- und Produktvertrieb: Die Aktivität des Plattformsponsors als Komplementär auf der eigenen Plattform ist besonders dann interessant, wenn das jeweilige Unternehmen bereits über die notwendige Expertise und Infrastruktur verfügt und die Plattform als z.B. Handelsplattform (ein Beispiel hierfür ist der Stahl-Marktplatz Klöckner.i) für andere Akteure der eigenen Industrie öffnet. Unternehmen wie Amazon agieren zunächst als Plattformbetreiber, generieren auf Basis ihrer Datenhoheit einen Informationsvorsprung gegenüber anderen Anbietern und treten daraufhin in aussichtsreichen Produktkategorien mit den eigenen Komplementären in Konkurrenz. Dieses Vorgehen wird häufig als unlautere Ausnutzung der Marktmacht des Infrastrukturbetreibers angesehen und zurecht kontrovers diskutiert.N
So what? Implikationen für Ihr Plattform-Business
Wie zu Beginn dieses Beitrags dargestellt haben Unternehmen, die erfolgreich digitale Plattformen betreiben die Wirtschaft nachhaltig verändert und geprägt. Während das Wertversprechen, dass unterschiedliche Akteure auf einer Plattform zieht auf eine jeweilige Industrie und einzelne Anwendungsfälle individuell anzupassen ist, zeigen wir, dass in der Art wie Plattformen Geld verdienen wiederkehrende Muster zu erkennen sind. Ob Startup oder etabliertes Unternehmen. Ob bestehende Plattform oder Plattform-Projekt. Das eigene Geschäftsmodell stetig und experimentell zu überprüfen und die dargestellten Muster auf das eigene Plattformökosystem anzuwenden kann dabei förderlich sein, dass Werterfassungspotenzial in mehrseitigen Marktumgebungen auszuschöpfen. Herausfordernd ist dabei, stets herauszufinden, ob die angebotschaffende oder die nachfragende Seite der Plattform eine höhere Zahlungsbereitschaft zeigt, ob beide Seiten monetarisiert werden können/sollten, welches Muster in welcher Ausprägung passt und ob eine Seite sogar Subventionen erhalten sollte. Kurze, relevante Daten generierende Feedbackschleifen des Ausprobierens führten bei den beobachteten Unternehmen häufig zur jeweils umgesetzten Monetarisierungsstrategie.
Fragen nach nachhaltigem (im ökonomischen wie im sozialen Sinn) Wirtschaften, Vereinbarkeit mit (einem im 21. Jahrhundert zu überdenkenden) Wettbewerbs- und Steuerrecht und den generellen Rechten und Pflichten aus der intermediären Position digitaler Plattformen sind gestellt und müssen von vielen der genannten Firmen erst noch glaubwürdig beantwortet werden.
Dieser Beitrag spiegelt die Meinung der Autorinnen und Autoren und weder notwendigerweise noch ausschließlich die Meinung des Institutes wider. Für mehr Informationen zu den Inhalten dieser Beiträge und den assoziierten Forschungsprojekten kontaktieren Sie bitte info@hiig.de
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